Des neuen Jahres Morgengruß

[144] Der Morge will und will nit cho,

und woni los, schloft alles no;

i weck si nit, so lang i cha,

i lueg e wengeli d'Gegnig a.

Zeig Wülkli, mach jez keini Streich!

Der Mond schint ohni das so bleich.[144]

Kei Blümli rot, kei Blümli wiiß!

An alle Bäume nüt as Ris!

Um alli Brunntrög Strau und Strau,

vor Chellertür und Stalltür au.

Mi Vetter het's drum sölli gmacht,

und lauft jez furt in dunkler Nacht.

Das Ding, das muß mer anderst cho!

Ich bi der Ma, und's blibt nit so.

Die Gärte müen mer gsüfert si,

Aurikeli und Zinkli dri,

und neui Blüten alli Tag,

was Hurst und Nast vertrage mag.

Es rüehrt si nüt. Sie schlofe no. –

Nei lueg, es sizt e Späzli do!

Du arme Tropf bisch übel dra.

Was gilt's, er het e Wibli gha,

und druf isch Not und Mangel cho,

sie hen si müße scheide lo.

Jez het er e bitrübti Sach,

kei Frau, kei Brot, kei Dach und Fach,

und stoht er uf, so spot er mag,

se seit em niemes ›Gute Tag‹;

und niemes schnidt em d'Suppen i.

Wart Bürstli, dir muß ghulfe si.

Es rührt si nüt. Sie schlofe no. –

Ne gattig Chilchli hen si do,

so sufer wie in menger Stadt,

's isch Sechsi uffem Zifferblatt.

Der Morge chunnt. Bi miner Treu,

es friert ein bis in Mark und Bei.

Die Tote gspüre nüt dervo;

ne rüeihig Lebe hen si do.

Si schlofe wohl, und's friert si nit;

der Chilchhof macht vo allem quitt.

Sin echt no leeri Plätzli do?

's cha si, me bruucht e paar dervo.[145]

Ne Chindli, wo ke Mutter het,

denk wohl, i mach em do si Bett.

En alte Ma, en armi Frau,

denk wohl, i bring di Stündli au.

Hesch mengi Stund im Schmerz verwacht,

do schlof, und hesch e stilli Nacht.

Jez brennt emol e Liechtli a,

und dört en anders nebe dra,

und d'Läde schettere druf und druf,

do goht, bim Blust, e Hustür uf!

»Grüß Gott, ihr Lüt, und ich bi do,

i bi scho z'nacht um Zwölfi cho.

Mi Vetter het si Bündel gmacht,

und furt, bi Nebel und bi Nacht.

Wär ich nit uf d'Minute cho,

's hätt weger chönne gföhrli go.

Wie gfall ich in mim Sunntiggwand?

's chunnt fadeneu us Schniders Hand.

E Rübelirock, er stoht mer wohl

zum rote Scharlachkamisol,

und plüschi Hose han i a,

e Zitli drin, e Bendeli dra,

ne gchrüslet Hoor, e neue Huet,

e heiter Aug, e frohe Muet.

Es luegt do ein mi Schnappsack a,

und 's nimmt en Wunder, was i ha.

Ihr liebe Lüt, das sagi nit,

wenn's chunnt, so nimm verlieb dermit!

's sin Rösli drinn und Dorne dra,

me cha nit jedes bsunder ha.

Und Wagleschnür, und Wickelband.

e Fingerring ans Brütlis Hand,

en Ehrechranz ins lockig Hoor,

e Schlüssel au zum Chilchhoftor.

Gent Achtig, was i bitt und sag,

's cha jede treffen alle Tag.[146]

E stille Sinn in Freud und Not,

e rueihig Gwisse gebich Gott!

Und wer's nit redli meint und gut

und wer si Sach nit ordli tut,

dem bring i au kei Sege mit,

und wenni wott, se chönnti nit.

Jez göhnt und leget d'Chinder a,

und was i gseit ha, denket dra,

und wenn der au in d'Chilche went,

se schaffet, was der z'schaffe hent.

Der Tag isch do, der Mond vergoht,

und d'Sunne luegt ins Morgerot.«

Quelle:
Johann Peter Hebel: Gesamtausgabe, Band 3, Karlsruhe 1972, S. 144-147.
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