Der Blumenstraus

[90] Daphnen sah ich: Vielleicht, ach vielleicht würds mein Glück seyn, hätt' ich sie nicht gesehn! So reitzend sah ich sie nie. An der heissen Mittagssonne, lag ich im dunkeln Weidenbusch, am kühlen Bache, da wo er sanft rieselnd durch Steine fällt. Schatten wölbte sich über mir, und über dem kühlen Bache; da saß ich ruhig: Aber seitdem, ach! ist für mich keine Ruhe mehr. Nicht weit von mir rauschte das Gesträuche, und Daphne, Daphne kam, durch des Bordes Schatten, herunter an den Bach. Reinlich zog sie ihr blaues Gewand von den kleinen weissen Füssen herauf, und trat in die helle Flut. Sie bückte sich, und wusch mit der rechten Hand ihr reizvolles Gesicht; mit der linken hielt sie ihr Gewand, daß nicht das Wasser es netze. Aber nun stand sie still, und wartete bis kein Tropfe von ihrer Hand mehr das Wasser bewegte. Still wars, und jeder ihrer Reitze schien ungefälscht ihr entgegen. Itzt lächelte sie ihre eigene Schönheit an, und drückte das Geflechte der goldnen Haare zurechte, die sich in einen reitzvollen Knoten verbanden. Für wen, so seufzt' ich, ach für wen diese Sorgfalt; wem, ach wem will sie gefallen! Wer ist der glückliche, um deswillen sie mit zufriednem Lächeln sieht, daß sie so reitzend ist. Indeß sie gebückt so über dem Bache stand, fiel der Blumenstrauß von ihrem Busen ins Wasser, und schwamm, indeß sie weggieng, zu mir herunter. Ich fieng ihn, ich küßt' ihn; für eine ganze Heerde hätt' ich ihn nicht gegeben. Aber ach der Blumenstrauß welkt, ach er welkt, der, nur zween Tage sinds, mit der Quelle zu mir floß! Ach wie ich ihn pflegte! In meiner Trinkschale[90] stand er, die ich im Frühling mit Gesang gewann. Amor sitzt künstlich drauf geschnitten, in einer Laube von Geißblatt; lächelnd versucht er die Schärfe seiner Pfeile mit der Spitze der Finger, und vor ihm schnäbeln sich zwoo Tauben. Dreymal des Tages goß ich ihm frisch Wasser zu, und des Nachts stellt' ich ihn am Gitter meines Fensters in den Thau. Dann stand ich vor ihm, und athmete seine süssen Gerüche. Süsser waren die Gerüche, glühender waren die Farben, als aller Blumen des Frühlings; denn ach, an ihrem Busen haben sie geblüht! Staunend stand ich dann vor der Schale. Ja Amor, so seufzt' ich, sie sind scharf, deine Pfeile; wie sehr, wie sehr muß ichs fühlen! Laß, o laß Daphnen nur die Hälfte so für mich empfinden; dann will ich diese Schale dir weihn. Auf einem kleinen Altar soll sie stehn, und alle Morgen umwind ich sie mit einem frischen Blumenkranz, und, ist es Winter, mit einem Myrtenschoß. O mögtet ihr, kleine Tauben, mögtet ihr ein Bild meines künftigen Glückes seyn! Aber ach, der Blumenstrauß welkt, so sehr ich ihn pflege; traurig hängen die Blumen und blaß am Borde der Schale herunter, hauchen keine Gerüche mehr, und ihre Blätter fallen. Ach Amor! Laß, ach laß ihr Welken für meine Liebe nicht von übler Deutung seyn.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 90-91.
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