Sechster Abschnitt

[45] Kaum hüllt' in Dunkel sich der Abend ein,

Als sie vermummt die Stadt zu Fuß verließen.

Am Thore schon sah Adlerkant den Schein

Des Lichts von Heideplan; auf einmal ließen

Sich die Trompeten hören, dießmal kein

Ganz angenehmer Ton; an Händ' und Füßen

Fing Adlerkant vielmehr zu zittern an,

Und stand, und wollte näher nicht heran.

Sein Freund indeß sprach frischen Muth ihm ein,

Zog an der Hand ihn durch die Hinterpforte

Ins Haus, traf just die Wirthin hier allein,

Und gab ihr gleich so süße gute Worte

Aus seinem Beutel, daß sie Hals und Bein[46]

Fast auf der Treppe brach, sie nach dem Orte,

Den wir schon wissen, zu begleiten. – Still!

Ihr Herren, still! wer mit uns horchen will!

»Sieh hier durchs Schlüsselloch! dort an der Wand

Steht Nettchen und ihr süßes Närrchen, Zahren.

Sie reibt zum Punsch' mit ihrer zarten Hand

Zitronen ab, er aber preßt bei Paaren,

Der schwache Tropf! sie aus, und beugt galant

Sich über die Terrin', herabzufahren

In Nettchens Busen mit dem frechen Blick'!« –

»Sie zieht sich doch,« sprach Adlerkant, zurück?« –

»Den Teufel auch!« rief Liljenthal. »Sie steht –

Doch komm nur her, und sieh du selbst statt meiner!« –

Indem er nun zum Schlüsselloche geht,

Setzt' eben sich aus der Gesellschaft Einer

Gerade vor die Thür. »Ei! seht doch, seht!

Ich glaube fast, du Schelm, du spottest meiner![47]

Denn, Liljenthal, dort flimmert wohl so was;

Doch sehen kann ich, wahrlich! auch nicht das!« –

»So bist du blind! Laß sehn! – Ha wie sie wehrt,

Er soll zum Punsch' doch keinen Rack mehr gießen;

Er aber läßt sie immer, ungestört,

Die Flasche halten, trippeln mit den Füßen,

Und böse thun.« – Wie Adlerkant das hört,

Scheint es ihn schier ein wenig zu verdrießen;

Als er es aber selbst mit Augen sieht,

Erzittert ihm vor Wuth ein jedes Glied.

Und Nettchen ward von Zahren aufgezogen

Zum Tanze, den der wilde Deutsch' erfand.

Schnell hüpfte zwar der leichte Fiedelbogen

Auf Zahrens: »Presto!« in des Geigers Hand,

Doch selbst zuvor den Sechszehntheilen flogen

Des Fräuleins Füßchen; wie ein Kräusel wand

Sie sich herum, und einem Segel glich

Ihr seidner Rock, so bläht' im Wind' er sich.[48]

Doch Adlerkant vermocht' es länger nicht

Mit anzusehn, sank auf der Wirthin Bette,

Sprang aber, so verstört im Angesicht',

Als wenn er einen Freund ermordet hätte,

Mit einmal auf. »Nun thu' ich gern Verzicht,

Mein lieber Liljenthal, auf die Kokette,

Die Schlange die! Komm! komm und laß uns gehn!

Ich mag sie nie mit Augen wieder sehn.« –

»Nun? welche Fliege mag so arg dich stechen?

Ich sehe wohl, sie walzt mit Zahren hier;

Doch ist denn das ein Kapitalverbrechen?

Gesetzt den Fall, sie walzte nun mit dir?

Ist's weiter nichts, so wirst du anders sprechen,

Sind wir nur erst zweihundert Schritt' von hier.« –

»So wahr« – Was? schwöre nicht darauf!

Ich kenne – still! still! die Musik hört auf!« –

Und keuchend ließen beide Tänzer sich

Auf Stühlen vor der Kammerthüre nieder.

»Ich muß gestehn, Sie übertreffen mich!«[49]

Sprach Nettchen, als sie kaum zu Athem wieder

Gekommen war. »Schachmatt, schachmatt bin ich!

Doch Sie, Sie tanzten noch drei andre nieder.« –

»Soll ich?« rief Zahren. »'S schlimmst' ist nur dabei,

Die übrigen sind wie ein Klumpen Blei.«

»Sie loser Mann! wer will so medisiren?

Dafür gehört sich Strafe!« – und ein Schlag

Von ihrem Fächer mußt' ihn überführen,

Die Schmeichelei, die in dem Klumpen lag,

So plump sie war, sey, Weibes Herz zu rühren,

Noch fein genug. Man kommt damit im Tag'

Auch weiter, als Herr Adlerkant im Jahr'

Mit seinem stillen Blick' gekommen war.

Doch Schmeichelei bringt nicht allein ans Ziel;

Musik und Tanz hilft schon ein wenig weiter;

Erregt, in Spröden selbst, so ein Gefühl,

Das sehr behagt, macht ihre Stirnen heiter,

Ihr Auge stralend, und ein Pfänderspiel[50]

Beim Punsch' – kurz, sehet da die Leiter,

Auf der geschwind, ohn' offenbaren Krieg,

Mein Zahren still ins Herz des Fräuleins stieg.

»Wie wär' es? gnäd'ge Frölen,« sagte Zahren,

»Wir warteten heut' Abend bis zuletzt?

Am sichersten ist's hinterher zu fahren;

Denn, was ich nicht befürchte, doch gesetzt,

Der Schlitten fällt, so wird, Gott soll bewahren!

Der gleich zu Muß getreten und zerfetzt,

Wer in dem Wege liegt.« – »Ach! nein denn, nein!

So lassen Sie uns ja die Letzten seyn.« –

Kaum hörte dieß der Herr von Liljenthal,

Als er geschwind noch einen Plan erdachte,

Den armen Adlerkant von seiner Qual

Schnell zu befrein. Doch, was ihm Sorge machte,

War, daß sein blöder Freund zum erstenmal

Ein Ding, woran er schon mit Zittern dachte,

Mit eigner Hand thun sollt', und (Wunder! schreit

Der Autor hier, weil's reimt,) er war bereit![51]

Des Steuerraths Veränderung ist zwar,

Wie der Verfolg die Herren selbst wird lehren,

So ziemlich rasch und deßhalb sonderbar.

Doch wißt ihr, Lieb' und Eifersucht verkehren

In einen Tiger, was ein Lämmchen war.

Hier durften sie, was euch vielleicht Schimären

Und Possen sind, im Herzen nur zerstreun. –

Doch seht! sie brechen auf und steigen ein!

Der Herr Assessor stand bereits und neckte

Antonien, die gern geschehen ließ,

Daß er ihr Füßchen in den Fußsack steckte,

Als Liljenthal, der dieß dem Bräut'gam wieß,

Herab flog in den Hof, und ihm entdeckte:

Sein Tod und Leben, Höll' und Paradies,

Hang' ab von einer wichtigen Heimlichkeit;

Sie zu entdecken sey die höchste Zeit.

Und Zahren bat sich einen Augenblick

Erlaubniß aus von Nettchen. Jene sprangen

Ins Haus hinein. Wir gehn indeß zurück[52]

Zu Adlerkant. Mit glühend rothen Wangen

Kam er, als Liljenthal sein Meisterstück

Gelungen war, die Trepp' herabgegangen,

Und Zahren gleich gekleidet (wie vorhin

Wir schon bemerkt,) zu Nettchens Schlitten hin;

Sprang auf die Pritsche, nahm die Zügel, gab

Dem Gaul' die Zung', und fuhr mit lautem Klange

Antonien davon in vollem Trab'.

Als Zahren das vernahm, ward seine Wange

Bald blaß, bald roth; urplötzlich brach er ab,

Und lief und schrie, (denn ihm war mächtig bange,

Das Pferd sey durchgegangen,) »He! ho! he!

Ho! Männchen ho!« und fiel, bardauz! in Schnee.

Ich denk', ihr Herrn, wir lassen ihn da liegen;

Er findet so vielleicht, vom Tanz' erhitzt,

An dieser Art von Abkühlung Vergnügen.

Auch Liljenthal, der weiter uns nichts nützt,

Mag immer gehn, und andre mögen's rügen,

Daß er die Bolzen listig zugespitzt,[53]

Die Adlerkant, der sonst nicht leicht Verdruß

Im Herzen lange nährt, verschießen muß.

Als er so saß, den weißen Federhut

Ins Aug' herabgedrückt, um Mund und Ohren

Ein Tuch gebunden, hatt' er allen Muth,

Den Liljenthal ihm einsprach, fast verloren;

Auch war er, wahrlich! lange nicht so gut,

Als Zahren, zu der Rolle auserkoren.

Zum Glück', daß ihm die Nacht zu Hülfe kam,

Und Nettchen ihn für den Assessor nahm.

»Nun? was war das? was gab's denn dort? wen schickte

Der Kuckuck da noch?« – Adlerkanten schlug

Das Herz zwar sehr, doch was er sprach, erstickte

Zum guten Glück', sein vorgebundnes Tuch.

»Ei!« sagte Nettchen, als sie dieß erblickte,

Das machen Sie, bei meiner Treue, klug!

Die Lippen springen Einem leicht sonst auf.« –

»Ja freilich!« murmelt' Adlerkant darauf.[54]

Itzt ist es Zeit, dacht' unser Adlerkant,

Denn die Gelegenheit kommt niemals wieder!

Rasch ausgeführt, was Liljenthal erfand!

Hier sank sein Mund in Nettchens Nacken nieder.

Mit Seufzen drückt' er ihre warme Hand,

Und zärtlich drückte sie die sein' ihm wieder;

Drob brummt' er einen halb erstickten Fluch

Auf Nettchen her, und biß vor Wuth ins Tuch.

Itzt fühlt' er Muth, das letzte noch zu wagen,

Was Liljenthal ihm rieth. Er schlich empor

Zu Nettchens Busen, kam auch ohne Zagen,

(Denn nur die Lieb' ist zaghaft,) an den Flor:

Doch fühlt' er kaum ihn sanfte Wellen schlagen,

Als sich beinah so Muth als Wuth verlor;

Doch der Gedanke: Zahren ist's, nicht du!

Führt seine Hand rasch auf den Busen zu.

Als erst der Feind auf dem Glacis nur stand,

Da setzte Nettchen mit dem halben Heere,

(Das andre war in des Belagrers Hand)[55]

Sich freilich auch, nur, halb beherzt, zur Wehre;

Doch als er alle Schanzen überwand,

Rief sie dem Sieger zu: »Bei meiner Ehre!

Ich werde böse; Herr von Zahren! – Nein!

So gehn Sie doch! – Wie? heißt das artig seyn?« –

Doch Liljenthal hatt' ihm das auf ein Haar

Vorhergesagt, sonst würd' ihm ziemlich bange

Geworden seyn; itzt aber küßt' er gar

Noch oben drauf des Fräuleins heiße Wange;

Und, weil es nun einmal nicht anders war,

Gab Nettchen, voller Großmuth, selbst, dem Zwange

Gutwillig nach, und legt' aufs Bitten sich;

Und dabei blieb's, bis er von selber wich.

Drauf fuhr der Schlitten vor des Vaters Thür'.

»Ei!« rief der Alte, »guten Abend, Nette!

Denk, Adlerkant – die Freude wollt' ich dir

Erst machen, und ging drum nicht eh' zu Bette –

Ist Steuerrath mit tausend Thalern! dir

Ist das doch auch wohl angenehm? ich wette! –[56]

Nun, Herr Assessor! kommen Sie herein!

Sie werden so wohl halb erfroren seyn.«

»Ich bin nicht, wie Sie sehn, der Herr von Zahren,«

Sprach Adlerkant, und band sein Tuch sich ab,

»Doch ist mir's lieb, daß ich beim Schlittenfahren,

Mir, gnäd'ges Fräulein, seine Rolle gab.

Die weitr' Erklärung, denk' ich, kann ich sparen.«

Drauf wischt' er sich geschwind die Thränen ab,

Und ging, ohn' einmal noch sich umzusehn,

Und ließ, gerührt vom Blitze, Nettchen stehn.

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 4, Frankfurt a.M. 1821, S. 45-57.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon