Hochzeitlied

[45] An meinen Freund


Im Schlafgemach, entfernt vom Feste,

Sitzt Amor, dir getreu, und bebt,

Daß nicht die List mutwill'ger Gäste

Des Brautbetts Frieden untergräbt.[45]

Es blinkt mit mystisch heil'gem Schimmer

Vor ihm der Flammen blasses Gold;

Ein Weihrauchwirbel füllt das Zimmer,

Damit ihr recht genießen sollt.


Wie schlägt dein Herz beim Schlag der Stunde,

Der deiner Gäste Lärm verjagt;

Wie glühst du nach dem schönen Munde,

Der bald verstummt und nichts versagt.

Du eilst, um alles zu vollenden,

Mit ihr ins Heiligtum hinein;

Das Feuer in des Wächters Händen

Wird wie ein Nachtlicht still und klein.


Wie bebt von deiner Küsse Menge

Ihr Busen und ihr voll Gesicht;

Zum Zittern wird nun ihre Strenge,

Denn deine Kühnheit wird zur Pflicht.

Schnell hilft dir Amor sie entkleiden

Und ist nicht halb so schnell als du;

Dann hält er schalkhaft und bescheiden

Sich fest die beiden Augen zu.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960 ff, S. 45-46.
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