|
[45] Kaum hüllt' in Dunkel sich der Abend ein,
Als sie vermummt die Stadt zu Fuß verließen.
Am Thore schon sah Adlerkant den Schein
Des Lichts von Heideplan; auf einmal ließen
Sich die Trompeten hören, dießmal kein
Ganz angenehmer Ton; an Händ' und Füßen
Fing Adlerkant vielmehr zu zittern an,
Und stand, und wollte näher nicht heran.
Sein Freund indeß sprach frischen Muth ihm ein,
Zog an der Hand ihn durch die Hinterpforte
Ins Haus, traf just die Wirthin hier allein,
Und gab ihr gleich so süße gute Worte
Aus seinem Beutel, daß sie Hals und Bein[46]
Fast auf der Treppe brach, sie nach dem Orte,
Den wir schon wissen, zu begleiten. – Still!
Ihr Herren, still! wer mit uns horchen will!
»Sieh hier durchs Schlüsselloch! dort an der Wand
Steht Nettchen und ihr süßes Närrchen, Zahren.
Sie reibt zum Punsch' mit ihrer zarten Hand
Zitronen ab, er aber preßt bei Paaren,
Der schwache Tropf! sie aus, und beugt galant
Sich über die Terrin', herabzufahren
In Nettchens Busen mit dem frechen Blick'!« –
»Sie zieht sich doch,« sprach Adlerkant, zurück?« –
»Den Teufel auch!« rief Liljenthal. »Sie steht –
Doch komm nur her, und sieh du selbst statt meiner!« –
Indem er nun zum Schlüsselloche geht,
Setzt' eben sich aus der Gesellschaft Einer
Gerade vor die Thür. »Ei! seht doch, seht!
Ich glaube fast, du Schelm, du spottest meiner![47]
Denn, Liljenthal, dort flimmert wohl so was;
Doch sehen kann ich, wahrlich! auch nicht das!« –
»So bist du blind! Laß sehn! – Ha wie sie wehrt,
Er soll zum Punsch' doch keinen Rack mehr gießen;
Er aber läßt sie immer, ungestört,
Die Flasche halten, trippeln mit den Füßen,
Und böse thun.« – Wie Adlerkant das hört,
Scheint es ihn schier ein wenig zu verdrießen;
Als er es aber selbst mit Augen sieht,
Erzittert ihm vor Wuth ein jedes Glied.
Und Nettchen ward von Zahren aufgezogen
Zum Tanze, den der wilde Deutsch' erfand.
Schnell hüpfte zwar der leichte Fiedelbogen
Auf Zahrens: »Presto!« in des Geigers Hand,
Doch selbst zuvor den Sechszehntheilen flogen
Des Fräuleins Füßchen; wie ein Kräusel wand
Sie sich herum, und einem Segel glich
Ihr seidner Rock, so bläht' im Wind' er sich.[48]
Doch Adlerkant vermocht' es länger nicht
Mit anzusehn, sank auf der Wirthin Bette,
Sprang aber, so verstört im Angesicht',
Als wenn er einen Freund ermordet hätte,
Mit einmal auf. »Nun thu' ich gern Verzicht,
Mein lieber Liljenthal, auf die Kokette,
Die Schlange die! Komm! komm und laß uns gehn!
Ich mag sie nie mit Augen wieder sehn.« –
»Nun? welche Fliege mag so arg dich stechen?
Ich sehe wohl, sie walzt mit Zahren hier;
Doch ist denn das ein Kapitalverbrechen?
Gesetzt den Fall, sie walzte nun mit dir?
Ist's weiter nichts, so wirst du anders sprechen,
Sind wir nur erst zweihundert Schritt' von hier.« –
»So wahr« – Was? schwöre nicht darauf!
Ich kenne – still! still! die Musik hört auf!« –
Und keuchend ließen beide Tänzer sich
Auf Stühlen vor der Kammerthüre nieder.
»Ich muß gestehn, Sie übertreffen mich!«[49]
Sprach Nettchen, als sie kaum zu Athem wieder
Gekommen war. »Schachmatt, schachmatt bin ich!
Doch Sie, Sie tanzten noch drei andre nieder.« –
»Soll ich?« rief Zahren. »'S schlimmst' ist nur dabei,
Die übrigen sind wie ein Klumpen Blei.«
»Sie loser Mann! wer will so medisiren?
Dafür gehört sich Strafe!« – und ein Schlag
Von ihrem Fächer mußt' ihn überführen,
Die Schmeichelei, die in dem Klumpen lag,
So plump sie war, sey, Weibes Herz zu rühren,
Noch fein genug. Man kommt damit im Tag'
Auch weiter, als Herr Adlerkant im Jahr'
Mit seinem stillen Blick' gekommen war.
Doch Schmeichelei bringt nicht allein ans Ziel;
Musik und Tanz hilft schon ein wenig weiter;
Erregt, in Spröden selbst, so ein Gefühl,
Das sehr behagt, macht ihre Stirnen heiter,
Ihr Auge stralend, und ein Pfänderspiel[50]
Beim Punsch' – kurz, sehet da die Leiter,
Auf der geschwind, ohn' offenbaren Krieg,
Mein Zahren still ins Herz des Fräuleins stieg.
»Wie wär' es? gnäd'ge Frölen,« sagte Zahren,
»Wir warteten heut' Abend bis zuletzt?
Am sichersten ist's hinterher zu fahren;
Denn, was ich nicht befürchte, doch gesetzt,
Der Schlitten fällt, so wird, Gott soll bewahren!
Der gleich zu Muß getreten und zerfetzt,
Wer in dem Wege liegt.« – »Ach! nein denn, nein!
So lassen Sie uns ja die Letzten seyn.« –
Kaum hörte dieß der Herr von Liljenthal,
Als er geschwind noch einen Plan erdachte,
Den armen Adlerkant von seiner Qual
Schnell zu befrein. Doch, was ihm Sorge machte,
War, daß sein blöder Freund zum erstenmal
Ein Ding, woran er schon mit Zittern dachte,
Mit eigner Hand thun sollt', und (Wunder! schreit
Der Autor hier, weil's reimt,) er war bereit![51]
Des Steuerraths Veränderung ist zwar,
Wie der Verfolg die Herren selbst wird lehren,
So ziemlich rasch und deßhalb sonderbar.
Doch wißt ihr, Lieb' und Eifersucht verkehren
In einen Tiger, was ein Lämmchen war.
Hier durften sie, was euch vielleicht Schimären
Und Possen sind, im Herzen nur zerstreun. –
Doch seht! sie brechen auf und steigen ein!
Der Herr Assessor stand bereits und neckte
Antonien, die gern geschehen ließ,
Daß er ihr Füßchen in den Fußsack steckte,
Als Liljenthal, der dieß dem Bräut'gam wieß,
Herab flog in den Hof, und ihm entdeckte:
Sein Tod und Leben, Höll' und Paradies,
Hang' ab von einer wichtigen Heimlichkeit;
Sie zu entdecken sey die höchste Zeit.
Und Zahren bat sich einen Augenblick
Erlaubniß aus von Nettchen. Jene sprangen
Ins Haus hinein. Wir gehn indeß zurück[52]
Zu Adlerkant. Mit glühend rothen Wangen
Kam er, als Liljenthal sein Meisterstück
Gelungen war, die Trepp' herabgegangen,
Und Zahren gleich gekleidet (wie vorhin
Wir schon bemerkt,) zu Nettchens Schlitten hin;
Sprang auf die Pritsche, nahm die Zügel, gab
Dem Gaul' die Zung', und fuhr mit lautem Klange
Antonien davon in vollem Trab'.
Als Zahren das vernahm, ward seine Wange
Bald blaß, bald roth; urplötzlich brach er ab,
Und lief und schrie, (denn ihm war mächtig bange,
Das Pferd sey durchgegangen,) »He! ho! he!
Ho! Männchen ho!« und fiel, bardauz! in Schnee.
Ich denk', ihr Herrn, wir lassen ihn da liegen;
Er findet so vielleicht, vom Tanz' erhitzt,
An dieser Art von Abkühlung Vergnügen.
Auch Liljenthal, der weiter uns nichts nützt,
Mag immer gehn, und andre mögen's rügen,
Daß er die Bolzen listig zugespitzt,[53]
Die Adlerkant, der sonst nicht leicht Verdruß
Im Herzen lange nährt, verschießen muß.
Als er so saß, den weißen Federhut
Ins Aug' herabgedrückt, um Mund und Ohren
Ein Tuch gebunden, hatt' er allen Muth,
Den Liljenthal ihm einsprach, fast verloren;
Auch war er, wahrlich! lange nicht so gut,
Als Zahren, zu der Rolle auserkoren.
Zum Glück', daß ihm die Nacht zu Hülfe kam,
Und Nettchen ihn für den Assessor nahm.
»Nun? was war das? was gab's denn dort? wen schickte
Der Kuckuck da noch?« – Adlerkanten schlug
Das Herz zwar sehr, doch was er sprach, erstickte
Zum guten Glück', sein vorgebundnes Tuch.
»Ei!« sagte Nettchen, als sie dieß erblickte,
Das machen Sie, bei meiner Treue, klug!
Die Lippen springen Einem leicht sonst auf.« –
»Ja freilich!« murmelt' Adlerkant darauf.[54]
Itzt ist es Zeit, dacht' unser Adlerkant,
Denn die Gelegenheit kommt niemals wieder!
Rasch ausgeführt, was Liljenthal erfand!
Hier sank sein Mund in Nettchens Nacken nieder.
Mit Seufzen drückt' er ihre warme Hand,
Und zärtlich drückte sie die sein' ihm wieder;
Drob brummt' er einen halb erstickten Fluch
Auf Nettchen her, und biß vor Wuth ins Tuch.
Itzt fühlt' er Muth, das letzte noch zu wagen,
Was Liljenthal ihm rieth. Er schlich empor
Zu Nettchens Busen, kam auch ohne Zagen,
(Denn nur die Lieb' ist zaghaft,) an den Flor:
Doch fühlt' er kaum ihn sanfte Wellen schlagen,
Als sich beinah so Muth als Wuth verlor;
Doch der Gedanke: Zahren ist's, nicht du!
Führt seine Hand rasch auf den Busen zu.
Als erst der Feind auf dem Glacis nur stand,
Da setzte Nettchen mit dem halben Heere,
(Das andre war in des Belagrers Hand)[55]
Sich freilich auch, nur, halb beherzt, zur Wehre;
Doch als er alle Schanzen überwand,
Rief sie dem Sieger zu: »Bei meiner Ehre!
Ich werde böse; Herr von Zahren! – Nein!
So gehn Sie doch! – Wie? heißt das artig seyn?« –
Doch Liljenthal hatt' ihm das auf ein Haar
Vorhergesagt, sonst würd' ihm ziemlich bange
Geworden seyn; itzt aber küßt' er gar
Noch oben drauf des Fräuleins heiße Wange;
Und, weil es nun einmal nicht anders war,
Gab Nettchen, voller Großmuth, selbst, dem Zwange
Gutwillig nach, und legt' aufs Bitten sich;
Und dabei blieb's, bis er von selber wich.
Drauf fuhr der Schlitten vor des Vaters Thür'.
»Ei!« rief der Alte, »guten Abend, Nette!
Denk, Adlerkant – die Freude wollt' ich dir
Erst machen, und ging drum nicht eh' zu Bette –
Ist Steuerrath mit tausend Thalern! dir
Ist das doch auch wohl angenehm? ich wette! –[56]
Nun, Herr Assessor! kommen Sie herein!
Sie werden so wohl halb erfroren seyn.«
»Ich bin nicht, wie Sie sehn, der Herr von Zahren,«
Sprach Adlerkant, und band sein Tuch sich ab,
»Doch ist mir's lieb, daß ich beim Schlittenfahren,
Mir, gnäd'ges Fräulein, seine Rolle gab.
Die weitr' Erklärung, denk' ich, kann ich sparen.«
Drauf wischt' er sich geschwind die Thränen ab,
Und ging, ohn' einmal noch sich umzusehn,
Und ließ, gerührt vom Blitze, Nettchen stehn.
Buchempfehlung
Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro