Die Kinderjahre

[180] O was für gute Freunde waren

Belind' und ich, in jenen Jahren,

In welchen man, im Busen noch nicht heiß,

Vom Jüngling nichts, und nichts von Liebe weiß.

In welchen man nicht suchet, und nicht flieht,

Und froh ist, wenn man nur sich sieht!


Viel Blümchen wurden da gefunden,

Viel Kränze wurden da gewunden,

Die setzten wir bei einem Wettelauf

Uns scherzend dann einander auf.

Und war einmal ein Tänzchen, dann war ich

Um sie herum, und sie um mich!


Ich weiß es noch, wie wir mit Nüssen

Und Äpfeln, uns einander schmissen!

Ich weiß es noch, wie, bei dem Gänsespiel,

Ich bei ihr saß, und in den Brunnen fiel,

Und wie sie sich betrübte, wenn der Tod

Mir seine scharfe Sense bot!


Ich weiß es noch, wie wir uns grüßen,

Und guten Morgen sagen ließen;

Ich weiß es noch, wie gern ich den Papa

Begleitete zu ihrer Frau Mama!

Und wie sie mich nicht lange warten ließ,

Und welche Puppen sie mir wies!
[180]

Damals, als ich die kleine Lose

Beim Taxus fand, und eine Rose

Zum Zierrat ihr an ihren Busen bot;

Da wurde sie zum erstenmale rot!

Ein Paradies war ihr verschämt Gesicht;

O Himmel, ich vergeß es nicht!

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Ausgewählte Werke, Leipzig 1885, S. 180-181.
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