Dritter Gesang

[362] Schon schnitt aufs neu der Sonnenführer

Den Zwischenraum der Endlichkeit

Drey Jahre bis zur Dämmerung

Der Götter ab, seit mein Halvard

Vom Waffenblitz aus meinem Arm

Weit nach Britannien hinweg

Gewinkt, nach seiner Gegenwart

Mich Schwermuthsvollen schmachten ließ.

Einst, da ich einsam und verlassen,

Wo ihn die Barke von mir stieß,

Am Ufer irrt, und jeden Hauch

Der Luft, der nach der Küste blies,

Mit meinen Seufzern flügelte:

Trat ein mir fremder kühner Mann[362]

Mit wildem Schritt zu mir heran.

»Gieb mir die Goldharf! rief er stolz,

Die dir Halvard zum Denkmaal ließ;

Er gab sie dir, er nahm sie mir.

Du überträfst mich nicht in Liedern,

Wär nicht der Raub des Frevlers dein!

Gieb mir die Goldharf, sie ist mein!« –

»Nicht so! sprach ich mit ernster Stirn,

Was mir mein Freund geschenkt, war sein,

Ist itzt mein Stolz, mein Schmuck, mein Ruhm,

Und wird dereinst mein Nachruhm seyn.

O glaube mir, nicht der Besitz

Der Goldharf ists, der Dichter macht.

Erhebe dich, entzünde deinen Witz

Mit Bragurs edler Glut,

Fach auf dein träges Blut

Streb' himmelan zu dringen,

So wirst du besser singen!«


Zur Wuth erhitzt und Funken sprühend

Aus rothem Auge fodert er

Zum Kampf des kurzen Speers mich auf:

»Da soll, sprach er, der Rächer Frö

Mit warmem Blut die Wahrheit rächen.«

»Da mag, sprach ich, Frö, der Gerechte,

Die Wahrheit schützen, und mich rächen.«


Der neugebohrne Tag entschlüpft dem Meer,

Sträubigt rauscht von oben her

Der Hahn Valholls, und kräht

Sein kriegrisch Lied, und hebt den goldnen Kamm!

Aus Heliars Palast tönt ihm

Der Erde Hahngeschrey entgegen!

»Auf! auf! zum Kampf aus später Ruh!«

Ruft Gotlands Helden-Jugend uns zu.

Schon treten wir mit Helmen angethan

Auf die blutlechzende Todesbahn;

Schon schließt sich um uns her die Schaar

Der Richter, die durch weißes Haar

Und langen Bart ehrwürdig war!

Schon blinkt der Geir im Sonnenstrahl!

Schon strömt die Purpur-Wunde!

Schon öffnen Endils Wölfe

Auf meinen Feind den giergen Schlund!

Ach mir Unglücklichen! Da schlüpft

Die Ferse mir im schwarzen Blut![363]

Da stürz ich hin, und über mich

Mein sterbender Feind! –


Schmach, Wuth und Scham

Begrub mich noch im Todes-Schlummer,

Als mich ein jammernd Klaggeschrey

Vom Oceane her erweckt.

Ich seh, ich seh! – o Schauer! o Entsetzen!

Ach, warum lebt ich, es zu sehn? –

Ich sehe meinen Freund, den besten

Der Menschen, meinen treuen Halvard,

Der Freundschaft Urbild, itzt des Todes Bild,

Im Schleyer der ewgen Nacht gehüllt.

Zu meinen Füßen lag er, seufzte noch,

Und hob die schwere Brust – Ihn hatte

Sein eignes Schwert, zu eingedenk

Des hohen Schwurs, gestürzt, da er

Mich fallen sah – Ach! wehe, wehe, mir!

Warum mußt ihn ein falscher Anblick trügen?

Warum sein erster Anblick seines Freunds?

Nicht darum war er, nach drey langen Jahren,

Dem Busen seines Thorlaugs zugeeilt! –


Ich warf verzweiflungsvoll

Auf seinen Leib mich hin, verbarg

Mein Angesicht in seine Brust, und schluchzte!

»Ach nein, Halvard, du bist nicht todt?

Nein! bey den Göttern, nein! du schlummerst nur!

Es ist ein dichter Schlaf, der dich erquickt!«

Umsonst! umsonst! Die lange Nacht

Versiegelte sein Helden-Auge!

Er war auf Ewig mir entschlummert!


Man riß mich grausam aus des Todten Arm.

Mit wildem und gebrochnem Blick schaut ich

Zum Himmel! Da ermannt ich mich,

Und sprach: Ich will dem theuren Mörder

Ein Grabmaal baun, und seinem Hügel nah

Ein Brand-Altar erbaun, zur Ehre

Der Freundschaft! des Unsterblichen!

Ich thats; mein letztes Opfer flammte

Durch Wolken auf; ich schwung dreymal

Mein Schwert, durchstieß mein brechend Herz,

Und sank vergnügt auf seinen Holzstoß nieder.


Die Schaar der Staunenden ließ meine Glieder

Zur Asche glühn, und senkte dann,[364]

Dem Hügel meines Freunds zur Seite,

Des Staubes Urn in diese Gruft,

Der sie dieß zweyte Denkmaal weihte,

Das freundschaftlich im heiligen Schatten

Dem Wandrer süße Schwermuth winkt,

Und zur Begeistrung ihn erhebt,

Mein banger ahndungsvoller Geist

Hielt bey dem frommen Schauspiel sich

Nicht auf, und flatterte verfinstert

Durchs unbegränzte Leere

Dem Schatten des Geliebten nach.

Quelle:
Heinrich Wilhelm von Gerstenberg: Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 362-365.
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