Amors Triumph

[21] Meine Doris war anfangs wild, wie die schäumenden Wogen des Adriatischen Meeres; Amor selbst verzweifelte, sie jemals zu überwinden.


An ihren stolzen Marmorbrüsten

Sprang jeder Pfeil des Amors ab;

Es mochte da der Gott sich noch so sehr entrüsten,

Und zehnmal kriegrischer sich rüsten,

Der Pfeil sprang ab.


Wie oft bat ich sie zu verziehen,

Wenn sie, gleich Rehen, vor mir floh!

Soll stets mein zärtlich Herz vergebens um dich glühen?

Ach! wird mich Doris ewig fliehen?

Und Doris floh.


Amor, dessen Stolz beleidiget war, eilte zu seiner Mutter, der allmächtigen Cypris, und klagte ihr seine Schande, und bat sie um einige von den himmlischen Küssen.
[22]

Die sie mit ihrem Nektar netzt,

Wenn Ganymed ihn fünfmal durchgeläutert,

Sie, deren Reiz so oft das Herz des Mars geletzt,

Und siegreich seine Stirn zum Lächeln aufgeheitert,

Wenn sie die Welt in Schrecken setzt.


Venus gab sie dem Amor. Mit diesen Küssen bewaffnete Amor meine Lippen, und muthig lief ich hin zu dem spröden Mädchen, und umarmte sie feurig und küßte sie.


Da fühlte sie der Liebe Glück,

Und gab mir schnell den Kuß zurück;

Da fühlt ich ihre Lippen glühen,

Und diese Wangen, die mir blühen.

Da lernte sie zum erstenmal verziehen –

Nun wird sie nimmer vor mir fliehen.


Wie triumphirte der Gott der Liebe, da er die sprödeste unter allen Schönen bezwungen sah! Wie jauchzten die Liebesgötter, sein Gefolge, dem Amor zu Ehren! Wie tönten ihre frohen Triumphlieder dem Sieger entgegen! – Doch ich – in stummer unaussprechlicher Entzückung berauscht, lag ich da. – O Muse![23] Hilf mir die Triumphlieder der Liebesgötter widerholen.


Der erste Liebesgott.


Triumph dem Amor! dem Sieger der Welt!

Hier will ich mich

An Doris Marmorbusen legen.

Hier, stolzer Busen, straf ich dich

Mit sanften Liebesschlägen.

Dann küß ich dich!

Dann soll mein Flügel mit dir spielen!

Du Brust wirst itzt doch fühlen?


Alle Liebesgötter.


Triumph dem Amor! dem Sieger der Welt!


Der zweyte Liebesgott.


Holde Brust!

Seht! o seht! die holde Brust

Glüht und wallt bereits für Lust.

Zephyrs, kommt, sie abzukühlen!

Seht! o seht die hüpfende Brust!

Seht! sie kann schon fühlen.


Alle Liebesgötter.


Triumph dem Amor! dem Sieger der Welt!


[24] Der dritte Liebesgott.


Wie steigt ihr Busen von Entzücken!

Laß nach! du Brust wirst mich erdrücken!

Seht, Götter, seht,

Wie sich der Busen bläht!

Wie mich der lose Busen drückt!

Mein bester Fittig ist zerknickt.


Da lachten die Liebesgötter! da lachte die schalkhafte Doris!


Da schlug sie ihren Arm um mich;

Da sprach ihr Auge: scheust du dich?

Und hurtig, Doris, küßt ich dich.

Da half ihr meine Brust den kleinen Sänger drücken,

Um ihm in wallendem Entzücken

Den zweyten Fittig zu zerknicken.

Quelle:
Heinrich Wilhelm von Gerstenberg: Tändeleyen. Stuttgart 1966, S. 21-25.
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