[297] Eugenie. Gerichtsrat. Ein Knabe mit einem schönen Kästchen.
GERICHTSRAT.
Schon ziehn die Schiffe nacheinander fort,
Und bald, so fürcht' ich, wirst auch du berufen
Empfange noch ein herzlich Lebewohl
Und eine frische Gabe, die auf langer Fahrt
Beklommnen Reisenden Erquickung atmet.
Gedenke mein! O daß du meiner nicht
Am bösen Tage sehnsuchtsvoll gedenkest!
EUGENIE.
Ich nehme dein Geschenk mit Freuden an,
Es bürgt mir deine Neigung, deine Sorgfalt;
Doch send' es eilig in dein Haus zurück!
Und wenn du denkst, wie du gedacht, empfindest,
Wie du empfunden, wenn dir meine Freundschaft
Genügen kann, so folg' ich dir dahin.
GERICHTSRAT nach einer Pause, den Knaben durch einen Wink entfernend.
Ist's möglich? hätte sich zu meiner Gunst,
In kurzer Zeit, dein Wille so verändert?
EUGENIE.
Er ist verändert! aber denke nicht,
Daß Bangigkeit mich dir entgegentreibe.[297]
Ein edleres Gefühl – laß mich's verbergen!
Hält mich am Vaterland, an dir zurück.
Nun sei's gefragt: Vermagst du, hohen Muts,
Entsagung der Entsagenden zu weihen?
Vermagst du zu versprechen, mich als Bruder
Mit reiner Neigung zu empfangen? mir,
Der liebevollen Schwester, Schutz und Rat
Und stille Lebensfreude zu gewähren?
GERICHTSRAT.
Zu tragen glaub' ich alles, nur das eine,
Dich zu verlieren, da ich dich gefunden,
Erscheint mir unerträglich. Dich zu sehen,
Dir nah zu sein, für dich zu leben, wäre
Mein einzig höchstes Glück. Und so bedinge
Dein Herz allein das Bündnis, das wir schließen.
EUGENIE.
Von dir allein gekannt, muß ich fortan,
Die Welt vermeidend, im Verborgnen leben.
Besitzest du ein still entferntes Landgut,
So widm' es mir und sende mich dahin.
GERICHTSRAT.
Ein kleines Gut besitz' ich, wohlgelegen;
Doch alt und halb verfallen ist das Haus.
Du kannst jedoch in jener Gegend bald
Die schönste Wohnung finden, sie ist feil.
EUGENIE.
Nein! In das altverfallne laß mich ziehn,
Zu meiner Lage stimmt es, meinem Sinn.
Und wenn er sich erheitert, find' ich gleich
Der Tätigkeit bereiten Stoff und Raum.
Sobald ich mich die Deine nenne, laß,
Von irgendeinem alten zuverläss'gen Knecht
Begleitet, mich, in Hoffnung einer künft'gen
Beglückten Auferstehung, mich begraben.
GERICHTSRAT.
Und zum Besuch, wann darf ich dort erscheinen?
EUGENIE.
Du wartest meinen Ruf geduldig ab.
Auch solch ein Tag wird kommen, uns vielleicht
Mit ernsten Banden enger zu verbinden.
GERICHTSRAT.
Du legest mir zu schwere Prüfung auf.
EUGENIE.
Erfülle deine Pflichten gegen mich;
Daß ich die meinen kenne, sei gewiß.
Indem du mich zu retten, deine Hand[298]
Mir bietest, wagst du viel. Werd' ich entdeckt,
Werd' ich's zu früh, so kannst du vieles dulden.
Ich sage dir das tiefste Schweigen zu:
Woher ich komme, niemand soll's erfahren,
Ja, die entfernten Lieben will ich nur
Im Geist besuchen, keine Zeile soll,
Kein Bote dort mich nennen, wo vielleicht
Zu meinem Heil ein Funke glühen möchte.
GERICHTSRAT.
In diesem wicht'gen Fall was soll ich sagen?
Uneigennütz'ge Liebe kann der Mund
Mit Frechheit oft beteuern, wenn im Herzen
Der Selbstsucht Ungeheuer lauschend grinst.
Die Tat allein beweist der Liebe Kraft.
Indem ich dich gewinne, soll ich allem
Entsagen, deinem Blick sogar! Ich will's.
Wie du zum ersten Male mir erschienen,
Erscheinst du bleibend mir, ein Gegenstand
Der Neigung, der Verehrung. Deinetwillen
Wünsch' ich zu leben, du gebietest mir.
Und wenn der Priester sich, sein Leben lang,
Der unsichtbaren Gottheit niederbeugt,
Die im beglückten Augenblick vor ihm
Als höchstes Musterbild vorüberging,
So soll von deinem Dienste mich fortan,
Wie du dich auch verhüllest, nichts zerstreun.
EUGENIE.
Ob ich vertraue, daß dein Äußres nicht,
Nicht deiner Worte Wohllaut lügen kann;
Daß ich empfinde, welch ein Mann du bist,
Gerecht, gefühlvoll, tätig, zuverlässig:
Davon empfange den Beweis, den höchsten,
Den eine Frau besonnen geben kann!
Ich zaudre nicht, ich eile, dir zu folgen!
Hier meine Hand: wir gehen zum Altar.
Ausgewählte Ausgaben von
Die natürliche Tochter
|
Buchempfehlung
Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«
74 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro