GOETHE-TAG

[9] Wir brachen mit dem zarten frührot auf

Am sommerend durch rauchendes gefild

Zu Seiner stadt. Noch standen plumpe mauer

Und würdelos gerüst von menschen frei

Und tag – unirdisch rein und fast erhaben.

Wir kamen vor sein stilles haus · wir sandten

Der ehrfurcht blick hinauf und schieden. Heute

Da alles rufen will schweigt unser gruss.


Noch wenig stunden: der geweihte raum

Erknirscht: sie die betasten um zu glauben ..

Die grellen farben flackern in den gassen ·

Die festesmenge tummelt sich die gern

Sich schmückt den Grossen schmückend und ihn fragt

Wie er als schild für jede sippe diene –

Die auf der stimmen lauteste nur horcht ·

Nicht höhen kennt die seelen-höhen sind.[10]


Was wisst ihr von dem reichen traum und sange

Die ihr bestaunet! schon im kinde leiden

Das an dem wall geht · sich zum brunnen bückt ·

Im jüngling qual und unrast · qual im manne

Und wehmut die er hinter lächeln barg.

Wenn er als ein noch schönerer im leben

Jezt käme – wer dann ehrte ihn? er ginge

Ein könig ungekannt an euch vorbei.


Ihr nennt ihn euer und ihr dankt und jauchzt –

Ihr freilich voll von allen seinen trieben

Nur in den untren lagen wie des tiers –

Und heute bellt allein des volkes räude ...

Doch ahnt ihr nicht dass er der staub geworden

Seit solcher frist noch viel für euch verschliesst

Und dass an ihm dem strahlenden schon viel

Verblichen ist was ihr noch ewig nennt.

Quelle:
Stefan George: Der siebente Ring. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 6 / 7, Berlin 1931, S. 9-11.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der siebente Ring
Der Siebente Ring
Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. 6/7: Der siebente Ring
Der siebente Ring