III DER SCHÜLER

Dass ich nun bald den höheren grad erringe

Versprechen mir die väter die mich lieben

Ja ehren und zu manchem rate ziehn.

Mir öffnen sich gemach und hof und garten

Sowie der dichten schriften nachtgewölbe

Die sich den Einfach-Frommen nie erschliessen.

Fast bin ich herr wenn auch im zöglingskleid ..

Und stolzen pochens hört ich längst das raunen

Der beiden Ältesten: dass ich dereinst

Die zierde sei der ganzen bruderschaft.[122]


In düstren hallen flossen meine tage

Bei frommer übung .. und in schwerem sinnen

Auf manches dunklen Weisen blatt gebeugt

Entschwanden mir die nächte .. unterbrochen

Nur hie und da vom lauten festes-chor.

Mir klar erschienen alle dinge droben

Und hier von einst und jezt mit jener klarheit

Wie sie die lehre bringt .. mir ward zum lohn

Fern von der menschen sündigem eitlem streben

Die friedlichkeit der frommen wo allein

Der zweifel blieb: wie solche helle leuchte

Nicht alle sterblichen durchdringen müsse.


Was bringt nun diese wandlung? doch nicht einzig

Mein schweifen in den unbetretenen erkern

Wo ich bei manchem seltsamen gerät

Den spiegel glänzenden metalls entdeckt

Vor dem ich meines eigenen leibs geheimnis

Und anderer zuerst bedenken lernte.

Auch wäre frevel länger noch zu glauben

Dass jenes blonde kind der jüngste schüler

Das oft mich mit den grossen augen sucht[123]

So gänzlich meinen sinn erschüttern könne.


Dann kam die reise .. welch ein wink der fügung!

Nur selten merkte ich in meiner zelle

Den wandel der gestirne und der jahre

Und ob ich gleich durch unsre gärten ging

Ich gab nicht acht auf blühen und auf welken ..

Ein tiefer freund des denkens fühlt das kaum.

Doch dort in andrer luft in andrem land

Entdeckt ich als ein andres fluss und flur.

Ich sah die hellen und die bleichen himmel

Die wälder gaukelten mir bilder vor

Und aus dem duft der morgendlichen wiesen

Aus ferne winkenden gekrönten mauern

Und aus der menschen schritten und gebaren

Und ihrer sänge rätselvollem sehnen

Erhoben sich mir unbekannte welten.


Und als der neue mond die rückkehr heischte

Befiel mich eine wilde angst: ich wäre[124]

Gegangen nur wie mit verbundnen augen ..

Es gäbe glück von dem kein wissen redet

Und enge sei die feste welt der lehrer.

Ich schlürfte trunken jeden laut von aussen

Ich fühlte innres rasen .. meine glieder

Als drängten sie zu neuen diensten bebten

Und schauerten .. es drang in mich ein hauch

Und wuchs zu solchem brausen so gewaltig

Und schmerzlich dass ich selbst mich nicht mehr kannte.


Ich kehrte heim und hoffte zu genesen

In dem gewohnten leben .. rief mir freuden

Erhebungen und pflichten alle vor.

Auch dachte ich mit fasten und gebeten

Zu bannen was vielleicht versuchung war ..

Mit doppelter ergebung alle freuend

Von denen ich mich täglich mehr entfernte.

Mein widerstand bleibt schwach und ohne hilfe

Nichts mehr ist hier mir wert – auch nicht dies kleid.

Ich folge stumpf den täglichen gebräuchen

Und harre nur der stunde wo ich einsam

Befreit von allen blicken durch den abend[125]

Der blauen ferne meine seufzer sende.


Morgen im frührot lass ich diese stätte.

Kein wort wird mich entschulden .. von den vätern

Ist keiner mir gewiss der es begriffe.

Sie hatten meinen dank solang ich weilte.

Ich weiss nicht ganz was mich auf einmal so

Von ihnen und den früheren freunden trennt

Noch welchem nächsten ziel ich mich ergebe.

Ich weiss nur dass ich einen ort des friedens

Verlasse und vielleicht jezt vielen leiden

Entgegengehe .. Doch es treibt mich auf

Der alten toten weisheit zu entraten

Bis ich die lebende erkannt: der leiber

Der blumen und der wolken und der wellen.[126]

Quelle:
Stefan George: Die Fibel. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 1, Berlin 1927, S. 120-127.
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