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Die Launen der Verliebten

[227] Eine wahre Geschichte, nach älteren Dokumenten wiedererzählt und aufs neue in schöne deutsche Reime gebracht


Der Käfer saß auf dem Zaun, betrübt;

Er hat sich in eine Fliege verliebt.


»Du bist, o Fliege meiner Seele,

Die Gattin, die ich auserwähle.


Heirate mich und sei mir hold!

Ich hab einen Bauch von eitel Gold.


Mein Rücken ist eine wahre Pracht;

Da flammt der Rubin, da glänzt der Smaragd.«


»O daß ich eine Närrin wär!

Ein'n Käfer nehm ich nimmermehr.


Mich lockt nicht Gold, Rubin und Smaragd;

Ich weiß, daß Reichtum nicht glücklich macht.


Nach Idealen schwärmt mein Sinn,

Weil ich eine stolze Fliege bin.« –


Der Käfer flog fort mit großem Grämen;

Die Fliege ging, ein Bad zu nehmen.


»Wo ist denn meine Magd, die Biene,

Daß sie beim Waschen mich bediene;


Daß sie mir streichle die feine Haut,

Denn ich bin eines Käfers Braut.
[227]

Wahrhaftig, ich mach eine große Partie;

Viel schöneren Käfer gab es nie.


Sein Rücken ist eine wahre Pracht;

Da flammt der Rubin, da glänzt der Smaragd.


Sein Bauch ist gülden, hat noble Züge;

Vor Neid wird bersten gar manche Schmeißfliege.


Spute dich, Bienchen, und frisier mich,

Und schnüre die Taille und parfümier mich;


Reib mich mit Rosenessenzen, und gieße

Lavendelöl auf meine Füße,


Damit ich gar nicht stinken tu,

Wenn ich in des Bräut'gams Armen ruh.


Schon flirren heran die blauen Libellen,

Und huldigen mir als Ehrenmamsellen.


Sie winden mir in den Jungfernkranz

Die weiße Blüte der Pomeranz'.


Viel Musikanten sind eingeladen,

Auch Sängerinnen, vornehme Zikaden.


Rohrdommel und Horniß, Bremse und Hummel,

Sie sollen trompeten und schlagen die Trummel;


Sie sollen aufspielen zum Hochzeitfest –

Schon kommen die buntbeflügelten Gäst',


Schon kommt die Familie, geputzt und munter;

Gemeine Insekten sind viele darunter.
[228]

Heuschrecken und Wespen, Muhmen und Basen,

Sie kommen heran – die Trompeten blasen.


Der Pastor Maulwurf im schwarzen Ornat,

Da kommt er gleichfalls – es ist schon spat.


Die Glocken läuten, bim-bam, bim-bam –

Wo bleibt mein liebster Bräutigam?« – –


Bim-bam, bim-bam, klingt Glockengeläute,

Der Bräutigam aber flog fort ins Weite.


Die Glocken läuten, bim-bam, bim-bam –

»Wo bleibt mein liebster Bräutigam?«


Der Bräutigam hat unterdessen

Auf einem fernen Misthaufen gesessen.


Dort blieb er sitzen sieben Jahr',

Bis daß die Braut verfaulet war.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 227-229.
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