Amors Irrtum

[179] Amor sah die Doris schlafen;

Stehend unter ihren Schafen,

Sah er ihrem Schlafe zu!

Dick Gebüsch hielt mich verborgen,

Mutter, sprach er, guten Morgen!

Wie so ruhig schliefest du!


Doris, wach, erblickt den Knaben,

Kind, spricht sie, was willst du haben?

Und was hast du hier zu thun?

Hier ist nichts für dich zu spielen;

Laß mich, Kindchen! hier im Kühlen

Laß mich noch ein wenig ruhn!
[179]

Amor, näher tretend, siehet

Seinen Irrtum, stutzt und fliehet

Mit errötetem Gesicht!

Ich ergötzte mich darüber,

Amor, rief ich, kleiner Lieber,

Fliehen willst du? fliehe nicht!

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Ausgewählte Werke, Leipzig 1885, S. 179-180.
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