Das Wunderhemde

[128] In alten Zeiten ritt ein Ritter,

Conrad von Reizenstein,

Nach Anspach; aber ein Gewitter

Trieb ihn nach Heilgenbein;

Hier kehrt' er in der goldnen Zitter

Auf ein paar Stunden ein.

Und gegenüber saß ein Mädchen,

Schön, wie einst Galathee;

Sie spann auf ihrem bunten Rädchen

Flachs, weißer als der Schnee,

Und sah nur immer auf ihr Fädchen,

Und niemals in die Höh'.[129]

»Herr Wirth! was ist das für ein Mädchen,

Die in der Thür' da spinnt?« –

Die dort? Es ist des Kirchners Käthchen,

Und meiner Tochter Kind;

Glaubt's Keiner, was mit ihrem Rädchen

Das Ding für Geld gewinnt!

»So?« sagte Conrad, »nun das heiß' ich

Auch spinnen!« – ging hinaus

Und hin zu ihr. »Ei! noch so fleißig?

Du spinnst ja wie ein Daus!« –

Man muß wohl; denn ein Schock'er dreißig

Zupft man nicht gleich heraus! –

»Hm!« fiel ihr jener in die Rede,

»Wenn dir's an Geld gebricht« –

I! das nicht! doch für eine jede

Ist dieser Flachs nur nicht!

Und röther ward, als sie dieß blöde

Herlispelt', ihr Gesicht.[130]

Dieß hört' ihr Vater auf der Diele

Gelassen erst mit an.

Doch, dacht' er, es ist Zeit, ich spiele

Nur bald den dritten Mann;

Denn schlimmer Ritter gibt es viele,

Und Käthchen wächst heran.

Der Herr wird nach dem Flachs wohl fragen?

Sprach unser Kirchner; zwar

Klingt das, was ich davon kann sagen,

Wohl freilich wunderbar,

Doch soll der Kirchthurm mich erschlagen,

Ist nur ein Wort nicht wahr!

Beim heil'gen Stephan! In ganz Sachsen,

Ja! in ganz Deutschland wohl,

Muß solcher Flachs, wie der, nicht wachsen!

Wer's anders red't, (hier schwoll

Sein Kinn ihm) den will ich beflachsen,

Daß er dran denken soll![131]

Er wächst sonst nirgend, als zur Seite

Der Kirche hier; ja, ja!

Was liegen auch für fromme Leute,

Exempli gratia

Nur Weiber, die den Kranz als Bräute

Mit Ehren trugen, da!

Dem Flachs, vom Grabe dieser Frommen,

(Der Name Heilgenbein

Ist drum davon auch hergenommen)

Darf keine, die zum Schein'

Nur Jungfer ist, zu nahe kommen,

Sonst muß sie Zeter schrein.

Drum wird im Dorfe manches Mädchen,

Die nur ihn sieht, schon bleich;

Denn rührt Eins von dem Flachs ein Fädchen

Nur an, so brennt es gleich

Wie Feuer; aber hier mein Käthchen

Spinnt sich daran noch reich.[132]

Für Eine solche Stiege Linnen

Kauf' ich das beste Pferd.

Ihr denkt wohl: Ist der Kerl bei Sinnen?

Allein die Stieg' ist's werth;

Denn es ist eine Kraft darinnen –

Wie Feuer und wie Schwert!

Zieht eine Braut am Hochzeittage

Ein Hemde davon an,

Und ist nicht Jungfer: Höllenplage

Fühlt sie am Leibe dann,

Und jeder Floh im Ehrgelage

Setzt an die Braut sich an.

Doch – Käthchen! daß dich Gott bewahre! –

Ist sie noch, wie ein Lamm,

Voll Unschuld an dem Traualtare,

So wird dem Bräutigam

Sie treu bis an die Todtenbahre,

Und jeder Floh ihr gram. –[133]

»He da!« rief Conrad einer Dirne

Von fern zu, und empor

Hielt er ein Goldstück; »Komm! und zwirne

Drei Faden Garn hievor!« –

Das Mädchen runzelte die Stirne,

Und hatt' ein taubes Ohr.

Doch Conrad hin, und zog's herüber

Zum Spinnerocken, nahm

Des Mädchens Hand, und wischte drüber

Mit Flachs her; – wundersam! –

Da schrie die Dirne, daß man's über

Zehn Häuser weg vernahm.

»Nein, Mann! ihr sagtet keine Lüge!

Laßt von den Linnen mir

Für Geld nur eine halbe Stiege.« –

Und fort trug Conrad, schier

So froh, sie, als nach einem Siege

Den Dank aus dem Turnier.[134]

»Ach Ursel! wenn ich dich nur hätte,«

Seufzt' unser Reizenstein,

»Dich Preis der Fräulein! deren Kette

Schon lang ich trug mit Pein!

Dich, ohne Floh, in meinem Bette –

Wie glücklich würd' ich seyn!«

Und sie erhört' ihn. Endlich rückte

Der Hochzeittag heran,

An dem er früh das Hemd' ihr schickte,

Das Käthchen für sie spann.

Drauf kam der Ritter selbst, und blickte

Neugierig Urseln an.

Doch grad und schlank, wie eine Lanze,

Voll Unschuld wie ein Kind,

Stand sie in ihrem Myrtenkranze.

Ach! aber, wie geschwind

Verschwand der Nebel! denn beim Tanze

War Reizenstein nicht blind.[135]

Urplötzlich stand erblaßt der Ritter

Wie eine Säule da,

Als durch des Busenflores Gitter

Ein andres Hemd' er sah.

»Ist das mein Hemde?« fragt' er bitter,

»Liebt ihr mich so? Ha ha!« –

Ich zog es, schwör' ich hoch und theuer,

Heut' an; im Augenblick'

Brannt's aber auf der Haut wie Feuer. –

»Ei!« sprach, mit Wuth im Blick',

Der Ritter, »welch' ein Abenteuer!

So gebt mir's nur zurück!«

Sie ging und bracht' es ihm; mit Zittern

Nahm Conrad ihr es ab,

Und riß den Kranz von Myrt' und Flittern

Von ihrem Haupt' herab,

Und rief: »Laß hier nicht lang dich wittern,

Sonst findest du dein Grab!«[136]

Kaum hatt' er dieß gesagt, und streckte

Die Hand zum Schwerte schon,

So war sie, die sein Grimm erschreckte,

Aus dem Gemach' entflohn.

Ach aber! ihre Schuld entdeckte

Bald drauf ein junger Sohn.

Und Conrad wagt die große Wage

Beherzt zum zweitenmal,

Doch glücklicher war, nach der Sage

Der Chronik, seine Wahl;

Die Braut trug an dem Hochzeittage

Das Hemd' ohn' alle Qual.

Sie trieb die Flöhe, wie wir lesen,

(So wie einst Rabener

Die Witzling' und die Narrn zu Dresden,)

In Herden vor sich her;

Ist von zwölf Kindern zwar genesen,

Doch Vater war nur Er.[137]

»Ach!« seufzt' er diesen zu, beim Scheiden,

»Reibt euch damit! – Ihr kennt

Dieß Hemde doch? – wenn ihr den Leiden

Des Vaters, Lindrung gönnt!« –

Die Fräulein rieben sich mit Freuden,

Und keine schrie: Es brennt!

»Ich dank' euch, Töchter! Jede schütze

Sich ferner, wie zuvor!« –

Drauf küßt' er sie, zog seine Mütze

Gelassen über's Ohr,

Und fuhr zu Gottes Wolkensitze

Als freier Geist empor.

Das Hemde kam in unsern Tagen

An Bastel1 Reizenstein;

Sie, die als Braut es auch getragen,

Doch nicht mit Ursels Pein,

Legt' dieses Kleinod in den Wagen,

Auf Reisen, selbst mit ein.[138]

Allein, wer ist, der auf der Reise

Noch nichts vergessen hat?

So blieb auch sonderbarer Weise

Dieß Hemd' in Halberstadt;

»Mit Willen!« zischt der Spötter leise,

Doch spott' er nur sich satt!

Zur Ehre meiner Landsmänninen

Sey laut es hiermit kund:

Daß drei von ihnen, mit dem Linnen

Die Hände fast sich wund

Gerieben; sind indeß von innen

Und außen noch gesund.

Fußnoten

1 Das in Franken übliche Diminutiv von Sebastiane.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 4, Frankfurt a.M. 1821, S. 128-139.
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