[52] Der Graf. Der Ritter.
GRAF. Junger Mann!
RITTER der indessen nachdenklich und unbeweglich gestanden. Leben Sie wohl, Herr Graf!
GRAF. Wo wollen Sie hin? Ich lasse Sie nicht weg.[52]
RITTER. Halten Sie mich nicht! Ich lasse mich nicht halten!
GRAF. Bleiben Sie!
RITTER. Nicht länger, als bis ich Ihnen Dank gesagt für das Gute, das Sie mir erzeigt, für die Bekanntschaften, die Sie mir gemacht, für den guten Willen, den Sie mir versichert. Und nun leben Sie wohl! auf ewig wohl! denn ich möchte mich nicht undankbar zeigen gegen meinen Wohltäter. Leben Sie wohl! und lassen mich nur noch das sagen: Ihre Wohltaten beschämten mich nicht, denn ich glaubte sie einem edlen großen Manne zu verdanken.
GRAF. Weiter! weiter! Reden Sie aus, eher kommen Sie nicht von der Stelle.
RITTER. Sie wollen es? Sie befehlen es? Es sei denn! O Graf! wie haben Sie in dieser Viertelstunde mein Glück, meine Hoffnungen zernichtet! Haben Sie mich nicht besser gekannt, nicht besser beurteilt?
GRAF. Worin hab ich mich denn so sehr betrogen? Ich lernte Sie als einen jungen Mann kennen, der sein Glück zu machen wünschte; der mit Eifer, ja mit Heftigkeit nach Rang, nach Vermögen strebte, und desto heftiger, je weniger ihm seine Lage Ansprüche zu großen Hoffnungen erlaubte.
RITTER. Wohl! Aber zeigte ich mich nicht auch mit einem Herzen, das niedrige, gewöhnliche Mittel verschmähete? Wünschte ich nicht meine beste Empfehlung von meiner Redlichkeit, meiner Gesetzlichkeit, meiner Treue, von allen jenen Eigenschaften, die einen edlen Mann, die einen Soldaten zieren? – Und nun?
GRAF. Und nun erschrecken Sie über den Fuchspelz, mit dem Sie Ihre Löwenmähne bedecken sollten.
RITTER. Scherzen Sie nur, ich will ernsthaft reden; ernsthaft zum letzten Male mit einem Manne, den ich für meinen Freund hielt. Ja, ich gesteh es Ihnen: Ihr Betragen war mir längst verdächtig. Diese geheimen Wissenschaften, in deren Vorhof mir dunkler ward als vorher in der[53] freien Welt, diese wunderbaren Kräfte, die uns auf guten Glauben versichert wurden, diese Verwandtschaft mit Geistern, diese unfruchtbaren Zeremonien, alles weissagte mir nichts Gutes; nur die Großheit Ihrer Gesinnungen, die ich in vielen Fällen kennenlernte, die Entäußerung von jedem Eigennutz, Ihre Teilnehmung, Ihre Dienstfertigkeit, Ihre Freigebigkeit, das alles deutete mir dagegen auf einen tiefen Grund eines edlen Herzens. Ich hing an Ihrem Munde, saugte Ihre Lehren ein bis auf diesen Augenblick, der alle meine Hoffnungen zerstörte. Leben Sie wohl! – Wenn ich je ein kleinlicher, niedriger Schelm werden, wenn ich dem Strome nachschwimmen und nur einen augenblicklichen elenden Vorteil für mich zum Schaden der andern gewinnen sollte: so bedurft es nicht dieser Vorbereitungen, dieser Anstalten, die mich beschämen und erniedrigen. Ich verlasse Sie! Aus mir werde, was da will.
GRAF. Ritter, sehen Sie mich an!
RITTER. Was verlangen Sie von mir?
GRAF. Was Sie mich tun sehn, tun Sie auch. Er nimmt den Hut ab.
RITTER. Sollen wir mit Zeremonien scheiden?
GRAF. Selbst die Höflichkeit gebietet Ihnen, zu folgen.
RITTER indem er den Hut abnimmt. Nun denn, so empfehle ich mich Ihnen.
GRAF der seinen Hut wegwirft. Nun, Ritter?
RITTER. Was soll das?
GRAF. Ich verlange, daß Sie mir nachfolgen.
RITTER der seinen Hut wegwirft. So sei denn zum letzten Male etwas Unverständliches, etwas Törichtes getan!
GRAF. Nicht so töricht, wie du glaubst. Er geht mit offnen Armen auf ihn zu. Siehe mich von Angesicht zu Angesicht, du Erwählter. Komm in meine Arme, schließe dich an meine Brust, erhabener Meister!
RITTER. Was soll das? Lassen Sie mich los!
GRAF. Niemals, wenn ich dich nicht eher lassen sollte, als[54] bis meine Freude über diesen meinen trefflichen Freund erschöpft wäre!
RITTER. Erklärt Euch, Ihr macht mich verwirrt.
GRAF. Erinnerst du dich, wie nannte der Domherr den zweiten Grad?
RITTER. Mich dünkt: die Prüfung.
GRAF. Gut, die hast du überstanden.
RITTER. Erklärt Euch!
GRAF. Laß mich erst meine lebhafteste Freude in diesen Umarmungen ausdrücken.
RITTER. Ich verstumme!
GRAF. Wie selten hab ich sie genossen! Ich wünsche Euch Glück und mir.
RITTER. Laß mich nicht länger in Ungewißheit.
GRAF. Du hast das sonderbarste Abenteuer überstanden, du hast dir die Würde eines Meisters selbst gegeben, du hast dir die Vorzüge des dritten Grades wie mit stürmender Faust erobert.
RITTER. Noch immer bin ich in Zweifel und Ungewißheit!
GRAF. Ich wünschte nun, daß dein Verstand dir er klärte, was dein Herz ausgeübt hat; mit weniger Aufmerksamkeit wirst du es leicht. Was waren deine Hoffnungen als Schüler des ersten Grades?
RITTER. Besser zu werden, als ich bin, und, durch Eure Hülfe, das Gute, was ich erkenne, in Ausübung zu bringen.
GRAF. Und was erfuhrst du, als du aus dem Munde des Domherrn die Grundsätze des zweiten Grades vernahmst?
RITTER. Ich erfuhr zu meinem Entsetzen: daß Ihr Euch bisher nur verstelltet und die Schüler zum besten hattet; daß man die, die Ihr Gehülfen nennt, zu weltklugen Menschen machen, sie zu Egoisten stempeln, die zartesten Empfindungen der Freundschaft, der Liebe, der Treue und jeder schönen Anforderung, die unser Herz unwiderstehlich macht, aus ihrem Busen reißen und sie, ich darf es wohl sagen, zu gemeinen, ganz gemeinen, schlechten, ganz[55] schlechten Menschen machen wollte. Du weißt, mit welchem Abscheu ich diesen Übergang verwarf. Weiter hab ich nichts zu sagen: ich verändere meine Gesinnungen nicht, und – entlaß mich!
GRAF. Eben deswegen schließ ich dich an mein Herz, werfe meinen Hut vor dir weg und grüße dich als Meister. Du hast die Prüfung überstanden, du bist der Versuchung entgangen, du hast dich als einen Mann gezeigt, den ich suche. Alles, was du aus dem Munde des Domherrn gehört hast, was leider dieser Unglückliche nebst mehrern andern für Wahrheit hält, ist nur Prüfung, nur Versuchung. Wenn die erhabenen, großen, uneigennützigen Meister einen Lehrling, der sich gut anläßt, weiter vorwärts führen wollen, so versuchen sie ihn erst, und am sichersten geschieht es, wenn sie ihm die scheinbaren Vorteile eines eigennützigen Betragens vorlegen. Greift er darnach, so tut er einen Schritt zurück, indem er glaubt, einen vorwärts zu tun. Wir lassen ihn lange Zeit in seinem Sinne hingehen, und glücklich ist er, wenn wir ihn nach und nach durch große Umwege zum Licht führen.
RITTER. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Glaubt denn der Domherr, daß die Grundsätze, die er mir mit soviel Behaglichkeit vorgetragen, die rechten, die wahren sind?
GRAF. Freilich glaubt er's, der Unglückliche!
RITTER. Und du, sein Busenfreund, ziehst ihn nicht aus diesem Irrtum?
GRAF. Ich arbeite daran. Es ist aber schwerer, als du denkst. Der Eigendünkel eines halbklugen Egoisten hebt ihn über alle Menschen hinweg; indem er sie zu übersehen glaubt, läßt er sich alles nach und gibt andern eben dadurch Gelegenheit, ihn zu übersehen, ihn zu beherrschen.
RITTER. Ihr solltet nicht ruhen, bis ihm die Augen geöffnet sind.
GRAF. Damit du einsehen lernst, wie schwer das ist, sollst du mir helfen, ihn auf den rechten Weg zu bringen.[56]
RITTER nach einer Pause. So wäre es denn wahr, daß ich mich an Euch nicht geirrt habe? daß ich in dir, je länger ich dich kenne, immer den Bessern, den Größern, den Unbegreiflichen finde? Meine Dankbarkeit ist grenzenlos, meine Freude verstummt in dieser Umarmung.
GRAF. Nun gehe, mein Sohn. Drüben in dem Zimmer sind Kleider zurechtgelegt, in denen man sich nur dem Großkophta zeigen darf. Wären alle, die sich ihm heute vorstellen, rein wie du, so würde er von seiner Erscheinung selbst große Freude haben. Du wirst große Wunder sehen und wirst sie bald verstehen, ja bald selbst hervorbringen lernen. Gehe, staune und schweige.
RITTER. Ich bin ganz, ich bin ewig dein!
Ausgewählte Ausgaben von
Der Großkophta
|
Buchempfehlung
In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.
38 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro