Zweiter Auftritt

[13] Der Graf. Vorige.


GRAF unter der Türe hinterwärts sprechend. Assaraton! Pantassaraton! Dienstbare Geister, bleibt an der Türe, laßt niemand entwischen! leidet nicht, daß jemand über die Schwelle gehe, der nicht von mir bezeichnet ist.

DIE FRAUEN. Weh uns!

DIE MÄNNER. Was soll das werden!

GRAF. Uriel, du zu meiner Rechten, Ithruriel, du zu meiner Linken, tretet herein. Bestrafet die Verbrecher, denen ich diesmal nicht vergeben werde.

DIE FRAUEN. Wohin verkriech ich mich!

DOMHERR. Es ist alles verloren!

GRAF. Uriel! Pause, als wenn er Antwort vernähme. So recht! – »Hier bin ich!«, das ist dein gewöhnlicher Spruch, folgsamer Geist. – Uriel, fasse diese Weiber!


Die Mädchen tun einen lauten Schrei.


Führe sie weit über Berg und Tal, setze sie auf einen Kreuzweg nieder; denn sie glauben nicht, sie gehorchen nicht, bis sie fühlen. Greif zu!

DIE FRAUEN. Ai! Ai! Er hat mich! – Großer Meister, um Gottes willen!

MARQUISE. Herr Graf!

DIE FRAUEN. Kniend bitten wir unsre Schuld ab.

GRAF. Uriel, du bittest für sie! Soll ich mich erweichen lassen!

DIE FRAUEN. Bitte für uns, Uriel!

MARQUISE. Ist es erlaubt, diese Geschöpfe so zu ängstigen!

GRAF. Was! Was! Auf Ihre Knie nieder, Madame! Nicht vor mir, vor den unsichtbaren Mächten, die neben mir stehen, auf die Knie! Können Sie ein schuldloses Herz ein freies Angesicht gegen diese himmlischen Gestalten wenden?[13]

EIN MÄDCHEN. Siehst du was?

DIE ANDRE. Einen Schatten, ganz dicht an ihm!

GRAF. Wie sieht es in Ihrem Herzen aus?

MARQUISE. Großer Meister! Schone des zarten Geschlechts!

GRAF. Ich bin gerührt, nicht erweicht. Ithruriel! ergreife diese Männer, führe sie in meine tiefsten Keller.

DOMHERR. Mein Herr und Meister!

RITTER. Nicht ein Wort mehr! Ihre Geister erschrecken uns nicht, und hier ist eine Klinge gegen Sie selbst. Glauben Sie nicht, daß wir noch Arm und Mut genug haben, uns und diese Frauen zu verteidigen?

GRAF. Törichter Jüngling! Zieh völlig, ziehe! Stoß hieher, hieher auf diese freie unbeschützte Brust! stoß her, daß ein Zeichen geschehe für dich und alle. Ein dreifacher Harnisch, der Rechtschaffenheit, der Weisheit, der Zauberkraft, schützt diese Brust. Stoß her und suche die Stücke deiner zerbrochenen Klinge beschämt zu meinen Füßen.

DIE MÄNNER. Welche Majestät!

DIE FRAUEN. Welche Gewalt!

DIE MÄNNER. Welche Stimme!

DIE FRAUEN. Welch ein Mann!

DER RITTER. Was soll ich tun?

DOMHERR. Was kann das werden?

MARQUISE. Was soll ich sagen?

GRAF. Steht auf! ich begnadige das unverständige Geschlecht. Meine verirrten Kinder will ich nicht ganz verstoßen; doch alle Züchtigung erlaß ich euch nicht. Zu den Männern. Entfernt euch!


Die Männer treten in den Grund zurück.


Zu den Frauen. Und ihr, faßt und sammelt euch! Als wenn er vertraulich zu den Geistern spräche. Uriel! Ithruriel! geht zu euren Brüdern! Zu den Frauen. Nun laßt hören, ob ihr meiner Lehren noch eingedenk seid. – Was sind die Haupttugenden der Weiber?[14]

ERSTES MÄDCHEN. Geduld und Gehorsam.

GRAF. Was ist ihr Sinnbild?

ZWEITES MÄDCHEN. Der Mond.

GRAF gegen die Marquise. Warum?

MARQUISE. Weil er sie erinnert, daß sie kein eigen Licht haben, sondern daß sie allen Glanz vom Manne erhalten.

GRAF. Wohl, das merkt euch! – Und nun, wenn ihr nach Hause fahrt, werdet ihr linker Hand das erste Viertel am klaren Himmel erblicken; dann sprecht untereinander: »Seht, wie zierlich es da steht! welches gemäßigte Licht! welche schöne Taille! welche Sittsamkeit! das wahre Bild einer liebenswürdigen heranwachsenden Jungfrau.« Erblickt ihr künftig den Vollmond, so ermahnt euch untereinander und sprecht: »Wie schön glänzt das Bild einer glücklichen Hausfrau! sie wendet ihr Gesicht gerade ihrem Manne zu; sie fängt die Strahlen seines Lichtes auf, die sanft und lieblich von ihr widerglänzen.« Das bedenkt recht und führt untereinander dieses Bild aus, so gut ihr nur könnt; setzt eure Betrachtungen so weit fort, als ihr vermöget; bildet euren Geist, erhebt euer Gemüt: denn so nur könnt ihr würdig werden, das Angesicht des Großkophta zu schauen. – Nun geht! übertretet keines meiner Gebote, und der Himmel behüte euch vor dem abnehmenden Lichte, vor dem betrübten Witwenstande! – Ihr fahrt sogleich sämtlich nach der Stadt, und nur eine strenge Buße kann euch Vergebung erwerben und die Ankunft des Großkophta beschleunigen. Lebt wohl.

MARQUISE beiseite. Der verwünschte Kerl! Er ist ein Phantast, ein Lügner, ein Betrüger; ich weiß es, ich bin's überzeugt; und doch imponiert er mir!


Die Frauenzimmer neigen sich und gehen ab.
[15]


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Berlin 1960 ff, S. 13-16.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Großkophta
Der Großkophta

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon