[156] Schwül wird diese Nacht. Am Himmelsbogen
Zieh'n die Wolken dichter sich zusammen,
Breit beglänzt von Wetterleuchtens Flammen
Und von rothen Blitzen scharf durchzogen.
Alles Leben ist in sich verschlossen,
Kaum nur, daß ich mühsam Athem hole;
Selbst im Beete dort die Nachtviole
Hat den süßen Duft noch nicht ergossen.
Jedes Auge wär' schon zugefallen,
Doch die Herzen sind voll Angst und zittern
Vor den zwei sich kreuzenden Gewittern,
Deren Donnergrüße bald erschallen.[156]
Jene Alte schleppt sich zur Kapelle,
Doch sie wird den Heil'gen nicht erblicken,
Eh' die Wolken ihre Blitze schicken,
Betend kauert sie sich auf der Schwelle.
Ist das nicht des Liebchens taube Muhme?
Ja! So will ich hier nicht länger weilen,
Will zu ihr, zu ihrem Fenster eilen,
Und dort lauschen, statt am Heiligthume.
Weiß ich's denn? Kann nicht ein Blitz da zünden?
Kann ich, wenn ich aus der Glut sie rette,
Nicht – o daß er schon gezündet hätte! –
Ihr mein süß Geheimniß endlich künden?
Sieh, da bin ich schon! Bei'm Lampenlichte
Sitzt sie, in die weiße Hand das Köpfchen
Stützend, mit noch aufgeflochtnen Zöpfchen,
Stillen Schmerz im blassen Angesichte.
Horch', der erste Donnerschlag! Es krachen
Thür und Thor! Sie scheint es nicht zu hören!
Wessen denkt sie? Wüßt' ich's, würd' ich schwören:
Heut' noch will ich den Garaus ihm machen.
Sie erlebt sich. Willst du dich entkleiden?
Gute Nacht! Warum? Zur rechten Stunde
Löscht sie selbst das Licht, und giebt dir Kunde:
Mehr ist nicht erlaubt! Dann magst du scheiden!
Was? Sie knüpft ein Tuch um ihre Locken?
Hüllt sich in der Muhme alten Mantel?
Ist sie – Oder stach mich die Tarantel?
Wird sie – Die Besinnung will mir stocken?[157]
Ja, schon knarrt die Thür. Da kommt sie. Nimmer
Würd' ich selbst sie, so vermummt, erkennen,
Hätt' ich nicht – – Die Lampe läßt man brennen,
Daß es scheint, man sei im frommen Zimmer.
Rasch an mir vorbei! Sie ist, wie Alle!
Folg' ich ihr? Ja freilich! Um zu schauen,
Ob man ihr mit braunen oder blauen
Augen – schwarze hab' ich selbst – gefalle.
Waldhorn-Klänge aus dem Jägerhäuschen!
Bei'm Gewitter? O, das ist ein Zeichen!
So ist das der Jüngling sonder Gleichen?
Wohl! Doch nächstens pflücken wir ein Sträußchen.
Und weshalb? Hat sie dir was versprochen?
Nein! Und dennoch muß ich sie verklagen,
Daß sie, ja, so darf, so darf ich sagen,
Einen stillen Bund mit mir gebrochen.
Weiter! Weiter? So vergieb, Geliebte!
Doch wohin? Hier zieht der Wald sich düster,
Und dort wohnt die Alte an der Rüster,
Die in mancher dunklen Kunst geübte.
Gilt es der? Halt ein! Dein Herz muß klopfen!
Rastlos donnert's ja, zur Feuergarbe
Schwillt der Blitz, blutroth wird seine Farbe,
Und noch immer fällt kein milder Tropfen.
Fort! Und fort! Und unter falschen Bäumen,
Die der Blitz – – Ihr näher! daß sie keiner
Treffen kann, der mich verschont, nicht einer!
Schritt auf Schritt ihr nach! Wer würde säumen![158]
Ist sie nun am Ziel? Da ist die Hütte!
Ja, sie pocht. Man öffnet ihr. Ich spähe
Durch den Ritz. Wer weiß, was ihr geschähe,
Wenn ich nicht – – Ein Kreis! Sie in der Mitte!
Wie sie da steht, fast zum Schnee erbleichend,
Und die Alte, in der Ecke kauernd,
Dreht ein Bild aus Wachs. Sie sieht es schauernd.
Jetzt spricht die zu ihr, das Bild ihr reichend:
Zieh dir nun die Nadel aus den Haaren,
Rufe den Geliebten, laut und deutlich,
Und durchstich dies Bild, dann wirst du bräutlich
Ihn umfangen und ihn dir bewahren.
Schweigt, ihr Donner! Praßle noch nicht, Regen,
Daß ich noch den Einen Laut vernehme,
Ob er auch des Herzens Schlag mir lähme
Und der Pulse feuriges Bewegen!
Wie sie zögert! Wie sie mit Erröthen
In die Locken greift und eine Nadel
Auszieht auf der Alten stummen Tadel
Und noch säumt, als gälte es, zu tödten!
Endlich zückt sie die, und – meine Sinne
Reißen! – ruft – hinein! Zu ihren Füßen! –
Ruft mich selbst mit Worten, stammelnd-süßen,
Als den Einen, den sie heimlich minne! –
Und dem Zagen kommt der Muth, behende
Weicht die Thür. Wer durfte sich erfrechen,
Ruft die Alte, und den Zauber brechen? –
Ohne Furcht! Hier kommt nur, der ihn ende![159]
Sie entweicht mit holden Schaam-Geberden;
Da umschließt er sie, und Glut und Sehnen
Lös't bei Beiden sich in linden Thränen,
Die der Mensch nur einmal weint auf Erden.
Und so steh'n sie, wechseln keine Küsse,
Still gesättigt und in sich versunken,
Schon berauscht, bevor sie noch getrunken,
In der Ahnung dämmernder Genüsse.
Und auch draußen lös't sich jetzt die Schwüle,
Die zerrißnen Wolken, Regen schwanger,
Schütten ihn herab auf Hain und Anger,
Und hinein zur Hütte dringt die Kühle.
Als nun auch der Regen ausgewüthet,
Wallen sie, die Alte gern verlassend,
Kinderfromm sich an den Händen fassend,
Wieder heim, von Engeln still behütet.
Als sie aber scheiden will, da ziehen
Glühendheiß die Nachtviolendüfte
An ihm hin im sanften Spiel der Lüfte,
Und nun küßt er sie noch im Entfliehen.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
|
Buchempfehlung
Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro