Melson

[218] Der Dollmetsch, welcher oft mehr Sprachen, als er wußte,

Vor seiner Königin1 sogleich erklären mußte;

Der schlaue Melson fand durch seine Munterkeit

Den Rath, den nur der Witz verleiht.

Einst kömmt aus Indien ein schwarzer Abgesandter,

Erscheinet vor dem Thron, und fängt den Vortrag an,

Den er nicht übersetzen kann;

Denn keine Sprache war dem Melson unbekannter.

Doch hilft die List ihm aus. Ihm winkt die Königin.

Er nähert sich, und spricht: Dieß ist der Rede Sinn:


Großmächtigste, dein Ruhm dringt bis in unsre Grenzen.

Nur dich verehrt ein jeder Theil der Welt.

Wo sollte nicht, in Marmor aufgestellt,

Dein Bild und Lob den spätsten Enkeln glänzen?

Es ist dir Brama hold. Zur Ehre schuf er dich.

Dein Anblick, wie dein Geist, ist mehr als königlich.


Dieß hörte Tavernier, der sich im Saal befand.

Des Fremden Sprache war ihm ganz genau bekannt.

Er hatte, wie man weiß, von seinen vielen Reisen

Mehr, als ein Stammbuch, aufzuweisen.

Er sagte: Königin, was Melson jetzo spricht,

Das redet der Gesandte nicht.


Wer wird, sprach Melson drauf, den Mischmasch wissen wollen?

Mir liegt die Pflicht der Ehrfurcht ob.

Die Königin verdient das Lob:

Und hat er's nicht gesagt, so hätt' er's sagen sollen.


Fußnoten

1 Anna von Oesterreich, Gemahlin Königs Ludwig des Dreizehnten von Frankreich, und Regentin zur Zeit der Minderjährigkeit Ludwigs des Großen.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 218.
Lizenz:
Kategorien: