Fünfter Auftritt


[206] Die Vorigen. Der Baron am Fenster.


BARON. Karoline!

BREME. Was ist das? Er schiebt die Blendlaterne zu und hält Karolinen fest, die aufstehen will.

BARON wie oben. Karoline! sind Sie nicht hier? Er steigt herein. Stille! wo bin ich? daß ich nicht fehlgehe. Gleich dem Fenster gegenüber ist des Vaters Schlafzimmer, und hier rechts an der Wand die Tür in der Mädchen Kammer. Er tappt an der Seite hin und trifft die Tür. Hier ist sie, nur angelehnt. O wie gut sich der blinde Cupido im Dunkeln zu finden weiß! Er geht hinein.

BREME. In die Falle! Er schiebt die Blendlaterne auf, eilt nach der Kammertüre und stößt den Riegel vor. So recht, und das Vorlegeschloß ist auch schon in Bereitschaft. Er legt ein Schloß vor. Und du, Nichtswürdige! so verrätst du mich?

KAROLINE. Mein Vater!

BREME. So heuchelst du mir Vertrauen vor?

BARON inwendig. Karoline! Was heißt das?

KAROLINE. Ich bin das unglücklichste Mädchen unter der Sonne.

BREME laut an der Türe. Das heißt: daß Sie hier schlafen werden, aber allein.

BARON inwendig. Nichtswürdiger! Machen Sie auf, Herr Breme, der Spaß wird Ihnen teuer zu stehen kommen.

BREME laut. Es ist mehr als Spaß, es ist bitterer Ernst.[206]

KAROLINE an der Türe. Ich bin unschuldig an dem Verrat!

BREME. Unschuldig? Verrat?

KAROLINE vor der Türe knieend. O, wenn du sehen könntest, mein Geliebter, wie ich hier vor dieser Schwelle liege, wie ich untröstlich meine Hände ringe, wie ich meinen grausamen Vater bitte! – Machen Sie auf, mein Vater! Er hört nicht, er sieht mich nicht an. – O mein Geliebter habe mich nicht in Verdacht, ich bin unschuldig!

BREME. Du unschuldig? Niederträchtige feile Dirne! Schande deines Vaters! Ewiger schändender Flecken in dem Ehrenkleid, das er eben in diesem Augenblicke angezogen hat. Steh auf, hör' auf zu weinen, daß ich dich nicht an den Haaren von der Schwelle wegziehe, die du, ohne zu erröten, nicht wieder betreten solltest. Wie! in dem Augenblick, da Breme sich den größten Männern des Erdbodens gleichsetzt, erniedrigt sich seine Tochter so sehr!

KAROLINE. Verstoßt mich nicht, verwerft mich nicht, mein Vater! Er tat mir die heiligsten Versprechungen.

BREME. Rede mir nicht davon, ich bin außer mir. Was! ein Mädchen, das sich wie eine Prinzessin, wie eine Königin aufführen sollte, vergißt sich so ganz und gar? Ich halte mich kaum, daß ich dich nicht mit Fäusten schlage, nicht mit Füßen trete. Hier hinein! Er stößt sie in sein Schlafzimmer. Dies französische Schloß wird dich wohl verwahren. Von welcher Wut fühl' ich mich hingerissen! Das wäre die rechte Stimmung, um die Glocke zu ziehen. – Doch nein, fasse dich, Breme! – Bedenke, daß die größten Menschen in ihrer Familie manchen Verdruß gehabt haben. Schäme dich nicht einer frechen Tochter und bedenke, daß Kaiser Augustus in eben dem Augenblick mit Verstand und Macht die Welt regierte, da er über die Vergehungen seiner Julie bittere Tränen vergoß. Schäme dich nicht, zu weinen, daß eine solche Tochter dich hintergangen hat; aber bedenke auch zugleich, daß der Endzweck erreicht ist, daß der Widersacher eingesperrt verzweifelt und daß deiner Unternehmung ein glückliches Ende bevorsteht.[207]


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 206-208.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Aufgeregten
Die Aufgeregten (Dodo Press)
Die Aufgeregten