[164] Siegfried erscheint mit Kriemhild.
KRIEMHILD auf ihr Gewand deutend.
Nun? Dankst dus mir?
SIEGFRIED.
Ich weiß nicht, was du meinst.
KRIEMHILD.
Sieh mich nur an!
SIEGFRIED.
Ich dank dir, daß du bist,
Daß du so lächelst, daß du blaue Augen
Und keine schwarze hast –
KRIEMHILD.
Du lobst den Herrn
In seiner Magd! Du Tor, hab ich mich selbst[164]
Geschaffen, und die Augen, die du rühmst,
Mir ausgesucht?
SIEGFRIED.
Die Liebe, dünkt mich, könnte
So seltsam träumen! Ja, an einem Morgen,
Wo alles mailich funkelte, wie heut,
Hast du die beiden hellsten Tropfen Taus,
Die an den beiden blausten Glocken hingen,
Dir weg gehascht, und trägst seitdem den Himmel
Zwiefach im Antlitz.
KRIEMHILD.
Lieber danks mir doch,
Daß ich als Kind so klug gefallen bin,
Denn diese Augen waren arg bedroht,
Als ich mir hier die Schläfe zeichnete.
SIEGFRIED.
Laß mich die Narbe küssen!
KRIEMHILD.
Hitzger Arzt,
Verschwende deinen Balsam nicht, die Wunde
Ist längst geheilt! Nein, weiter!
SIEGFRIED.
Nun, so danke
Ich deinem Mund –
KRIEMHILD.
Mit Worten?
SIEGFRIED will sie umarmen.
Darf ich so?
KRIEMHILD weicht zurück.
Glaubst du, ich fordre auf?
SIEGFRIED.
Mit Worten denn
Für Worte! Nein, für Süßeres, als Worte,
Für dein Gelispel holder Heimlichkeiten,
Dem Ohr so köstlich, wie dein Kuß der Lippe,
Und für die Heimlichkeiten selbst, fürs Lauschen
Am Fenster, als wir in die Wette warfen,
O, hätte ichs geahnt! und für dein Höhnen
Und Spotten –
KRIEMHILD.
Um mit Ehren zu verweilen,
Nicht wahr, so legst dus aus? Wie boshaft, Freund!
Das sagt ich dir im Dunkeln! Willst du sehn,
Ob ich erröte, wenn dus jetzt bei Tage
Mir wiederholst? Mein Blut ist gar zu dumm,
Es steigt und fällt zu rasch, und meine Mutter
Vergleicht mich oft mit einem Rosenstock,[165]
Der Rot und Weiß auf einem Stengel trägt.
Sonst hättst du nichts von alledem erfahren,
Doch fühlt ichs wohl, wie meine Wangen brannten,
Als mich mein Bruder gestern morgen neckte,
Da mußt ich dir die Missetat gestehn!
SIEGFRIED.
Daß der den besten Hirsch noch heute träfe!
KRIEMHILD.
Und ihn verfehlte! Ja! Das wünsch ich auch. –
Du bist wohl einer, wie mein Ohm, der Tronjer,
Der einen neuen Rock, den man ihm stickt
Und heimlich vor sein Bette legt, nur dann
Bemerkt, wenn er zu eng geriet?
SIEGFRIED.
Warum?
KRIEMHILD.
Du siehst nur das, was Gott und die Natur
An mir getan, mein eigenes Verdienst
Entgeht dir, das beginnt erst bei den Kleidern,
Und nicht einmal der Gürtel fällt dir auf.
SIEGFRIED.
Nun, der ist bunt! Doch lieber mögt ich noch
Den Regenbogen um den Leib dir winden,
Mir deucht, der paßt zu dir und du zu ihm.
KRIEMHILD.
Bring mir ihn zur Nacht, so wechsle ich,
Doch wirf ihn nicht so hin, wie diesen andern,
Ich hätte dein Geschenk fast übersehn!
SIEGFRIED.
Was redest du?
KRIEMHILD.
Wenn nicht die Steine wären,
So läge er wohl jetzt noch unterm Tisch,
Doch Feuer kann sich freilich nicht verstecken.
SIEGFRIED.
Der wär von mir?
KRIEMHILD.
Gewiß!
SIEGFRIED.
Kriemhild, du träumst!
KRIEMHILD.
Ich fand ihn in der Kammer.
SIEGFRIED.
Deine Mutter
Wird ihn verloren haben!
KRIEMHILD.
Meine Mutter!
O nein, ich kenne ihren Schmuck! Ich dachte,
Er stamme aus dem Nibelungenhort,
Und legt ihn eilig an, dich zu erfreun!
SIEGFRIED.
Das dank ich dir, allein ich kenn ihn nicht!
KRIEMHILD nimmt den Gürtel ab.[166]
Dann mach der goldnen Borte wieder Platz,
Die du bedeckst! Ich war schon ganz geschmückt
Und schnallte ihn nur über, um die Mutter
Und dich zugleich zu ehren, denn die Borte
Ist von der Mutter!
SIEGFRIED.
Das ist wunderlich! –
Du fandst ihn an der Erde?
KRIEMHILD.
Ja!
SIEGFRIED.
Zerknüllt?
KRIEMHILD.
Siehst du, daß du ihn kennst! Der zweite Spaß
Gelang dir, wie der erste, und ich habe
Zwiefache Müh!
Sie will den Gürtel wieder umschnallen.
SIEGFRIED.
Um Gottes willen, nein!
KRIEMHILD.
Ist das dein Ernst?
SIEGFRIED für sich.
Sie suchte mir die Hände
Zu binden.
KRIEMHILD.
Lachst du nicht?
SIEGFRIED für sich.
Da ward ich wütend
Und brauchte meine Kraft.
KRIEMHILD.
Noch immer nicht?
SIEGFRIED für sich.
Ich riß ihr etwas weg!
KRIEMHILD.
Bald werd ichs glauben.
SIEGFRIED für sich.
Das pfropft ich, weil sie wieder darnach griff,
Mir in den Busen, und – – Gib her, gib her,
Kein Brunnen ist so tief, den zu verbergen,
Ein Stein daran, und in den Rhein hinab!
KRIEMHILD.
Siegfried!
SIEGFRIED.
Er ist mir dann entfallen! – Gib!
KRIEMHILD.
Wie kam er denn in deine Hand?
SIEGFRIED.
Dies ist
Ein furchtbar unglückseliges Geheimnis,
Verlange keinen Teil daran.
KRIEMHILD.
Du hast
Mir doch ein größres anvertraut, ich kenne
Die Stelle, wo der Tod dich treffen kann.
SIEGFRIED.
Das hüte ich allein![167]
KRIEMHILD.
Das andre hüten
Wohl zwei!
SIEGFRIED für sich.
Verflucht! Ich eilte mich zu sehr!
KRIEMHILD bedeckt sich das Gesicht.
Du schwurst mir etwas! Warum tatst du das?
Ich hatt es nicht verlangt.
SIEGFRIED.
Bei meinem Leben,
Ich habe nie ein Weib erkannt!
KRIEMHILD hält den Gürtel in die Höhe.
SIEGFRIED.
Ich wurde
Damit gebunden!
KRIEMHILD.
Wenns ein Löwe sagte,
Es wäre glaublicher!
SIEGFRIED.
Und doch ists wahr!
KRIEMHILD.
Dies schmerzt! Ein Mann, wie du, kann keinen Fehler
Begehn, der ihn, wie schlimm er immer sei,
Nicht doch noch besser kleidet, als die Lüge,
Womit er ihn bedecken will!
Gunther und Brunhild treten auf.
SIEGFRIED.
Weg, weg!
Man kommt!
KRIEMHILD.
Wer kommt? Brunhild? Kennt die den Gürtel?
SIEGFRIED.
Verbirg ihn doch!
KRIEMHILD.
Nein, nein, ich zeige ihn!
SIEGFRIED.
Verstecke ihn, so sollst du alles wissen.
KRIEMHILD indem sie den Gürtel verbirgt.
Sie kennt ihn also wirklich?
SIEGFRIED.
Hör mich an!
Beide folgen dem Zuge.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Nibelungen
|
Buchempfehlung
Die Geschichte des Gaius Sempronius Gracchus, der 123 v. Chr. Volkstribun wurde.
62 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro