Einst und jetzt

[95] Einst, tränend Auge! sahst du so hell empor!

Einst schlugst du mir so ruhig, empörtes Herz!

So, wie die Wallungen des Bächleins,

Wo die Forell am Gestade hinschlüpft.


Einst in des Vaters Schoße – des liebenden,

Geliebten Vaters – aber der Würger kam,

Wir weinten, flehten, doch der Würger

Schnellte den Pfeil; und es sank die Stütze!


Ha! du gerechte Vorsicht! so bald begann

Der Sturm, so bald? – Doch – straft mich des Undanks nicht,

Ihr Stunden meiner Knabenfreude,

Stunden des Spiels und des Ruhelächelns!


Ich seh euch wieder – herrlicher Augenblick!

Da füttert ich mein Hühnchen, da pflanzt ich Kohl

Und Nelken – freute so des Frühlings

Mich und der Ernt, und des Herbstgewimmels.


Da sucht ich Maienblümchen im Walde mir,

Da wälzt ich mich im duftenden Heu umher,

Da brockt ich Milch mit Schnittern ein, da

Schleudert ich Schwärmer am Rebenberge.


Und o! wie warm, wie hing ich so warm an euch

Gespielen meiner Einfalt, wie stürmten wir[96]

In offner Feldschlacht, lehrten uns den

Strudel durchschwimmen, die Eich ersteigen!


Jetzt wandl ich einsam an dem Gestade hin,

Ach keine Seele, keine für dieses Herz?

Ihr frohen Reigen? Aber weh dir,

Sehnender Jüngling! sie gehn vorüber!


Zurück denn in die Zelle, Verachteter!

Zurück zur Kummerstätte, wo schlaflos du

So manche Mitternächte weintest,

Weintest im Durste nach Lieb und Lorbeer.


Lebt wohl, ihr güldnen Stunden vergangner Zeit,

Ihr lieben Kinderträume von Größ und Ruhm,

Lebt wohl, lebt wohl, ihr Spielgenossen,

Weint um den Jüngling, er ist verachtet!

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 95-97.
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