Als er seinem Tode entgegen sah

[131] Meine Thränen sind geweint!

Meine Seufzer sind verflogen!

Ruhig bin ich, keinem feind,

Selbst nicht der, die mich betrogen,

Zwar wie liegt die Müdigkeit

Schwer auf meinem ganzen Wesen!

Aber nur noch kurze Zeit,

Kranker! und du bist genesen!

O! dem Ekel sey es Dank,

Daß er gern den Gram begleitet,

Daß er gütig Speis' und Trank

Mir mit Wermuth zubereitet;

Denn in jedem Bissen Brod[132]

Und in jedem Tropfen Weine,

Nähm' und tränk' ich spätern Tod

In die schmachtenden Gebeine.

Ha! zum allerersten mal

Seh' ich mich vergnügt im Spiegel!

Welch ein dürres weißes Thal

Sind itzt diese Rosenhügel

Meiner Wangen? wie so klein,

Wie so düster diese Sonnen?

Suada, Scherz und Schmeicheleyn,

Sind von meinem Mund' entronnen.

Nur noch wenig, wenig Fluth

Treibt des Herzens träge Mühle;

Bald ihr müden Füße ruht,

Ruht euch aus am nahen Ziele!

Ach! Gehirn! dein Feuer macht

Meines Lebens Abend schwüle.

Aber sieh! da kommt die Nacht!

Diese bringet mich ins Kühle.[133]

Todesnacht! sollt' ich in dir,

Ungewiß, wie lange? schlafen,

O! wie könnte schon mich hier

Die Natur wohl härter strafen?

Schlafen, oder nicht mehr seyn,

Das ist Eins, eh' er's erfähret;

Ruhe werde dem Gebein',

Und Gefühl dem Geist' gewähret.

Wieder wachen wirst du Geist!

Zwar wie liegt die trockne Hülle,

Die der Schmetterling zerreißt,

Gleich als schlief er noch, so stille?

Aber sieh! dort fliegt er schon

Auf die blaue Veilchen-Aue,

Sauget Honig aus dem Mohn,

Oder trinkt vom Rosenthaue.

Doch, o Seele! sey auch wach:

Wirst du diese Welt nicht missen?

Wirst du noch von Nantchen (ach![134]

Dort gewiß mein Nantchen) wissen?

Wirst du, oder wirst du nicht? –

Nicht? – Entsetzen! Tod! Erbarmen!

Schone! sieh! mein Herz zerbricht!

Mörder! fort aus meinen Armen!

Ahnung? Traum? was ist es? wie?

Bleibt mein Nantchen in mir leben?

Bleib' ich hier? und werd' ich sie

Wie die dichte Luft umgeben?

Wann die Reu' in ihr erwacht,

Werd' ich Tröster seyn, nicht Rächer?

Werd' ich? – Leben! gute Nacht!

Gib mir, Tod! den Schlummerbecher!

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 3, Frankfurt a.M. 1821, S. 131-135.
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