Der Minnetrank.

[129] Indeß Tristan die Reise

Betrieb mit allem Fleiße,

Die Zubereitung leitete,

Indessen so bereitete

Isot, die weise Königin,

In einem Glasgefäße drin

Einen Trank der Minnen:

Mit also feinen Sinnen

War der erdichtet und vollbracht,

Mit solcher Wunderkraft bedacht,

Daß, wer davon mit Jemand trank,

Der mußte Den ohne seinen Dank

Vor Allen minnen und meinen,

Der wieder Den, den Einen:

Ihnen war Ein Tod und Ein Leben,

Eine Trauer und Eine Freude gegeben.


Den Trank, den nahm die Weise

Und sprach zu Brangänen leise:

»Brangäne,« sprach sie, »Niftel mein,

Laß dir nicht schwer die Rede sein:

Du sollt mit meiner Tochter hin,

Darnach, so stelle deinen Sinn;

Was ich dir sage, das vernimm:

Das Glas mit diesem Tranke nimm,

Das habe du in deiner Hut

Und hüte es über alles Gut.

Sieh, daß es auf der Erde

Kein Auge innen werde.

Bewahre fleißig zu jeder Stund,

Daß Niemand es bringe an seinen Mund.

Wende Fleiß an und achte stark:

Wenn Isolde und König Mark

Mit Minne sind kommen überein,

So schenke ihnen den Trank für Wein

Und laß sie Beide trinken da.

Bewahre, das versteht sich ja,

Daß Keinen sonst der Fürwitz sticht.

Du selbst auch trinke mit ihnen nicht.

Es ist ein Trank der Minnen,

Das habe in deinen Sinnen.

Isolden ich dir befehle

Viel theuer auf deine Seele.

Sie ist mein bestes Leben:

Wir seien dir Beide ergeben

Auf alle deine Seligkeit:

Hiemit genug für allezeit.« –

»Traut Fraue,« sprach Brangäne froh,

»Steht euer Beider Wille so,

So will ich gerne mit ihr fahren,

Ihre Ehre und all ihr Ding bewahren,

So ich aufs Allerbeste kann.«


Urlaub und Abschied nahm Tristan

Und seine Leute hie und dort.

Sie schieden ab von Weisefort

Mit großer Freude und Herrlichkeit.

Da gaben ihnen das Geleit

Um Isoldens willen zum Hafen hin

Der König und die Königin

Und all ihre Massenie.

Seine unverhoffte Amie,

Seine unerkannte Herzensnoth,

Die lichte wonnigliche Isot,

War weinend zu allen Zeiten

Tristanden an der Seiten;

Ihr Vater und Mutter beide

Die brachten mit manchem Leide

Dieselben kurzen Stunden hin.

Manch Auge begann aus treuem Sinn

Zu strömen und zu werden roth.

Isold war manches Herzens Noth:

Sie brachte viel manchem Herzen

Heimliche Wehen und Schmerzen.

Die weinten um die Holde,

Ihrer Augen Wonne, Isolde.

Da ward vereint geweinet,

Sie beweinten vereinet

Viel Augen und viel Herzen

Mit offnen und stillen Schmerzen.

Und aber Isot und aber Isot,

Die Sonne und ihr Morgenroth,

Und auch die stolze Brangäne,

Der Vollmond gegen jene,

Da sie sich mußten scheiden,

Die eine von den Beiden,[130]

Da wurden Jammer und Leid erkannt:

Das getreuliche feste Band

Schied sich mit manchem Leide.

Isolde küßte sie Beide

Und hielt sie lang umschlossen.

Nun daß Tristans Genossen

Und auch von irischer Seite

Der jungen Frau Geleite

Waren zu Schiff gekommen,

Hatten Urlaub genommen,

Da fuhr zuletzt auch Tristan hin;

Die lichte junge Königin,

Die schöne Blume von Irenland,

Isolde, die ging an seiner Hand,

Gar unfroh und mit traurigem Sinn.

Sie neigten sich nach dem Lande hin

Und baten Gott, mit Segen

So Leut als Land zu pflegen;

Worauf der Kiel das Meer gewann.

Mit hoher Stimme sie huben an

Und sungen einmal oder zwier:

»In Gottes Namen fahren wir!«

Und strichen hin ihre Gleise.


Nun war zu ihrer Reise

Den Frauen nach Tristans Rathe

Eine Schiffskemenate

Zu Wohnung und Gemächlichkeit

In ihrem Kiele da bereit.

Da hielt sich die Königinne

Mit ihren Jungfrauen inne

Und selten mit ihnen sonst ein Mann,

Als unterweilen Herr Tristan.

Derselbe ging je und je dahin

Und tröstete die Königin,

Da sie in ihren Thränen saß.

Sie weinte und klagte ohn Unterlaß,

Daß sie also von ihrem Land,

Da ihr die Leute wären bekannt,

Und all ihren Freunden fliehe,

Mit fremdem Volk hinziehe

Und wisse nicht, wohin, noch wie.

Da tröstete je Tristan sie

Aus ganzem Herzensgrunde

Zu jeder Zeit und Stunde,

So er zu ihrer Trauer kam.

Zwischen die Arme er sie nahm

Gar süße und gar leise,

Und aber nur in der Weise,

Wie ein Mann seine Herrin soll.

Der Getreue, der versah sich wohl,

Daß er der Schönen wäre

Ein Trost zu ihrer Schwere.

Und aber so oft, als es erging,

Daß er mit Armen sie umfing,

So gedachte je die schöne Isot

An ihres Ohms Moroldens Tod

Und sprach je alsdann wider ihn:

»Laßt gehen, Meister, hebt Euch hin!

Thut Eure Arme weg von mir!

Ihr seid mir sehr beschwerlich, Ihr!

Warum denn rühret Ihr mich an?« –

»Ei, Schöne, hab ich da mißgethan?« –

»Ja, Ihr, denn ich bin Euch gehaß.« –

»Selige,« sprach er, »und um was?« –

»Ihr habt meinen Ohm erschlagen.« –

»Das ist ja doch vertragen.« –

»Das ist all Eins: ich haß Euch doch:

Denn ich wäre ohne Schwere noch

Und ohne Sorgen, wärt nicht Ihr:

Ihr mutterseelenallein habt mir

All diesen Kummer zugefügt

Mit Eurer List, die da trügt und lügt.

Was hat Euch mir zu Schaden gesandt

Von Kornewall in Irenland?

Die mich von Kind an haben erzogen,

Denen habt Ihr mich abbetrogen

Und führet mich, weiß nicht, wohin.

Ich weiß nicht, wie ich verkaufet bin,

Noch weiß ich, was aus mir werden soll.« –

»Nein, schöne Isold, gehabt Euch wohl.

Ja mögt Ihr doch lieber in fremdem Land

Eine reiche Königin sein genannt,

Denn in der Heimath arm und schwach.

In fremdem Land Ehr und Gemach

Und Niedrigkeit im Vaterreich,

Die zwei, die schmecken ja nicht gleich.«


»Ja, Meister Tristan,« sprach die Magd,

»Ich nähme eh, was Ihr auch sagt,

Eine mäßige Sache

Mit Liebe und mit Gemache,[131]

Denn Mühsal, Ungemach und Leid

Bei großem Reichthum und Herrlichkeit.« –

»Ihr redet wahr,« Herr Tristan sprach:

»Wo man aber zu dem Gemach

Die Herrlichkeit kann haben,

Die seligen zwo Gaben,

Die laufen zusammen baß gemein,

Denn ihrer jegliche so allein.

Nun sprechet: wär es dazu gekommen,

Daß Ihr hättet mit Zwang genommen

Den Truchsäßen zu Eurem Mann,

Fraue, wie führe es aber dann?

Ich weiß, da wäret Ihr meiner froh.

Und danket Ihr mir jetzund so,

Daß ich Euch trat zur Seite

Und Euch von ihm befreite?« –

»Deß wird Euch spate,« sprach die Magd,

»Von mir je Dank und Lohn gesagt:

Denn habt Ihr mich von ihm befreit,

So habt Ihr mich überschüttet seit

So sehr mit Leid und Schwere,

Daß mir's noch lieber wäre,

Ich hätte ihn genommen,

Als mit Euch fortzukommen:

Denn wie auch tugendlos er sei,

Wohnte er mir eine Weile bei,

So ließe er jeden bösen Brauch.

Weiß Gott, daran erkennt ich auch,

Wie lieb, daß ich ihm wäre.« –

Tristan sprach: »Solche Märe

Geht abenteuerliche Spur.

Daß jemals wider die Natur

Ein Herze Tugendwerke thu,

Da gehört viel Müh und Noth dazu:

Die Welt glaubt nimmermehr daran,

Daß Unart jemals arten kann.

Schöne, seid ohne Sorg und Leid:

Ich will Euch fürwahr in kurzer Zeit

Einen König zum Herren geben,

An dem Ihr Freude und schönes Leben

Gut, Tugend zu allen Stunden

Und Ehre sollt haben funden.«


Inmittelst strichen die Kiele hin.

Sie hatten auch gleich von Anbeginn

Guten Wind und gute Fahrt.

Nun war die Frauerschaar so zart,

Isolde und ihr Gesinde,

Im Wasser und im Winde

Gar ungewohnt der Mühesal.

Nicht lange, so kamen sie allzumal

In eine ungewohnte Noth.

Tristan, ihr Meister, da gebot,

Daß man zu Lande schalte

Und eine Ruhe halte.

In eine Bucht nun fuhren sie ein;

Da ging die Mannschaft insgemein,

Sich zu ergötzen, an das Land;

Nun ging auch Tristan allzuhand,

Seine lichten Frauen

Zu grüßen und zu schauen;

Und als er zu ihr nieder saß

Und sie da redeten dies und das

Von ihrer Beider Dingen,

Bat er einen Trunk zu bringen.

Nun aber war Niemand darin,

Ohne seine Königin,

Als etliche kleine Jungfräulein.

Und eine sprach: »Seht, hier steht Wein

In diesem Gefäß, ich meine.«

Nein, da war nichts von Weine,

Obgleich man wähnte, es wäre;

Es war die währende Schwere,

Die endelose Herzenoth,

Von der sie endlich lagen todt.

Nun war ihr aber das nicht kund:

Sie stund auf und ging hin zur Stund,

Wo Glas und Trank, nicht wohl fürwahr,

Verborgen und aufgehoben war.

Ihrem Meister Tristan bot sie es hin,

Er aber bot es der Königin.

Sie trank mit Zaudern, ihr war so schwer,

Und gab es ihm, da trank auch er,

Und wähnten Beide, es wäre Wein.

Inmittelst trat auch Brangäne ein,

Das Glas erkannte sie zur Stund,

Da ward ihr die ganze Märe kund,

Darüber sie sich so sehr vernahm,

Daß sie von allen Kräften kam

Und recht wie todt zu schauen war.

Mit todtem Herzen ging sie dar:

Sie nahm das leide unselige Glas[132]

Und ging von dannen und warf das

Hinab in die tobende wilde See:

»O weh mir Armen!« sprach sie, »o weh,

Daß ich zur Welt je ward geboren!

Ich Arme, wie hab ich nun verloren

Meine Ehre und meine Treu.

Trage Gott ewiglich Leid und Reu,

Daß ich zu dieser Reise kam,

Daß mich der Tod nicht von hinnen nahm,

Da ich zu dieser argen Fahrt

Mit Isolden beschieden ward!

O weh, Tristan, und o weh, Isot,

Der Trank ist euer Beider Tod!«


Nun daß die Jungfrau und der Mann,

Die Beiden, Isolde und Tristan,

Den Trank getrunken, was geschah?

Da war auch der Welt Unmuße da,

Minne, die Herzensjägerin,

Und schlich in ihre Herzen hin,

Eh sie es wurden je gewahr.

Sie stieß die Siegesfahne dar

Und zog die Beiden ohne Streit

In ihre Gewalt und Herrlichkeit.

Sie wurden Eins und Einerlei,

Die vor gewesen waren Zwei:

Sie trugen nicht mehr gespaltnen Sinn:

Isoldens Haß, der war dahin.

Die starke Sühnerin Minne,

Die hatte ihre Sinne

Von Haß also gereinet,

Mit Liebe also vereinet:

Daß Jegliches dem Andern war

Vollkommen wie ein Spiegel klar.

Sie hatten beide Ein Herze,

Sein Schmerze war ihr Schmerze,

Ihr Schmerze war der seine,

Sie waren Eine Gemeine

An Liebe und an Leide

Und bargen sich's doch Beide;

Das that der Zweifel und die Scham:

Sie schämte sich, er war sich gram,

Sie zweifelt' an ihm, und er an ihr.

Wie blind auch ihre Herzensgier

Zusammenfloß in Einer Gluth,

So hatten sie doch keinen Muth

Zum ersten Wort und zum Beginn

Das heimlichte ihnen ihren Sinn.


Tristan, da er die Minne empfand,

Da gedachte er allzuhand

Der Treuen und der Ehren

Und wollte von dannen kehren.

»Nein,« dachte er fort und fort bei sich,

»Laß sein, Tristan, besinne dich

Und vor der Sünde dich bewahr.« –

Da wollte doch immer das Herze dar.

Wider seinen Willen kriegte er,

Begehrte wider sein Begehr:

Es zog ihn ab, es zog ihn an.

Der verirrte, verfangne Mann

Versuchte es in den Schlingen

Mit währendem vielem Ringen

Und hielt auch lange aus im Streit.

Der Getreue hatte ein doppelt Leid,

Davon ihm großes Weh geschah:

Wenn er ihr in die Augen sah

Und ihm die süße Minne

Sein Herz und seine Sinne

Begunnte zu versehren,

Gedachte er je der Ehren;

Die zog ihn ab von solchem Bann.

Nun trat ihn aber alsbald an

Minne, seine Erbkönigin,

Die zwang und nahm ihn wieder hin.

Ihn müheten stets aufs Neue

Seine Ehre und seine Treue:

Noch näher ihm aber die Minne trat,

Die ihm weher als wehe that;

Sie fügte ihm mehr zu Leide,

Denn Treue und Ehre beide.

Sie sah sein Herze lachend an

Und nahm sein Auge in ihren Bann

Wenn er sie aber nicht ersah,

So war das Leid noch größer da.

Gar oft bestellte er seinen Muth

Nach Art, wie der Gefangne thut,

Wie er möchte ledig sein der Qual,

Und dachte oft und manches Mal:

»Lenke dein Herz hin oder her,

Verwandle und wechsle dein Begehr,

Minne und meine anderswo,« –[133]

Da hielt die Schlinge, vor der er floh.

Er nahm sein Herze und seinen Sinn

Und suchte Aenderung darin:

Da war je nichts darinne,

Denn Isolde und die Minne.


Isolde auf gleiche Weise

Versuchte es auch mit Fleiße,

In zornigem Weh entbrannte,

Da sie den Leim erkannte

Der verlockenden Minne

Und sah, daß ihre Sinne

Darein versenket waren.

Sie wollte sich bewahren,

Sie strebte fort aus ihrem Bann:

Da klebte aber der Leim ihr an,

Der zog sie immer nieder.

Die Schöne strebte wider

Und sträubte sich bei jedem Tritt;

Sie folgte gar nicht gerne mit,

Versucht' es an manchen Enden;

Mit Füßen und mit Händen

Kehrte und wehrte sie sich sehr

Und versenkte je mehr und mehr

Ihre Hände und Füße

In die viel blinde Süße

Des Mannes und der Minne.

Ihre verstrickten Sinne

Konnten sich nicht entwinden,

Nicht Weg noch Brücke finden

Auf halben Fuß, auf halben Tritt,

Da nicht die Minne folgte mit.

Wohin sie auch gedachte

Und sich Gedanken machte,

So war nicht dies, noch das daran,

Als Minne stets und stets Tristan.

Und blieb all das verschwiegen:

Das war ein stetes Kriegen

Zwischen den Augen und dem Sinn:

Die Scham, die jagte die Augen hin,

Die Minne zog Sinn und Herze dar.

Und diese widerstreitende Schaar,

Magd und Mann, Minne und Scham,

Die war an ihr sehr irresam:

Die Magd den Mann begehrte

Und ab die Augen kehrte,

Die Scham, die wollte minnen

Und that es Niemand innen.

Was mochte das helfen? Scham und Magd,

Wie alle Welt zusammen sagt,

Die sind ein so hinfällig Ding,

Haben eine Dauer so gering,

Daß sie nicht lange widerstehn.

Isolde ließ sich den Krieg vergehn

Und that so, wie es um sie stand:

Die Sieglose ergab zuhand

Ihren Leib und ihre Sinne

Dem Manne und der Minne.

Sie blickte unterweilen dar

Und nahm verstohlen seiner wahr:

Ihre klaren Augen und ihr Sinn

Sie lebten nun in Frieden hin.

Ihr Herz und Augen, die stahlen

Gar heimlich zu vielen Malen

Und minnevoll sich zu dem Mann.

Der Mann, der sah sie wieder an

Mit innigen Gebärden.

Er begann auch laß zu werden,

Da Minne sich seiner nicht verzieh.

Mann und Magd, so gaben die

Zu jeder Zeit und jeder Stund,

Wenn ihnen nichts im Wege stund,

Einander Augenweide.

Die Minnenden däuchten beide

Einander schöner denn je zuvor:

Das bringt der Minne Recht hervor.

Es herrschet heuer und herrschte fernd

Und wird Jahraus, Jahrein erlernt

Von den Minnenden allen,

Daß sie sich baß gefallen,

So Minne an ihnen sich bekleibt,

Die Blumen und den Wucher treibt

Lieblicher Süßigkeiten,

Denn in den Erstlingszeiten.

Die wucherhafte Minne,

Die wächst nach dem Beginne.

Das ist der Same, den sie sät,

Von dem sie nimmermehr vergeht.

Sie dünket schöner seit denn vor:

So kommt der Minne Recht in Flor,

Däuchte Minne je seit wie vor,

Verginge bald der Minne Flor.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 129-134.
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