|
[774] Phaon, Melitten führend. Landleute. Sappho mit ihren Dienerinnen im Hintergrunde.
PHAON.
Ha, wag es keiner, diese zu berühren!
Nicht wehrlos bin ich, wenn auch gleich entwaffnet!
Zu ihrem Schutz wird diese Faust zur Keule,
Und jedes meiner Glieder wird ein Arm!
Hierher, Melitta, hierher! Zittre nicht,
Dir soll kein Leid geschehn solang ich atme!
Verruchte, konntet ihr dies Haupt verletzen,
Das reine Haupt der Unschuld, und seid Männer?
So grausam dacht ich höchstens mir ein Weib,
Ein schwaches, feiges, aufgereiztes Weib.
Du warsts, der nach ihr schlug, ich kenne dich!
Fort, von mir, fort! Daß ich die Rachegötter
Vorgreifend nicht um ihren Raub betrüge!
Wie fühlst du dich.
MELITTA.
Wohl!
PHAON.
O, dein Blick verneint,
Dies Zittern, diese Blässe, laut verrät sie
Die erste Lüge, die dein Mund gesprochen!
Versuche nicht, den Grimm in mir zu dämpfen,
Zu neuer Glut fachst du die Flammen an!
Hier setze dich auf diesem Rasensitz;
Hier, wo dein mildes, himmelklares Auge
Zum erstenmale mir entgegenglänzte
Und wie des Tages goldner Morgenstrahl
Des Schlafes düstre Bande von mir löste,
In den mich jene Zauberin gesungen,
Hier, wo die Lieb ihr holdes Werk begann,
Auf dieser Stelle sei es auch vollendet!
Sprecht! Wo ist Sappho!
MELITTA.
Phaon, ruf sie nicht!
PHAON.
Sei ruhig! Bin ich nicht ein freier Mann?
Wer gab das Recht ihr, meinen Schritt zu hemmen?
Noch Richterstühle gibts in Griechenland,[774]
Mit Schrecken soll die Stolze das erfahren.
Zu Sappho hin!
EIN LANDMANN.
Du bleibst!
PHAON.
Wer hält mich? Wer?
LANDMANN.
Wir alle hier!
PHAON.
Ich bin ein freier Mann!
LANDMANN.
Du warsts, jetzt bist der Strafe du verfallen!
PHAON.
Der Strafe! und warum?
LANDMANN.
Der Sklavin Raub
Ruft das Gesetz zur Rache wider dich.
PHAON.
Es fordre Sappho Lösegeld für sie,
Und zahlen will ichs, wärens Krösus Schätze!
LANDMANN.
Ihr ziemts zu fordern, und nicht dir zu bieten!
PHAON.
Seid ihr so zahm, daß eines Weibes Rache
Geduldig ihr die Männerhände leiht,
Und dienstbar seid der Liebe Wechsellaunen?
Mir stehet bei, denn Unrecht widerfährt mir!
LANDMANN.
Ob Recht, ob Unrecht? Sappho wirds entscheiden!
PHAON.
So sprichst du, Alter, und errötest nicht?
Wer ist denn Sappho, daß du ihre Zunge
Für jene achtest an des Rechtes Wage?
Ist sie Gebietrin hier im Land?
LANDMANN.
Sie ist es,
Doch nicht weil sie gebeut, weil wir ihr dienen!
PHAON.
So hat sie denn euch alle auch umsponnen,
Ich will doch sehn, wie weit ihr Zauber reicht!
Gegen das Haus zugehend.
Zu ihr!
LANDMANN.
Zurück!
PHAON.
Vergebens dräuet ihr!
Ich muß sie sehen! Sappho, zeige dich!
Wo bist du? oder zitterst du vor mir? –
Ha, dort am Altar ihrer Diener Reihen,
Sie ist es, du entgehst mir nicht! – Zu mir!
Durchbricht die Menge. Auch der Kreis der Sklavinnen öffnet sich. Sappho liegt hingegossen an den Stufen des Altars.
LANDMANN.
Du wagst es, unbesonnen frecher Knabe?[775]
PHAON.
Was willst du an den Stufen hier der Götter?
Sie hören nicht der Bosheit Flehn. – Steh auf!
Er faßt sie an. Bei seiner Berührung fährt Sappho empor und eilt mit fliegenden Schritten, ohne ihn anzusehen, dem Vorgrunde zu.
PHAON ihr folgend.
Entweichst du mir? du mußt mir Rede stehn!
Ha, bebe nur! Es ist jetzt Zeit zu beben!
Weißt du, was du getan? Mit welchem Recht
Wagst du es, mich, mich, einen freien Mann,
Der niemand eignet als sich selber, hier
In frevelhaften Banden festzuhalten?
Hier diese da in ungewohnten Waffen,
Hast du sie ausgesandt? Hast du sie? Sprich! –
So stumm? der Dichtrin süße Lippe stumm?
SAPPHO.
Es ist zu viel!
PHAON.
Die Wange rötet sich,
Von Zornes heißen Gluten überflammt.
Recht, wirf die Larve weg, sei, was du bist,
Und tobe, töte, heuchlerische Circe!
SAPPHO.
Es ist zu viel! – Auf, waffne dich, mein Herz!
PHAON.
Antworte! Hast du diese ausgesandt?
SAPPHO zu Rhamnes.
Geh hin und hol die Sklavin mir zurück,
Nur sie und niemand anders ließ ich suchen!
PHAON.
Zurück! Es wage niemand, ihr zu nahn!
Begehre Lösegeld. Ich bin nicht reich,
Doch werden Eltern mir und Freunde willig steuern,
Mein Glück von deiner Habsucht zu erkaufen!
SAPPHO noch immer abgewandt.
Nicht Geld verlang ich, nur was mein! Sie bleibt!
PHAON.
Sie bleibet nicht! Bei allen Göttern, nein!
Du selber hast dein Recht auf sie verwirkt,
Als du den Dolch auf ihren Busen zücktest,
Du kauftest ihre Dienste, nicht ihr Leben!
Glaubst du, ich ließe sie in deiner Hand?
Noch einmal, fordre Lösegeld und laß sie!
SAPPHO zu Rhamnes.
Erfülle, was ich dir befahl![776]
PHAON.
Zurück!
Du rührst an deinen Tod, berührst du sie!
So ist dein Busen denn so ganz entmenscht,
Daß er sich nicht mehr regt bei Menschenleiden!
Zerbrich die Leier, gifterfüllte Schlange!
Die Lippe töne nimmerdar Gesang,
Du hast verwirkt der Dichtung goldne Gaben!
Den Namen nicht entweihe mehr der Kunst!
Die Blume soll sie sein aus dieses Lebens Blättern,
Die hoch empor, der reinsten Kräfte Kind,
In blaue Luft das Balsamhaupt erhebt,
Den Sternen zu, nach denen sie gebildet.
Du hast als giftgen Schierling sie gebraucht,
Um deine Feinde grimmig zu verderben!
Wie anders malt ich mir, ich blöder Tor,
Einst Sapphon aus, in frühern, schönern Tagen!
Weich, wie ihr Lied, war ihr verklärter Sinn,
Und makellos ihr Herz, wie ihre Lieder,
Derselbe Wohllaut, der der Lipp entquoll,
Er wiegte sich auch wogend in der Brust
Und Melodie war mir ihr ganzes Wesen!
Wer hat dich denn mit Zauberschlag verwandelt?
Ha, wende nicht die Augen scheu von mir!
Mich blicke an, laß mich dein Antlitz schauen,
Daß ich erkenne, ob dus selber bist,
Ob dies die Lippen, die mein Mund berührt,
Ob dies das Auge, das so mild gelächelt,
Ob, Sappho, du es bist, du Sappho?
Er faßt ihren Arm und wendet sie gegen sich. Sie blickt empor, ihr Auge trifft das seinige.
SAPPHO schmerzvoll zusammenfahrend.
Weh mir!
PHAON.
Du bist es noch; ja, das war Sapphos Stimme!
Was ich gesagt! Die Winde tragens hin,
Es soll nicht Wurzel schlagen in dem Herzen!
O, es wird helle, hell vor meinem Blick,
Und wie die Sonne nach Gewittersturm,
Strahlt aus der Gegenwart entladnen Wolken
In altem Glanze die Vergangenheit.[777]
Sei mir gegrüßt, Erinnrung schöner Zeit!
Du bist mir wieder, was du einst mir warst,
Eh ich dich noch gesehn, in ferner Heimat,
Dasselbe Götterbild, das ich nur irrend
So lange für ein Menschenantlitz hielt,
Zeig dich als Göttin! Segne, Sappho, segne!
SAPPHO.
Betrüger!
PHAON.
Nein fürwahr, ich bin es nicht!
Wenn ich dir Liebe schwur, es war nicht Täuschung,
Ich liebte dich, so wie man Götter wohl,
Wie man das Gute liebet und das Schöne.
Mit Höhern, Sappho, halte du Gemeinschaft,
Man steigt nicht ungestraft vom Göttermahle
Herunter in den Kreis der Sterblichen.
Der Arm, in dem die goldne Leier ruhte,
Er ist geweiht, er fasse Niedres nicht!
SAPPHO abgewendet vor sich hin.
Hinab in Meeresgrund die goldne Leier,
Wird ihr Besitz um solchen Preis erkauft!
PHAON.
Ich taumelte in dumpfer Trunkenheit,
Mit mir und mit der Welt im düstern Streite;
Vergebens rief ich die Gefühle auf,
Die ich in Schlummer glaubt und die nicht waren,
Du standst vor mir, ein unbegreiflich Bild,
Zu dems mich hin, von dems mich fort,
Mit unsichtbaren Banden mächtig zog;
Du warst – zu niedrig glaubte dich mein Zorn,
Zu hoch nennt die Besinnung dich – für meine Liebe.
Und nur das Gleiche fügt sich leicht und wohl!
Da sah ich sie, und hoch gen Himmel sprangen
Die tiefen Quellen alle meines Innern,
Die stockend vorher weigerten den Strahl.
Komm her, Melittion, komm her zu ihr,
O, sei nicht bange, sie ist mild und gütig!
Enthüll der Augen schimmernden Kristall,
Daß sie dir blicke in die fromme Brust
Und freudig ohne Makel dich erkenne!
MELITTA schüchtern nahend.
Gebieterin![778]
SAPPHO sie von sich haltend.
Fort von mir!
MELITTA.
Ach, sie zürnt!
PHAON.
So wär sie doch, was ich zu glauben scheute?
Komm her, Melittion, an meine Seite!
Du sollst nicht zu ihr flehn! Vor meinen Augen
Soll dich die Stolze nicht beleidigen,
Du sollst nicht flehn! Sie kennt nicht deinen Wert,
Nicht ihren, denn auf ihren Knieen würde
Sie sonst, die Schuld der Unschuld, stumm dir huldgen!
Hierher zu mir, hierher!
MELITTA.
Nein, laß mich knien,
Wies wohl dem Kinde ziemt vor seiner Mutter,
Und dünkt ihr Strafe recht, so strafe sie,
Ich will nicht murren wider ihren Willen!
PHAON.
Nicht dir allein, auch mir gehörst du an,
Und mich erniedrigst du durch diese Demut.
Noch gibt es Mittel, das uns zu erzwingen,
Was sie der Bitte störrisch-rauh versagt.
MELITTA.
O, wär es auch, mich freut nur ihre Gabe,
Erzwungen wäre mir das höchste Glück zur Last!
Hier will ich knien, bis mir ein milder Blick,
Ein gütig Wort, Verzeihung angekündigt.
Wie oft schon lag ich hier an dieser Stelle
Und immer stand ich freudig wieder auf;
Sie wird mich diesmal weinend nicht entlassen!
Blick auf dein Kind hernieder, teure Frau!
SAPPHO steht, das Gesicht auf Eucharis Schulter gelehnt.
PHAON.
Kannst du sie hören und bleibst kalt und stumm!
MELITTA.
Sie ist nicht kalt, und wenn auch schweigt ihr Mund,
Ich fühl ihr Herz zu meinem Herzen sprechen!
Sei Richter, Sappho, zwischen mir und ihm!
Heiß mich ihm folgen und ich folge ihm,
Heiß mich ihn fliehn – o Götter! – alles – alles!
Du zitterst! – Sappho, hörest du mich nicht?
PHAON Melitten umschlingend und ebenfalls hinknieend.
Den Menschen Liebe und den Göttern Ehrfurcht,
Gib uns, was unser, und nimm hin, was dein!
Bedenke, was du tust und wer du bist![779]
SAPPHO fährt bei den letzten Worten empor und blickt die Knieenden mit einem starren Blicke an, wendet sich dann schnell um und geht.
MELITTA.
Weh mir, sie flieht, sie hat ihr Kind verstoßen!
Sappho ab. Eucharis und Dienerinnen folgen.
Ausgewählte Ausgaben von
Sappho
|
Buchempfehlung
Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«
94 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro