Oratorium, oder Bethstück

[279] Bey der Ausspendung des H. Abendmahls abzusingen


Sünder.


Ich bin wie ein verirret und verlohren Schaf.

Suche, Herr, deinen Knecht.


Aria.


Gott.


Kehr um, verlohrnes Schaf!

Und höre deines Hirten Stimme;

Entfleuch des Satans Grimme;

Verlaß den Sündenschlaf,

In welchem Geist und Seele stecken.

Ach, laß dich, laß dich doch erwecken.

Kehr um, verirrtes Schaf!


Gott.


Kehre wieder! kehre wieder, du abtrünniges Israel!


Choral.


Sünder.


Treulich hast du ja gesuchet

Die verlohrnen Schäfelein,

(als sie lieffen gantz verfluchet

in der Höllen Pfuhl hinein/[279]

ja du Satans-Ueberwinder/

hast die hochbetrübten Sünder/

so geruffen zu der Buß/

daß ich billig kommen muß.)


Gott.


Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken.


Aria.


Sünder.


Liebster Gott, ich bin beladen,

Sündenlasten ängsten mich.

Oeffne mir das Thor der Gnaden,

Menschenfreund, erbarme dich!

Ach laß doch

Dieses Joch

Meine Schultern nicht mehr drücken,

Nimm es selbst auf deinen Rücken;

Denn du willst mich ja erquicken.


Gott.


Allein erkenne, daß du wider den Herrn deinen Gott, gesündiget hast.


Choral.


Sünder.


Ach, ich bin ein Kind der Sünden!

Ach, ich irre weit und breit,

(es ist nichts an mir zu finden/

als nur Ungerechtigkeit/

all mein Tichten/ all mein Trachten/

heisset unsern Gott verachten/

bößlich leb ich gantz und gar/

und sehr gottloß immerdar.)


[280] Gott.


Bekehret euch von eurem bösen Wesen.


Arioso.


Sünder.


Herr! wie soll ich mich bekehren!

Fleisch und Blut

Ist nicht gut,

Daß es sollte Böses hassen;

Aller Sünden Wust verlassen.

Du mußt selbst mich dieses lehren,

Herr, wie soll ich mich bekehren?


Gott.


Glaube an den Herrn Jesum, so wirst du und dein Haus selig.


Choral.


Sünder.


Herr, ich glaube, hilf mir Schwachen!

Laß mich ja verzagen nicht,

(du/ du kanst mich stärcker machen/

wenn mich Sünd und Tod anficht/

deiner Güte wil ich trauen/

biß ich frölich werde schauen/

dich/ Herr Jesu nach dem Streit/

in der süssen Ewigkeit.)


Gott.


Sey getrost, mein Sohn! dir sind deine Sünden vergeben.


Choral.


Sünder.


Ach, ich höchstbetrübter Sünder!

Jesus nimmt mich wieder an,[281]

Und der große Ueberwinder,

Der allein nur helfen kann;

Reicht mir seine Gnadenhand,

Und zerreißt das Sündenband:

Ja, mein Heiland wirft die Sünde

In die tiefsten Meeresgründe.


Gott.


Nun siehe! du bist gesund worden, sündige hinfort nicht mehr.


Choral.


Sünder.


Hinfort soll mein Leben dir zu Ehren

Nimmer sich von deinem Dienst abkehren,

Dein will ich bleiben,

Keine Welt soll mehr von dir mich treiben.


Desgl.


Bis ich nach Verlauf der Jahre,

Die du mir hast zugedacht,

Selig aus dem Eiteln fahre,

Und du mich dahin gebracht:

Wo ich dich, mein Heil, mein Licht!

Schauen werd von Angesicht:

O! da will ich deinen Namen

Ewig, ewig preisen. Amen![282]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 279-283.
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