DER SCHÖNE SCHEIN

[123] Kamst du nach haus? seh ich nach soviel jahren ·

Mein sohn · den schatten von den blonden haaren

Die in die augen fallen wie voreinst.

Wahrlich! die wunder die in ihnen waren

Der traum der deines auges rund verguldet

Hebt an. Doch stummheit dess der viel erfahren und erduldet

Fasst es zugleich.


Kamst du? Mein kind! die erde ist nicht reicher

Als herz · das herz und dinge in sich hält.

Du warst so reger seher · tapfrer streicher

Dass alles dir in hand und augen fällt.

Doch blieb das herz kalt · kalt umhängt von deinen

Schätzen – wie eine schöne trübe frau

Beim ball behängt mit einem strom von steinen

Vor herzenskälte sterben will.

Dein herz sucht wärme · der das meer durchschwommen

Kam als ein kind zurück ins vaterhaus.

O sohn! dass wieder dir der trieb gekommen

Bracht · herz und geist im leib zugleich nach haus.

Sowie ein funke – noch am herd geblieben –

Das reisig ansteckt bis die glut bei nacht

Die hausgenossen neu belebt (die sacht

Und warm sich um das feuer schieben)[123]

Und über alt und junge wangen eilt

Und – grillige pracht

Von glühn und knistern spukend wild –

Von fremder mär und sage mild

Und stillem plaudern die geräusche teilt

Und bricht und heilt –

Bis aus dem düstren saal ringsum

Nachtklänge als zwerge mit stillem gebrumm

Schwärmen den leuchtenden zirkel um –

Und einer der zumeist im dunkel sass

Und nickte fühlt den kalten strahl

Am rücken · schricKt und sagt: ›was ist das? –

's ist schlafzeit‹. Dann gehn sie allzumal –

Wie so ein funke vom herd die seel

Vom haus ist bis zu dunkler nacht:

So schüzt ein zug der wartet und wacht

Die seel worein sie einmal geriet.


Komm in mein haus! kein schatz · dir je befohlen ·

Vergeht da in dir wächst was schätze weiht.

Kannst du sie nicht auf erden holen

Weit und breit?

In einem herzenstrieb der jezt erblühe

Raumlos

Ists leben das die schätze all durchglühe

Maasslos.

Schönheit soll mit Dir sein · die lezt-erzeugte

Von süssem Reiz und reiner Schöpfungs-welt.[124]

Ihr sei dein edelster stein als leuchte ·

Doch eine blume ihm gesellt.

Den werker (der im düsteren schacht du grabend

Warst) – der dir das höchste gewesen –

Soll sie mit lachen ansehn und ihn trabend

Durch sommerwiesen jagen mit blumenlesen.


Du findest deinen reichtum: städte und land

Im bilderbuch vom kind –

Die freunde zu denen du dich bekannt

Die liebste die du geminnt.

Alles soll nichts sein – o glaub meinen worten!

Alles soll nichts sein bis du klagend fragst:

Lebt ich dafür dass jahre jahre morden

Der eine tag den andern jagt?

Alles zunichts · auch du · wenn deine hand

Das stangengras wie goldne münzen misst

Durch deine finger körnt der dünensand ·

Du selbst das zeitglas deiner lebensfrist ·

Wenn gras und körner so wie du ihr leben

Leben unter lachenden sonnen:

Dann wird er in dir sein den du erst neben

Dir wähntest da dein leben hier bei mir begonnen

Dann wird er in dir sein

Der alles in allem führt

Dann hat der schöne Schein

Dich angerührt.[125]


Quelle:
George, Stefan: Zeitgenössische Dichter. Erster Teil, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 15, Berlin 1929, S. 123-126.
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