Nacht.


[115] Straße vor Gretchens Türe.


VALENTIN Soldat, Gretchens Bruder.

Wenn ich so saß bei einem Gelag,

Wo mancher sich berühmen mag,

Und die Gesellen mir den Flor

Der Mägdlein laut gepriesen vor,

Mit vollem Glas das Lob verschwemmt –

Den Ellenbogen aufgestemmt

Saß ich in meiner sichern Ruh',

Hört' all dem Schwadronieren zu,

Und streiche lächelnd meinen Bart,

Und kriege das volle Glas zur Hand

Und sage: Alles nach seiner Art!

Aber ist eine im ganzen Land,

Die meiner trauten Gretel gleicht,

Die meiner Schwester das Wasser reicht?

Topp! Topp! Kling! Klang! das ging herum;[115]

Die einen schrieen: Er hat recht,

Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!

Da saßen alle die Lober stumm.

Und nun! – um's Haar sich auszuraufen

Und an den Wänden hinaufzulaufen! –

Mit Stichelreden, Naserümpfen

Soll jeder Schurke mich beschimpfen!

Soll wie ein böser Schuldner sitzen,

Bei jedem Zufallswörtchen schwitzen!

Und möcht' ich sie zusammenschmeißen,

Könnt' ich sie doch nicht Lügner heißen.


Was kommt heran? Was schleicht herbei?

Irr' ich nicht, es sind ihrer zwei.

Ist er's, gleich pack' ich ihn beim Felle,

Soll nicht lebendig von der Stelle!


Faust. Mephistopheles.


FAUST.

Wie von dem Fenster dort der Sakristei

Aufwärts der Schein des ew'gen Lämpchens flämmert

Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,

Und Finsternis drängt ringsum bei!

So sieht's in meinem Busen nächtig.

MEPHISTOPHELES.

Und mir ist's wie dem Kätzlein schmächtig,

Das an den Feuerleitern schleicht,

Sich leis' dann um die Mauern streicht;

Mir ist's ganz tugendlich dabei,

Ein bißchen Diebsgelüst, ein bißchen Rammelei.

So spukt mir schon durch alle Glieder

Die herrliche Walpurgisnacht.

Die kommt uns übermorgen wieder,

Da weiß man doch, warum man wacht.

FAUST.

Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh',

Den ich dort hinten flimmern seh?

MEPHISTOPHELES.

Du kannst die Freude bald erleben,

Das Kesselchen herauszuheben.

Ich schielte neulich so hinein,

Sind herrliche Löwentaler drein.[116]

FAUST.

Nicht ein Geschmeide? nicht ein Ring?

Meine liebe Buhle damit zu zieren?

MEPHISTOPHELES.

Ich sah dabei wohl so ein Ding,

Als wie eine Art von Perlenschnüren.

FAUST.

So ist es recht! Mir tut es weh,

Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh'.

MEPHISTOPHELES.

Es sollt' Euch eben nicht verdrießen,

Umsonst auch etwas zu genießen.

Jetzt, da der Himmel voller Sterne glüht,

Sollt Ihr ein wahres Kunststück hören:

Ich sing' ihr ein moralisch Lied,

Um sie gewisser zu betören.


Singt zur Zither.


Was machst du mir

Vor Liebchens Tür,

Kathrinchen, hier

Bei frühem Tagesblicke?

Laß, laß es sein!

Er läßt dich ein,

Als Mädchen ein,

Als Mädchen nicht zurücke.


Nehmt euch in acht!

Ist es vollbracht,

Dann gute Nacht,

Ihr armen, armen Dinger!

Habt ihr euch lieb,

Tut keinem Dieb

Nur nichts zu Lieb',

Als mit dem Ring am Finger.

VALENTIN tritt vor.

Wen lockst du hier? beim Element!

Vermaledeiter Rattenfänger!

Zum Teufel erst das Instrument!

Zum Teufel hinterdrein den Sänger!

MEPHISTOPHELES.

Die Zither ist entzwei! an der ist nichts zu halten.

VALENTIN.

Nun soll es an ein Schädelspalten!

MEPHISTOPHELES zu Faust.

Herr Doktor, nicht gewichen! Frisch!

Hart an mich an, wie ich Euch führe.[117]

Heraus mit Eurem Flederwisch!

Nur zugestoßen! ich pariere.

VALENTIN.

Pariere den!

MEPHISTOPHELES.

Warum denn nicht?

VALENTIN.

Auch den!

MEPHISTOPHELES.

Gewiß!

VALENTIN.

Ich glaub', der Teufel ficht!

Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.

MEPHISTOPHELES zu Faust.

Stoß zu!

VALENTIN fällt.

O weh!

MEPHISTOPHELES.

Nun ist der Lümmel zahm!

Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:

Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrei.

Ich weiß mich trefflich mit der Polizei,

Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.

MARTHE am Fenster.

Heraus! Heraus!

GRETCHEN am Fenster.

Herbei ein Licht!

MARTHE wie oben.

Man schilt und rauft, man schreit und ficht.

VOLK.

Da liegt schon einer tot!

MARTHE heraustretend.

Die Mörder, sind sie denn entflohn?

GRETCHEN heraustretend.

Wer liegt hier?

VOLK.

Deiner Mutter Sohn.

GRETCHEN.

Allmächtiger! welche Not!

VALENTIN.

Ich sterbe! das ist bald gesagt

Und bälder noch getan.

Was steht ihr Weiber, heult und klagt?

Kommt her und hört mich an!


Alle treten um ihn.


Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,

Bist gar noch nicht gescheit genung,

Machst deine Sachen schlecht.

Ich sag' dir's im Vertrauen nur:

Du bist doch nun einmal eine Hur';

So sei's auch eben recht.

GRETCHEN.

Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?

VALENTIN.

Laß unsern Herrgott aus dem Spaß.

Geschehn ist leider nun geschehn,

Und wie es gehn kann, so wird's gehn.

Du fingst mit einem heimlich an,

Bald kommen ihrer mehre dran,[118]

Und wenn dich erst ein Dutzend hat,

So hat dich auch die ganze Stadt.


Wenn erst die Schande wird geboren,

Wird sie heimlich zur Welt gebracht,

Und man zieht den Schleier der Nacht

Ihr über Kopf und Ohren;

Ja, man möchte sie gern ermorden.

Wächst sie aber und macht sich groß,

Dann geht sie auch bei Tage bloß,

Und ist doch nicht schöner geworden.

Je häßlicher wird ihr Gesicht,

Je mehr sucht sie des Tages Licht.


Ich seh' wahrhaftig schon die Zeit,

Daß alle brave Bürgersleut',

Wie von einer angesteckten Leichen,

Von dir, du Metze! seitab weichen.

Dir soll das Herz im Leib verzagen,

Wenn sie dir in die Augen sehn!

Sollst keine goldne Kette mehr tragen!

In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!

In einem schönen Spitzenkragen

Dich nicht beim Tanze wohlbehagen!

In eine finstre Jammerecken

Unter Bettler und Krüppel dich verstecken

Und, wenn dir dann auch Gott verzeiht,

Auf Erden sein vermaledeit!

MARTHE.

Befehlt Eure Seele Gott zu Gnaden!

Wollt Ihr noch Lästrung auf Euch laden?

VALENTIN.

Könnt' ich dir nur an den dürren Leib,

Du schändlich kupplerisches Weib!

Da hofft' ich aller meiner Sünden

Vergebung reiche Maß zu finden.

GRETCHEN.

Mein Bruder! Welche Höllenpein!

VALENTIN.

Ich sage, laß die Tränen sein!

Da du dich sprachst der Ehre los,

Gabst mir den schwersten Herzensstoß.

Ich gehe durch den Todesschlaf

Zu Gott ein als Soldat und brav.
[119]

Stirbt.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3, Hamburg 1948 ff, S. 115-120.
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