An Nantchen

[122] Warnung vor ihrem neuen Liebhaber.


Ach! gelassen, nicht mit Grimme,

Bitt' ich dich noch einmal um Gehör;

Oder kennst du meine Stimme,

Die dir sonst bezaubernd klang, nicht mehr?

Fürchtest du, der Schwermuth Klagen

Möchten dir am Herzen nagen?

Fürchte nichts! ich liebe dich zu sehr!

Kannst du itzt dich noch besinnen,

Armes Mädchen, so besinne dich!

Glaube, meine Thränen rinnen

Mehr um deine Blindheit, als für mich.

Sey aus meinem Arm' entronnen,

Stürze nur nicht unbesonnen

Ohn' Erretten in den Abgrund dich![123]

Welcher Trank hat deine Sinnen,

Diese Sclaven, wider dich empört?

Gibt es itzt noch Zauberinnen,

Wie Ovid und Ariost sie lehrt?

Gab auch die Natur dem Weibe

Schwächern Geist, bei schönerm Leibe,

Dennoch ward so schwach er nicht genährt.

Zwar die Liebe trotzt Barbaren

Thränen für den Kuß der Hirtin ab,

Lehret den Verschwender sparen,

Oeffnet Geitzigen des Goldes Grab;

Bricht, wie Glas, durch zarte Hände,

Stäb' und Riegel; hohe Wände

Springt die Feigheit selbst durch sie herab.

Laß sie mit den Thoren scherzen,

Mit zwo edlen Seelen scherzt sie nicht!

Durch die Sympathie der Herzen

Lockt sie hier, und dort, mit dem Gesicht'.

Was den stillen Hirsch empöret,[124]

Selbst was Täubchen girren lehret,

Das verdient den Namen Liebe nicht.

Nicht des Plato Schwärmereyen,

Nicht Petrarchens süßer Traurigkeit,

Nicht la Farre's Tändeleyen,

Nicht der Wollust sey mein Herz geweiht.

Aber etwas von dem allen

Mög' in meinem Blute wallen,

Wo die Tugend Ebb' und Flut gebeut.

Diese Mischung tränkt mit Freuden,

Die von Tausenden nur Einer kennt.

Aber hatte nicht uns beiden

Dieß Geheimniß die Natur gegönnt?

Wird – wie soll ich wohl ihn nennen? –

Wird auch der es jemals kennen,

Welchem itzt dein Fuß entgegen rennt?

Wird sein Herz wie Wachs zerfließen?

Wenn er ja noch deine Lieder liest!

Wird sein Geist den Kuß versüßen,[125]

Den sein Mund von deinem Munde küßt?

Wird vor deinen Melodien

Wohl sein Eigensinn entfliehen,

Wenn der Ekel seine Freuden frißt?

Wird er mit des Witzes Kerze

Je die Nacht auf deiner Stirn' zerstreun?

Wird er deinem stummen Schmerze

Seine trostberedte Zunge leihn?

Wird er weinend auf dich blicken,

Seufzend dir die Hände drücken,

Wann Clarissen Ungeheuer dräun?

Noch bei grauem Sternenhimmel

Wird er weg von deiner Seite fliehn,

In dem Hund'- und Roß-Getümmel

Froh und wild hinaus zum Morden ziehn,

Und bedeckt von Blut und Staube,

Wird er stehn bei seinem Raube,

Ohn' um deinen Kuß sich zu bemühn![126]

Aberwitz des lahmen Boten1

Oeffnet ihm der Weisheit goldnes Thor,

Lieblicher als Hillers Noten

Dünket Caro's2 Bellen seinem Ohr';

Eine Volte seines Braunen

Hebt zu himmlischern Erstaunen

Als der Flug von Klopstock ihn empor.

Wenn aus Ahnenreichen Bauren

Sein Burgunder frechen Unsinn schreyt,

O! wie wirst du heimlich trauren,

Wenn man so dein heilig Ohr entweiht;

Daß dein Blut, heraufgegangen

Aus den Zähen in die Wangen,

Wie dein Auge, jeden Anblick scheut.

Reitze, die ich dann noch fände,

Wenn sie schon ein Raub der Jahre sind,[127]

Nehmen schnell bei ihm ein Ende,

Denn sein Aug' ist für die Seele blind.

Willst du weinen? willst du zürnen?

Wenn ihn eine deiner Dirnen

Mit der Herrschaft über dich gewinnt?

Wagt' ich je den Stolz, zu sagen:

Ich verdiente dich der Mädchen Preis?

Das Vergangne will ich tragen;

Kannst du mich lieben? Nun, so sey's!

Ich will selbst zuerst dich preisen,

Schenke nur dich einem Weisen,

Der dich so wie ich zu schätzen weiß.

Fußnoten

1 Ein politisches Blatt, sonst der hinkende Staatsbote genannt, das in der Gegend häufig von den Landedelleuten gelesen wurde.


2 Name eines Jagdhundes.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 3, Frankfurt a.M. 1821, S. 122-128.
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