[48] Die Vorigen. Der Graf.
GRAF indem er seinen Hut abnimmt und gleich wieder aufsetzt. Ich grüße euch, Männer des zweiten Grades!
DOMHERR. Wir danken dir!
RITTER. Nennst du mich auch schon so?
GRAF. Den ich so grüße, der ist's. Er setzt sich auf den mittelsten Sessel. Bedeckt euch.
DOMHERR. Du befiehlst es! Er setzt auf.
GRAF. Ich befehle nicht. Ihr bedient euch eures Rechtes; ich erinnere euch nur.
RITTER beiseite, indem er den Hut aufsetzt. Welche Milde! Welche Nachsicht! Ich brenne vor Begierde, die Geheimnisse des zweiten Grades zu hören.
GRAF. Setzt euch, meine Freunde, setzt euch, meine Gehülfen!
DOMHERR. Die Gehülfen sollten vor dem Meister stehen, um, gleich dienstbaren Geistern, seine Befehle schleunig auszurichten.
GRAF. Wohl gesprochen! Aber sie sitzen bei ihm, weil sie seine Räte mehr als seine Diener sind.
Beide setzen sich.
GRAF zum Ritter. Wie nennt man die Männer des zweiten Grades?
RITTER. Wenn ich eben recht hörte: Gehülfen.
GRAF. Warum mögen sie diesen Namen tragen?
RITTER. Wahrscheinlich, weil sie der Meister aufgeklärt und tätig genug findet, zu seinen Absichten mitzuwirken und seine Zwecke zu erfüllen.
GRAF. Was denkst du von den Endzwecken dieses Grades?
RITTER. Ich kann mir nichts anders denken, als daß wir nun erst ausüben sollen, was uns der erste Grad gelehrt hat. Dem Schüler zeigt man von weitem, was zu tun ist; dem[48] Gehülfen gibt man die Mittel an die Hand, wie er das Ziel erreichen könne.
GRAF. Was ist das Ziel, das man den Schülern vorsteckt?
RITTER. Das eigene Beste in dem Besten der andern zu suchen.
GRAF. Was erwartet nun der antretende Gehülfe?
RITTER. Daß ihm der Meister die Mittel anzeigen soll, das allgemeine Beste zu befördern.
GRAF. Erkläre dich näher.
RITTER. Du weißt besser als ich selbst, was ich zu sagen habe. In jedes gute Herz ist das edle Gefühl von der Natur gelegt, daß es für sich allein nicht glücklich sein kann, daß es sein Glück in dem Wohl der andern suchen muß. Dieses schöne Gefühl weißt du in den Schülern des ersten Grades zu erregen, zu stärken, zu beleben! – Und wie nötig ist es, uns zum Guten Mut zu machen! Unser Herz, das von Kindheit an nur in der Geselligkeit sein Glück findet, das sich so gern hingibt und nur dann am höchsten und reinsten genießt, wenn es sich für einen geliebten Gegenstand aufopfern kann – ach! dieses Herz wird leider durch den Sturm der Welt aus seinen liebsten Träumen gerissen! Was wir geben können, will niemand nehmen; wo wir zu wirken streben, will niemand helfen; wir suchen und versuchen und finden uns bald in der Einsamkeit.
GRAF nach einer Pause. Weiter, mein Sohn.
RITTER. Und was noch schlimmer ist, mutlos und klein. Wer beschreibt die Schmerzen eines verkannten, von allen Seiten zurückgestoßenen menschenfreundlichen Herzens? Wer drückt die langen, langsamen Qualen eines Gemüts aus, das, zu wohltätiger Teilnehmung geboren, ungern seine Wünsche und Hoffnungen aufgibt und sich doch zuletzt derselben auf ewig entäußern muß? Glücklich, wenn es ihm noch möglich wird, eine Gattin, einen Freund zu finden, denen er das einzeln schenken kann, was dem ganzen Menschengeschlechte zugedacht war;[49] wenn er Kindern, wenn er – Tieren nützlich und wohltätig sein kann!
GRAF. Ihr habt noch mehr zu sagen, fahrt fort.
RITTER. Ja, dieses schöne Gefühl belebt Ihr in Euren Schülern aufs neue. Ihr gebt ihnen Hoffnung, daß die Hindernisse, die dem sittlichen Menschen entgegenstehen, nicht unüberwindlich sei'n, daß es möglich sei, sich nicht allein zu kennen, sondern sich auch zu bessern; daß es möglich sei, die Rechte der Menschen nicht nur einzusehen, sondern auch geltend zu machen, und indem man für andere arbeitet, zugleich den einzigen schönen Lohn für sich gewinnen –
GRAF zum Domherrn, der sich bisher unruhig auf seinem Sessel bewegt hat. Was sagt Ihr zu diesen Äußerungen unsers Ritters?
DOMHERR lächelnd. Daß sie von einem Schüler kommen und von keinem Gefährten.
RITTER. Wie?
DOMHERR. Es ist nicht von ihm zu verlangen, er muß belehrt werden.
RITTER. Was?
DOMHERR. Sage mir den Wahlspruch des ersten Grades.
RITTER. Was du willst, daß die Menschen für dich tun sollen, das tue für sie.
DOMHERR. Vernimm dagegen den Wahlspruch des zweiten Grades: Was du willst, daß die Menschen für dich tun sollen, das tue für sie nicht.
RITTER aufspringend. Nicht? Hat man mich zum besten? – Darf ein vernünftiger, ein edler Mensch so reden?
GRAF. Setze dich nieder und höre zu. Zum Domherrn. Wo ist der Mittelpunkt der Welt, auf den sich alles beziehen muß?
DOMHERR. In unserm Herzen.
GRAF. Was ist unser höchstes Gesetz?
DOMHERR. Unser eigener Vorteil.
GRAF. Was lehrt uns der zweite Grad?
DOMHERR. Weise und klug zu sein.[50]
GRAF. Wer ist der Weiseste?
DOMHERR. Der nichts anders weiß noch will als das, was begegnet.
GRAF. Wer ist der Klügste?
DOMHERR. Der in allem, was ihm begegnet, seinen Vorteil findet.
RITTER der wieder aufspringt. Entlaßt mich! Es ist mir unmöglich, es ist mir unerträglich, solche Reden zu hören.
DOMHERR halb lachend. Ging es mir doch beinahe ebenso wie Ihnen. Zum Grafen. Es ist ihm zu verzeihen, daß er sich so ungebärdig stellt. Zum Ritter: Beruhigen Sie sich, Sie werden schon über sich selbst lachen und uns das Lächeln verzeihen, das Sie in diesem Augenblick verdrießt. Aus dem Felde der jugendlichen Schwärmerei, worin der Meister seine Schüler gängelt, glaubt man über eine goldene Brücke in eine reizende Feenwelt hinübergeführt zu werden. Und freilich ist es unerwartet, wenn man unsanft in die wirkliche Welt wieder zurückgebracht wird, aus der man sich zu entfernen glaubte.
RITTER. Meine Herren, Sie erlauben, daß ich gehe, daß ich mich von meinem Erstaunen erhole.
DOMHERR. Gehn Sie nur, gehn Sie und sehn Sie sich in der Welt, sehn Sie sich in Ihrem Herzen um. Bedauren Sie meinetwegen die Toren; aber ziehen Sie Vorteil aus der Torheit. Sehn Sie, wie jeder vom andern soviel als möglich zu nehmen sucht, um ihm sowenig als möglich zurückzugeben. Jeder mag lieber befehlen als dienen, lieber sich tragen lassen als tragen. Jeder fordert reichlich Achtung und Ehre und gibt sie so spärlich als möglich zurück. Alle Menschen sind Egoisten; nur ein Schüler, nur ein Tor kann sie ändern wollen. Nur wer sich selbst nicht kennt, wird leugnen: daß es in seinem Herzen ebenso bestellt sei.
RITTER. Wohin bin ich geraten!
DOMHERR. Diesen Lauf der Welt wird Ihnen der Meister im zweiten Grade ganz enthüllen. Er wird Ihnen zeigen, daß[51] man von den Menschen nichts verlangen kann, ohne sie zum besten zu haben und ihrem Eigensinne zu schmeicheln; daß man sich unversöhnliche Feinde macht, wenn man die Albernen aufklären, die Nachtwandler aufwecken und die Verirrten zurechtweisen will; daß alle vorzüglichen Menschen nur Marktschreier waren und sind – klug genug, ihr Ansehn und ihr Einkommen auf die Gebrechen der Menschheit zu gründen.
RITTER. Abscheulich! Abscheulich!
GRAF. Es sei genug! Er mag nun selbst denken; und noch ein Wort, eh wir uns trennen. Wie nennt man den ersten Grad?
DOMHERR. Die Lehre.
GRAF. Warum?
DOMHERR. Damit die Schüler glauben, sie lernen etwas.
GRAF. Wie nennt man den zweiten Grad?
DOMHERR. Die Prüfung.
GRAF. Und weswegen?
DOMHERR. Weil der Kopf eines Menschen darin geprüft wird und man sieht, zu was er fähig ist.
GRAF. Vortrefflich! Leise zum Domherrn. Laß uns allein; ich muß diesen Trotzkopf zu begütigen suchen.
DOMHERR. Ich hoffte, du würdest meine Wünsche erhören und mich in den dritten Grad erheben.
GRAF. Ich darf dem Großkophta nicht vorgreifen. Warte seine Erscheinung ab; in kurzer Zeit werden alle deine Wünsche befriedigt sein.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Großkophta
|
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro