1799

154.*


1799, Anfang (?)


Mit Christoph Martin Wieland

Goethe äußert gegen Wieland, daß die ursprüngliche einzige vis comica in den Obscönitäten und Anspielungen auf Geschlechtsverhältnisse liege und von der Komödie gar nicht entfernt gedacht werden könne.[198]


155.*


1799, Anfang.


Über einen Tiger

(19. Januar 1799.) Ich [Böttiger] fahre mit Bertuch nach Belvedere ..... Im Wagen: Goethe will eine Biographie des Tigers schreiben, dessen gefrornen Cadaver der Herzog aus Nürnberg bekommen hat. Loder, der immer geschäftige Handlanger Goethes... wird anatomische Vorlesungen öffentlich über den Tiger halten.[198]


156.*


1799, 16. Januar.


Mittagsmahl bei Goethe


a.

Nach Tische wird die Aldobrandinische Hochzeit aufgezogen, unter schöner Beleuchtung von dem, gegenüber auf den Dächern liegenden Schnee. Goethe äußert dabei die Muthmaßung, daß vielleicht der Maler, der eine etwas frechlustige Composition machen wollte, die Hauptfiguren der pronuba und der nova nupta nach einem Gemälde des Echion, das Plinius (XXXV, 10) nova nupta, verecundia notabilis nennt, copirt, das andere aber aus verschiedenen Stücken componirt habe.

– – –

Goethes Witz über Gerning: er nehme die Königinnen nicht inacht; die Syrakusanische Königin Philistis sei ihm abhanden gekommen.


b.

Als ich [Jean Paul] zu einem Diner bei Goethe geladen war, Schiller zu Ehren, nebst Herder – der ihm aber nicht ein Ölblatt, geschweige einen Ölzweig des Friedens, den Goethe gern schlösse, reichte – wurd' ich und Herder zu Goethes Einfassung gemacht: ich der linke Rahmen, und er der rechte. Hier sagte mir Goethe, der nur allmälig warm werden will – so ist er gegen Schiller[199] so kalt, wie gegen jeden –: er habe seinen »Werther« zehn Jahre nach dessen Schöpfung nicht gelesen, und so alles; wer wird sich gern eines vorübergegangenen Affects, des Zorns, der Liebe u.s.w. erinnern.[200]


157.*


1799, 21. Januar.


Bei Eleonore von Kalb

Noch in keinem Jahre stritt ich [Jean Paul] so viel; mit Schiller neulich bis um zwölf Uhr nachts und mit ihm und Goethe bei der Kalb. Ich bin jetzt kecker, als je und sagte Goethen etwas über das hiesige Tragische (Böttiger, alles lobend, lobte mich auch darüber: »wir denken alle dasselbe, aber es hat's ihm noch keiner gesagt«), worüber er empfindlich eine Viertelstunde den Teller drehte: aber Wieland .... sagte: so wär's recht und ich gewänne ihn dadurch; wir würden noch die besten Freunde werden; »Goethe hat mit Respect von Ihnen gesprochen.«[200]


158.*


1799, Januar (?).


Mit Christoph Martin Wieland

Goethe erklärt sich stark gegen die, welche Weimars Gemeinvortheil verrathen. – Wieland sagte einst zu ihm: »Aber wie könnte ich mich nur so ekelhaft loben[200] lassen, wie es die Schlegel thun?« Antwort: »Man muß sich das ebenso gefallen lassen, als wenn man aus vollem Halse getadelt wird.« – Wieland mißbilligt Macdonald's blinden Eifer gegen die Kantische Philosophie. .... »Ihm [Fichte] brandert es schon,« sagte Goethe, »darum schreit er schon vom Scheiterhaufen.«[201]


159.*


1799, Ende März (?).


Mit Henrich Steffens

[Nachdem Steffens erzählt, daß er sich beim ersten Zusammentreffen mit Goethe von diesem für zurückgesetzt gehalten und darauf schroff abgewehrt habe, mit ihm wieder zusammengebracht zu werden, fährt er fort:]


Die Familie des berühmten Anatomen Loder gehörte auch zu denen, die mich freundlich aufgenommen hatten. Sein Geburtstag nahete und man wünschte diesen Tag durch ein Schauspiel zu feiern; man wählte den »Schauspieler wider Willen«, und meine große Beweglichkeit erweckte die Vermuthung, daß ich wohl fähig wäre, die Hauptrolle zu übernehmen. .... Die Hauptrolle enthält bekanntlich eine Menge declamatorischer Stellen aus Iffland'schen und Schiller'schen Stücken. .... Die Tage der Proben gingen vorüber, wir waren zur Generalprobe versammelt – da trat auf einmal Goethe herein. Er hatte freundlich, wie er bei solchen Gelegenheiten immer war, versprochen, die[201] Generalprobe zu leiten; mir hatte man es verborgen gehalten. Nachdem er die Frauen begrüßt hatte, ging er auf mich zu, sprach mich freundlich und gütig als einen Bekannten an. »Ich habe« – sagte er – »lange erwartet, Sie einmal in Weimar bei mir zu sehen; ich habe vieles mit Ihnen zu sprechen, Ihnen vieles mitzutheilen. Wenn diese Tage verflossen sind, werden Sie mich, wie ich hoffe, begleiten.« Wer war glücklicher, wie ich. Es war mir, als wäre ich jetzt erst heimisch geworden in Jena. Ich jubelte, und der frohe Jubel einer übermüthigen Stimmung ergoß sich in mein Spiel. Hier und da gab Goethe einen guten Rath, und mir schwebten auf eine wunderbar heitere Weise die dramatischen Auftritte in »Wilhelm Meister« vor der Seele, die sich nun hier durch den großen Verfasser zu verwirklichen schienen. Als ich die Stellen aus den Schiller'schen Stücken declamirt hatte, trat Goethe freundlich auf mich zu. »Wählen Sie doch« – sagte er – »andere Stücke: unsern guten Freund Schiller wollen wir doch lieber aus dem Spiele lassen.« Es war seltsam, daß weder ich noch die Mitspieler etwas Anstößiges bei dieser Wahl gefunden hatten. Indessen erbot ich mich auf der Stelle, Kotzebue zu wählen statt Schiller.[202]


160.*


1799, 16. April (?).


Mit Jean Paul Friedrich Richter

Auf die leere Seite will ich [Caroline Schlegel] gleich noch etwas Amüsantes setzen, das uns Schelling diesen Mittag zum besten gab, wie ihm Goethe einmal beschrieben, daß er mit Jean Paul einen ganzen Abend Schach gespielt, figürlich. Der hat nämlich ein Urtheil über ihn und seine Gattung herauslocken wollen und ihn nach Goethes Ausdruck auf den Sch-dr- führen wollen, hat einen Zug um den andern gethan, von Yorik, von Hippel, von dem ganzen humoristischen Affengeschlecht – Goethe immer nebenaus. Nun, Du [Wilhelm Schlegel] mußt Dir das selbst mit den gehörigen Fratzen ausführen, wie Jean Paul zuletzt in die höchste Pein gerathen ist und sich schachmatt hat nach Hause begeben. Einen durchtriebnern Schalk giebt es auf Erden nicht, wie den Goethe, und dabei das frömmste Herz mit seinen Freunden.[203]


161.*


1799, zweite Hälfte des Mai.


Mit Friedrich Schiller

Zu Ihrer [Johann Friedrich Unger's] Sammlung von Romanen werde ich gern meinen Beitrag geben, sobald sich Stoff und Stimmung zu einer solchen Arbeit[203] bei mir findet und habe daher auch nichts dagegen, wenn Sie mich unter der Zahl derer, die dazu beitragen wollen, nennen. Ein Gleiches trägt Goethe mir auf, Ihnen zu versichern.[204]


1616.*


1799, 8. (?) Juni.


Mit Charlotte von Stein u.a.

Da Charlotte bei einem Thee vor ihrer Wohnung, an welchem Herr v. Haren, Graf Dumanoir, der wunderliche Gerning von Frankfurt u. a. theilnahmen, gerade Goethe vorübergehen sah, ließ sie auch diesen einladen, dem aber, wir wissen nicht weshalb, dabei nicht wohl zumuthe war. Karl v. Stein, der gern ins Drastische ausmalt, schreibt: ›Dieß – die Einladung – war ihm unheimlich; er setzte sich, sprach nichts und machte ein entsetzlich verdrießlich Gesicht. »Haben Sie Nachricht, Frau v. Stein, von dem Herrn Kriegsrath aus Breslau?« war alles, was er unaufgefordert an Discurs hervorgehen ließ.‹[31]


162.*


1799, um 23. September.


Mit Ludwig Tieck

Den »Zerbino« lernte er [Goethe] kennen. Er schenkte den ernsten Charakteren und den lyrischen Partien vollen Beifall und forderte Tieck auf, diese zusammenzuziehen und zu einem Ganzen abzurunden, welches alsdann auf der weimarischen Bühne dargestellt werden sollte. Obgleich es Goethe war, von dem dieser Vorschlag ausging, konnte sich Tieck doch nicht entschließen, darein zu willigen; beide Theile, der satirische wie der dichterische, gehörten unmittelbar zusammen, sie gewännen erst durcheinander ihre Bedeutung. Ein Streichen des einen Theils würde einem Zerstören des Ganzen gleichgekommen sein.[204]


163.*


1799, 4.-7. December.


Mit Ludwig Tieck

Tieck erzählte [Goethen] von seinen Studien des Shakespeare und dessen Zeitgenossen. Dies führte auf Ben Johnson. Er schilderte dessen durchgehenden Gegensatz[204] gegen Shakespeare und endete mit der Frage, ob Goethe nicht einen Versuch mit dem sonderbaren Schriftsteller machen wolle. Da Goethe bereitwillig darauf einging, schlug er ihm den »Volpone« vor und überbrachte ihm die Folioausgabe. Als er ihn nach einiger Zeit wieder besuchte, hatte Goethe das empfohlene Drama soeben durchgelesen. Das Buch lag noch vor ihm. »Hören Sie, verehrter Freund!« rief er ihm besten Humors entgegen, indem er mit der Hand auf den Deckel des Buches schlug, »das ist ja ein ganz verfluchter Kerl! Ein wahrer Teufelskerl!« Tieck sprach seine Freude aus, daß seine Empfehlung sich bewährt habe. »Ja, das ist ein Schwerenothskerl!« fuhr Goethe mit derselben Handbewegung fort, »was hat der für Kniffe im Kopfe!« Auf die Frage, ob er nicht noch einiges andere lesen wolle, um ihn ganz kennen zu lernen, antwortete er abwehrend: »Nein, verehrter Freund, nun ist es genug! Nichts weiter! Ich kenne ihn jetzt, und das reicht hin.«[205]


164.*


1799, 5. und 6. December.


Mit Ludwig Tieck

Tieck hatte die »Genoveva« vollendet und sie den Freunden mitgetheilt; jetzt kam die Gelegenheit, das Gedicht auch ihm [Goethen] vorzulesen. Goethe wohnte[205] auf dem Schlosse. Da der erste Abend nicht ausreichte, so konnte die Vorlesung erst am folgenden beendet werden. Aufmerksam und theilnehmend war Goethe ihr gefolgt; er sprach sich wohlwollend und anerkennend aus. Dann wandte er sich zu seinem neunjährigen Sohne, der am zweiten Abend zugegen war. Indem er ihm mit der Hand über das Haar hinstrich, sagte er: »Nun, mein Söhnchen, was meinst Du denn zu allen den Farben, Blumen, Spiegeln und Zauberkünsten, von denen unser Freund uns vorgelesen hat? Ist das nicht recht wunderbar?« – Einige Einwendungen, welche Goethe machte, wurden später berücksichtigt.[206]


1460.*


1799, December(?)


Über Schillers »Maria Stuart«

Goethe behandelte den kränklichen, oft launischen Dichter wie ein zärtlicher Liebhaber, that ihm alles zu Gefallen, schonte ihn und sorgte für die Aufführung seiner Trauerspiele. Doch manchmal brach Goethes kräftige Natur durch, und einmal, als eben die ›Maria Stuart‹ bei Schiller besprochen war, rief Goethe beim Nachhausegehen: »Mich soll nur wundern, was das Publicum sagen wird, wenn die beiden H-n zusammenkommen und sich ihre Aventuren vorwerfen.«[268]


165.*


Aus den neunziger Jahren.


Mit Heinrich Eberhard Gottlob Paulus

Dieses Vielthätigsein [Goethes] war möglich, weil, wie wir von ihm selbst hörten, er wie ein Gesetz befolgte, was Amt und Geschäftsaufträge betraf, immer zuerst abzumachen, alsdann aber dem, wozu ihn der Geist trieb, mit ungetheilter Fertigkeit sich ganz hinzugeben.

Zu allen diesen Tendenzen kam in Goethe fortwährend, aber mehr wie eine problematische Unterhaltung und nicht eigentlich als Beschäftigung eine gegen hyperphysische Selbsttäuschung des damals gepriesenen[206] »absoluten Speculieren« sehr behutsame Aufmerksamkeit hinzu. Für Ahnungen über das Übermenschliche hatte Goethe eine erhebende, staunende Andacht in sich. »Wie jenes Übersinnliche gleichsam von oben her mit unserer Natur und Naturphilosophie zusammenhängt, dies« – rief er mir einmal zu – »ist die Frage.« Aber sein ahnendes Denken war mit der besonnensten Scheu vor allen Dogmen als Behauptungen verbunden, besonders, wenn man das Praktische darnach oder dagegen reguliren zu wollen fürchten ließ.

– – – – – – – – – – – – –

Goethe stimmte mit der von dem abstractesten Philosophen [Spinoza] nicht zu erwartenden Weltanschauung überein, wie sie von diesem im tractatus theologico-politicus auf das sogenannte alte Testament angewendet ist.

Was das Hinüberblicken in das absolute Hyperphysische in der Philosophie betrifft, so wollte Goethe die Philosophen von Profession darüber, wie er zu sagen pflegte, »gerne gewähren lassen, soviel sie könnten«. Er ließ als Zuhörer gerne sie sich aussprechen, auch, wenn sie, wie Schelling, es gleichsam als etwas ihnen ausschließlich offenbar Gewordenes im Besitz und Verschluß zu haben, die Miene machten.

Goethe sagte oft wünschend und hoffend: »Je mehr man sich an dem Speculiren über das Übermenschliche trotz aller Warnungen Kant's vergeblich abgemüht haben wird, desto vielseitiger wird dereinst das Philosophiren[207] zuletzt auf das Menschliche, auf das geistig und körperlich Erkennbare der Natur gerichtet und dadurch eine wahrhaft so zu benennende Naturphilosophie erfaßt werden.«

Was die mathematischen und physikalischen Vorkenntnisse betraf, schätzte Goethe, wie er dies mir mehrmals sagte, Hegel mehr, als Schelling.[208]


166.*


Aus den neunziger Jahren (?).


Mit August Wilhelm Iffland

[Als der noch junge Schauspieler Friedrich Ludwig Schmidt Iffland gefragt hatte, ob er ihm Gastspielreisen anrathe, antwortete dieser:]


Sie werden bei dem Reisen verlieren – gewinnen, und, wie Goethe sagt: »ob man Erbsen zählt oder Linsen, es kommt auf eins heraus.«[208]


167.*


Aus den neunziger Jahren.


Mit Schauspielern

Nie gab er seiner Unzufriedenheit strenge Worte; sein Tadel war immer so, besonders gegen die ältern Schauspieler, daß er nicht verletzen konnte; z.B.: »Nun, das ist ja gar nicht übel, obgleich ich mir den Moment [208] so gedacht habe; überlegen wir uns das bis zur nächsten Probe, vielleicht stimmen dann unsere Ansichten überein.« Den jüngern gegenüber war er weniger rücksichtsvoll; hier hieß es oft: »Man mache das so, dann wird man seinen Zweck nicht verfehlen.«[209]


168.*


Aus den neunziger Jahren.


Mit Maria Körner, geb. Stock,

und Dorothea Stock

Da unsere Bekanntschaft [mit Goethe] aus sehr früher Zeit datirt, als er Student in Leipzig und ich ein Mädchen von sechs Jahren war, hat er mich und meine Schwester in gutem Andenken behalten und hört es gar zu gern, wenn »les enfants terribles«, wie er uns nennt, ihm aus seinem Studentenleben erzählen.

[Zu vergleichen Nr. 2.]



Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 1, S. 206-211.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristoteles

Nikomachische Ethik

Nikomachische Ethik

Glückseligkeit, Tugend und Gerechtigkeit sind die Gegenstände seines ethischen Hauptwerkes, das Aristoteles kurz vor seinem Tode abschließt.

228 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon