An eine Quelle

[49] Heil dir, o Bach, der durch die grünen Netze,

Gewebt von Haselstauden, fließt,

Und durch die Flur, mit frölichem Geschwätze,

Die volle Silberurne gießt.


Der junge Lenz bemale dein Gestade

Mit Regenbögen, lieber Bach:

Stets wähle dich das schönste Kind zum Bade,

Und dein Gebüsch umher zum Dach.


Hier ist der Platz, wo jüngst der erste Funken

Der Lieb' in meinen Busen sank,

Wo jüngst mein Geist, so wonnevoll, so trunken,

Den ersten süßen Taumel trank.


Verdecket vom Gebüsch, saß ich und blickte

Zum andern bunten Ufer hin,

Wo Chloe saß und Mayenblumen pflückte,

Gleich einer jungen Huldgöttin.


Das Abendroth vergoldete die Hügel,

Die falbe Dämmerung umzog,

Wie da mein Geist, auf der Entzückung Flügel,

Fern über alle Himmel flog.


Wie schlug mein Herz! Wie warf ich durch die Decken

Der grünen Zweige Blick auf Blick!

Nichts konnte mich aus meinem Rausche wecken,

Nie wich mein Aug' von ihr zurück.
[49]

Ich träumte mich in goldne Paradiese,

Sah Nektar und Elysium

Statt meines Bachs, statt meiner bunten Wiese,

Um meinen trunknen Blick herum.


So saß sie lang auf Mayenblumenglocken,

Grub mir ihr Bild in meine Brust,

Und band mein Herz an ihre blonden Locken.

Wie schwamm ich nicht im Meer von Lust!


Wie lieb' ich dich, o silberweiße Quelle,

Wo Chloe unter Blumen saß

Und mit der Hand, so weiß wie deine Welle,

Die schönsten Frühlingsblümchen las.
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Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 49-51.
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