[292] Müden Haupts in Staub und Sonnenbrand
Schleicht des Wegs der Bruder Terminant,
Wählt zur Mittagsrast den Meilenstein,
Wischt vom Schweiß die blanke Glatze rein.
Bettelfahrt ist auch der Demut schwer,
Schwerste Last ein Bettelsack, der leer!
Träumend blickt der Mönch zum Zwillichschlauch.
»Alter, was verschlang nicht schon dein Bauch!
Zogst um Körnlein Weizens einst nur aus
Für des Herren Leib im Gotteshaus;
Doch es fiel davon so reichlich ab,
Daß auch unserm Leib es Rundung gab.
Batest einst nur um ein Kännlein Wein,
Opfernd ihn zum Blut des Herrn zu weihn;
Krug und Faß auch füllt das süße Blut,
Färbt das Antlitz schön in Rosengluth.
[293]
Für das Altartuch ein Büschlein Flachs,
Für die Kerzen nur ein Stümpfchen Wachs!
Lein doch kleidet nicht die Mensa blos,
Aus den Waben auch viel Honig floß.
Suchtest für die här'ne Kutte nur
Gröbsten Abfall bei der Wollenschur;
Doch sie maßen uns so reiches Maß,
Daß gar warm sich's in der Wolle saß.
Für Sandalen nur den Lederstreif!
Doch der dehnte sich zum weiten Reif,
Wie einst Dido's Riem, der rings das Land,
Forst und Acker, Teich und Trift umspannt.
Leerten einst die Brüder dich zum Grund,
Süßes Wunder, zauberhafter Fund:
Seid' und Sammt, Geschmeid und Prachtgewand,
Stab und Ring für die Prälatenhand!
Gold und Silber, Schmelz und Edelstein,
Burgen, Gülten, Münster und Abtei'n,
Himmelsgnaden, Erdenherrlichkeit
Schütten sie aus deinen Falten weit! –
Um des Mönches Haupt, wie Sonnenlicht
Leuchtend, fließt das holde Traumgesicht,
Rüstig nach dem Stabe greift die Hand,
Hoch erhobnen Haupts blickt er ins Land.
[294]
Um die Schultern seinen Sack gelegt,
Ha, wie stolz er jetzt den leeren trägt!
Schloß er ja den ganzen Erdball ein,
Und den Sternenhimmel obendrein!
Milder Traumgott, die geschenkt du hast,
Hilf sie tragen auch, die schwerste Last,
Daß die Bürde leicht und sanft ihm sei
Wie einst jenen, deren Tag vorbei.«
Ausgewählte Ausgaben von
In der Veranda
|
Buchempfehlung
Am Hofe des kaiserlichen Brüder Caracalla und Geta dient der angesehene Jurist Papinian als Reichshofmeister. Im Streit um die Macht tötet ein Bruder den anderen und verlangt von Papinian die Rechtfertigung seines Mordes, doch dieser beugt weder das Recht noch sich selbst und stirbt schließlich den Märtyrertod.
110 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro