Erste Szene


[37] Galerie im königlichen Schloss zu Edinburg. Es treten von verschiedenen Seiten auf Seton und Montgomery.


SETON.

Wohin so eilig, Lord Montgomery?

MONTGOMERY.

Zum Vorsaal Ihrer Majestät der Königin.

SETON.

Soeben war ich selber im Begriffe

Dorthin zu eilen. Aber sagt, Mylord,

Weshalb so zornig und so aufgeregt?

MONTGOMERY.

Nicht kann ich meinen Zorn beschwichtigen,

Sooft ich jenen Schändlichen erblicke.

Unfasslich ist mir's wie der freche Mörder

Die Stirne haben kann sich hier zu zeigen,

Obwohl doch die verruchte Mordtat klarliegt

Und alle ihn für schuldig hier erkennen,

Aus jedem Winkel in der Königsburg

Es drohend schreit: dies ist der Königsmörder.

Doch unbegreiflicher noch ist es mir,

Dass ihn die Königin nicht gleich ergreifen

Und ins Gefängnis werfen liess; statt dessen

Lässt sie ihn in dem Vollbesitze seines

Vermögens, seiner Ämter, seiner Würden

Und adelt durch ihr Nichthandeln und Schweigen

Gleichsam die freche, fluchbeladne Tat.

SETON.

Montgomery, Ihr seid der ärgste Feind

Graf Bothwells, und da Ihr ihn hasst, so findet

Ihr eben alles an ihm hassenswert.[37]

Was Euch so sehr in Unmut hat versetzt,

Rief grad in mir den ersten Zweifel wach,

Ob er vielleicht nicht doch unschuldig wäre.

Und dieser Euer blinder Hass macht Euch

Selbst gegen Eure Fürstin ungerecht.

Es stehet allerdings Graf Bothwell in

Dem dringendsten Verdacht, die blutge Tat

Veranlasst oder gar vollführt zu haben.

Doch auf den dringendsten Verdacht hin kann

Die Königin den schottschen Edelen

Und einflussreichsten Mann im Staate nicht

In Ketten werfen lassen. Hierüber

Muss ein genau Gericht gehalten werden

Mit strenger Untersuchung. Und zuletzt,

Wie könnt der Gattin Vorwürfe Ihr machen,

Die einsam ihres Mannes Tod beklagt

Und seit sechs Tagen keinen in Audienz

Als höchstens den geheimen Sekretär

Empfangen hat, ganz hingegeben nur

Dem bittren Schmerze, ohne etwas andres

Zu tuen und zu überlegen.

MONTGOMERY.

Seton,

Wie weit Ihr recht, wie weit Ihr Unrecht habt,

Darüber wollen wir uns jetzt nicht streiten.

Sie wird heut zeigen, ob die Trauer über

Den Hingeschiednen nur den Arm gelähmt

Und ihr den Geist erschlafft hat. Heut wo sie

Zum erstenmale wieder handeln will,

Lasst sehn uns, wie sie handeln wird.

Kommt jetzt, Mylord, die Stunde nahet sich,

Die zum Empfang den Pairs sie angesetzt.


Beide ab.


Quelle:
George, Stefan: Phraortes, Graf Bothwell. Düsseldorf, München 1975, S. 37-38.
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