Klagen

[25] An Stella


Stella! ach! wir leiden viel! wann nur das Grab –

Komme! komme, kühles Grab! nimm uns beide!

Siehe Stellas Tränen, komme,

Kühles, ruhiges Grab.


O ihr Menschen! o so gerne wollt ich euch

Alle lieben, warm und treu! o ihr Menschen,

Sehet, diese Stella haßt ihr!

Gott vergebe es euch!


Reißt sie nur hinweg von mir! Quäler! ihr!

Ich will schweigen – Gott – Gott wird reden.

Lebe wohl – ich sterbe bald – O

Stella! Stella, vergiß mich.


Viele Wonnenaugenblicke gabst du mir –

Vater, Vater! bebt ich oft auf zum Ewgen,

Sieh, ich liebe sie so rein, dein Auge,

Vater, sieht ja mein Herz.


Stella! weinen werd ich bis ans Grab um dich,

Weinen, Stella, du um mich – weinen! aber

Am Gerichtstag will ichs sagen

Vorm versammelten Erdkreis:


Diese sinds, die Stella quälten – aber nein!

Gott im Himmel! nein! vergib diesen Quälern.

Laß mich sterben – oder tragen

Diese Leiden – mein Gott.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 25-26.
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