Ein Liebesbote

[290] Sehnsuchtkrank nach dem geliebten Jungen,

Dessen Blick ihr tief ins Herz gedrungen,

Sprach das Mägdlein beichtend zu dem Pater:

»Frommer Mönch, des Seelenheils Berather,

Wißt, so streng das Haus mein Vormund hütet,

Gegen jedes Männleins Einlaß wüthet,

Wußte doch mein Liebster einzudringen,

Im Gewand der Magd mußt' ihm's gelingen.

Sagt ihm nun, daß er nicht wiederkehre,

Daß ich büßend ihm den Einlaß wehre;

Bringt dieß Ringlein, das er mir gegeben,

Ihm zurück als Abschiedspfand fürs Leben.«

Ei, wie schlau sprach die so scheinbar Spröde,

Ei, wie war der Mönch so blind, so blöde,

Denn das Ringlein sagt ihm's selbst am Ende,

Daß es nicht geformt für Frauenhände.


Klar doch ward der Botschaft Sinn dem Jungen,

Dessen Herz ihr süßer Blick bezwungen;

Dem's noch nie gelang zu ihr zu kommen,

Jetzt wohl weiß er's: Magdgewand wird frommen![291]

Händeküssend spricht er zu dem Pater:

»Frommer Mönch, ihr, unsres Heils Berather,

Sagt der Maid, wie tief mich's schmerzt zu weichen,

Ihr Gebot doch ehr' ich; deß als Zeichen

Bringt zurück dieß Armband ihr von Golde,

Das mir einst als Huldpfand bot die Holde.« –

Ei, wie ist der Knabe schlau nicht minder,

Doch wie blieb der Mönch ein Blöd' und Blinder,

Denn sonst müßt' ihm's selbst dieß Armband sagen,

Daß nicht Männer solchen Goldreif tragen!


Abends als die Sternlein aufgegangen,

Halten Knab' und Maid sich liebumfangen,

Draußen blühn und glühn verschwiegne Rosen,

Innen blüht's und glüht's von Kuß und Kosen,

Lachend segnen sie die Liebesnoten

Ihres Witzes und den blinden Boten;

Doch die Täublein ahnen nicht im Neste,

Wer der Schlauste Aller und der Beste.


Einsam an dem Fenster seiner Zelle

Lehnt der Mönch und blickt zur Sternenhelle,

Saugt den Würzehauch der Blumenglocken,

Hört des Sprossers Locken und Frohlocken,

Und er denkt der Maid und denkt des Knaben:

»Was mir selbst versagt, mag's Andre laben!«

Gleichwie Rosenschein bei Sternenlichte

Spielt ihm Lächeln auf dem Angesichte,

»Bleibt nur in dem Wahn, ihr guten Kinder,

Daß ich nichts errieth, ein Blöd' und Blinder!«

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 290-292.
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