Die Menge tut es

[379] »Die Pfannekuchen, die ich gegeben bisher für

drei Silbergroschen, ich geb sie nunmehr für

zwei Silbergroschen; die Menge tue es.«


Nie löscht, als wär sie gegossen in Bronze,

Mir im Gedächtnis jene Annonce,

Die einst ich las im Intelligenzblatt

Der intelligenten Borussenhauptstadt.


Borussenhauptstadt, mein liebes Berlin,

Dein Ruhm wird blühen ewig grihn

Als wie die Beeme deiner Linden –

Leiden sie immer noch an Winden?

Wie geht's dem Tiergarten? Gibt's dort noch ein Tier,

Das ruhig trinkt sein blondes Bier,

Mit der blonden Gattin, in den Hütten,

Wo kalte Schale und fromme Sitten?


Borussenhauptstadt, Berlin, was machst du?

Ob welchem Eckensteher lachst du?

Zu meiner Zeit gab's noch keinen Nante:

Es haben damals nur gewitzelt

Der Herr Wisotzki und der bekannte[379]

Kronprinz, der jetzt auf dem Throne sitzelt.

Es ist ihm seitdem der Spaß vergangen,

Und den Kopf mit der Krone läßt er hangen.

Ich habe ein Faible für diesen König;

Ich glaube, wir sind uns ähnlich ein wenig.

Ein vornehmer Geist, hat viel Talent –

Auch ich, ich wäre ein schlechter Regent.

Wie mir, ist auch zuwider ihm

Die Musik, das edle Ungetüm;

Aus diesem Grund protegiert auch er

Den Musikverderber, den Meyerbeer.

Der König bekam von ihm kein Geld,

Wie fälschlich behauptet die böse Welt.

Man lügt soviel! Auch keinen Dreier

Kostet der König dem Beerenmeyer.

Derselbe dirigiert für ihn

Die große Oper zu Berlin,

Und doch auch er, der edle Mensch,

Wird nur bezahlt en monnaie de singe,

Mit Titel und Würden – Das ist gewiß,

Er arbeitet dort für den Roi de Prusse.


Denk ich an Berlin, auch vor mir steht

Sogleich die Universität.

Dort reiten vorüber die roten Husaren,

Mit klingendem Spiel, Trompetenfanfaren –

Es dringen die soldatesken Töne

Bis in die Aula der Musensöhne.

Wie geht es dort den Professoren

Mit mehr oder minder langen Ohren?

Wie geht es dem elegant geleckten,

Süßlichen Troubadour der Pandekten,

Dem Savigny? Die holde Person,

Vielleicht ist sie längst gestorben schon –

Ich weiß es nicht – ihr dürft's mir entdecken,

Ich werde nicht zu sehr erschrecken.[380]

Auch Lott' ist tot! Die Sterbestunde,

Sie schlägt für Menschen wie für Hunde,

Zumal für Hunde jener Zunft,

Die immer angebellt die Vernunft

Und gern zu einem römischen Knechte

Den deutschen Freiling machen möchte.

Und der Maßmann mit der platten Nas',

Hat Maßmann noch nicht gebissen ins Gras?

Ich will es nicht wissen, o sagt es mir nicht,

Wenn er verreckt – ich würde weinen.

O mag er noch lange im Lebenslicht

Hintrippeln auf seinen kurzen Beinchen,

Das Wurzelmännchen, das Alräunchen

Mit dem Hängewanst! O diese Figur

War meine Lieblingskreatur

So lange Zeit – ich sehe sie noch –

So klein sie war, sie soff wie ein Loch,

Mit seinen Schülern, die bierentzügelt

Den armen Turnmeister am Ende geprügelt.

Und welche Prügel! Die jungen Helden,

Sie wollten beweisen, daß rohe Kraft

Und Flegeltum noch nicht erschlafft

Beim Enkel von Hermann und Thusnelden!

Die ungewaschnen germanischen Hände,

Sie schlugen so gründlich, das nahm kein Ende,

Zumal in den Steiß die vielen Fußtritte,

Die das arme Luder geduldig litte.

»Ich kann«, rief ich, »dir nicht versagen

All meine Bewundrung; wie kannst du ertragen

So viele Prügel? du bist ein Brutus!«

Doch Maßmann sprach: »Die Menge tut es.«


Und apropos: wie sind geraten

In diesem Jahr die Teltower Rüben

Und sauren Gurken in meiner lieben

Borussenstadt? Und die Literaten,[381]

Befinden sie sich noch frisch und munter?

Und ist immer noch kein Genie darunter?

Jedoch, wozu ein Genie? wir laben

Uns besser an frommen, bescheidnen Gaben,

Auch sittliche Menschen haben ihr Gutes –

Zwölf machen ein Dutzend – die Menge tut es.


Und wie geht's in Berlin den Leutenants

Der Garde? Haben sie noch ihre Arroganz

Und ihre enggeschnürte Taille?

Schwadronieren sie noch von Kanaille?

Ich rate euch, nehmt euch in acht,

Es bricht noch nicht, jedoch es kracht;

Und es ist das Brandenburger Tor

Noch immer so groß und so weit wie zuvor,

Und man könnt euch auf einmal zum Tor hinausschmeißen,

Euch alle, mitsamt dem Prinzen von Preußen –


Die Menge tut es.
[382]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 376,383.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Nachlese
Hebraische Melodien: Poetische Nachlese: Tragodien
Heinrich Heine: Buch der Lieder - Nachlese zu den Gedichten 1812-1827
Heinrich Heines Buch Der Lieder, Nebst Einer Nachlese Nach Den Ersten Drucken Oder Handschriften (German Edition)

Buchempfehlung

Anonym

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.

158 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon