König Langohr I.

[383] Bei der Königswahl, wie sich versteht,

Hatten die Esel die Majorität,

Und es wurde ein Esel zum König gewählt.

Doch hört, was jetzt die Chronik erzählt:


Der gekrönte Esel bildete sich

Jetzt ein, daß er einem Löwen glich;

Er hing sich um eine Löwenhaut,

Und brüllte wie ein Löwe so laut.

Er pflegte Umgang nur mit Rossen –

Das hat die alten Esel verdrossen.

Bulldoggen und Wölfe waren sein Heer,

Drob murrten die Esel noch viel mehr.

Doch als er den Ochsen zum Kanzler erhoben,

Vor Wut die Esel rasten und schnoben.

Sie drohten sogar mit Revolution!

Der König erfuhr es, und stülpte die Kron'

Sich schnell aufs Haupt und wickelte schnell

Sich in sein mutiges Löwenfell.

Dann ließ er vor seines Thrones Stufen

Die malkontenten Esel rufen,

Und hat die folgende Rede gehalten:


»Hochmögende Esel, ihr jungen und alten!

Ihr glaubt, daß ich ein Esel sei

Wie ihr, ihr irrt euch, ich bin ein Leu;

Das sagt mir jeder an meinem Hofe,

Von der Edeldame bis zur Zofe.

Mein Hofpoet hat ein Gedicht

Auf mich gemacht, worin er spricht:

›Wie angeboren dem Kamele

Der Buckel ist, ist deiner Seele

Die Großmut des Löwen angeboren –

Es hat dein Herz keine langen Ohren!‹
[383]

So singt er in seiner schönsten Strophe,

Die jeder bewundert an meinem Hofe.

Hier bin ich geliebt; die stolzesten Pfauen

Wetteifern, mein königlich Haupt zu krauen.

Die Künste beschütz ich; man muß gestehn,

Ich bin zugleich August und Mäzen.

Ich habe ein schönes Hoftheater;

Die Heldenrollen spielt mein Kater.

Die Mimin Mimi, die holde Puppe,

Und zwanzig Möpse bilden die Truppe.

Ich hab eine Malerakademie

Gestiftet für Affen von Genie.

Als ihren Direktor hab ich in petto,

Den Raffael des Hamburger Getto,

Lehmann vom Dreckwall, zu engagieren;

Er soll mich auch selber porträtieren.

Ich hab eine Oper, ich hab ein Ballett,

Wo halb entkleidet und ganz kokett

Gar allerliebste Vögel singen

Und höchst talentvolle Flöhe springen.

Kapellenmeister ist Meyer-Bär,

Der musikalische Millionär;

Jetzt schreibt der große Bären-Meyer

Ein Festspiel zu meiner Vermählungsfeier.

Ich selber übe die Tonkunst ein wenig,

Wie Friedrich der Große, der Preußenkönig.

Er blies die Flöte, ich schlage die Laute,

Und manches schöne Auge schaute

Sehnsüchtig mich an, wenn ich mit Gefühl

Geklimpert auf meinem Saitenspiel.

Mit Freude wird einst die Königin

Entdecken, wie musikalisch ich bin!

Sie selbst ist eine vollkommene Stute

Von hoher Geburt, vom reinsten Blute.

Sie ist eine nahe Anverwandte

Von Don Quixotes Rosinante;[384]

Ihr Stammbaum bezeugt, daß sie nicht minder

Verwandt mit dem Bayard der Haimonskinder;

Sie zählt auch unter ihren Ahnen

Gar manchen Hengst, der unter den Fahnen

Gottfrieds von Bouillon gewiehert hat,

Als dieser erobert die Heilige Stadt.

Vor allem aber durch ihre Schöne Glänzt sie!

Wenn sie schüttelt die Mähne,

Und wenn sie schnaubt mit den rosigen Nüstern,

Jauchzt auf mein Herz, entzückt und lüstern –

Sie ist die Blume und Krone der Mähren

Und wird mir einen Kronerben bescheren.

Ihr seht, verknüpft mit dieser Verbindung

Ist meiner Dynastie Begründung.

Mein Name wird nicht untergehn,

Wird ewig in Klios Annalen bestehn.

Die hohe Göttin wird von mir sagen,

Daß ich ein Löwenherz getragen

In meiner Brust, daß ich weise und klug

Regiert und auch die Laute schlug.«


Hier rülpste der König, doch unterbrach er

Nicht lange die Rede, und weiter sprach er:


»Hochmögende Esel, ihr jungen und alten!

Ich werd euch meine Gunst erhalten,

Solang ihr derselben würdig seid.

Zahlt eure Steuern zur rechten Zeit

Und wandelt stets der Tugend Bahn,

Wie weiland eure Väter getan,

Die alten Esel! Sie trugen zur Mühle

Geduldig die Säcke; denn ihre Gefühle,

Sie wurzelten tief in der Religion.

Sie wußten nichts von Revolution –

Kein Murren entschlüpfte der dicken Lippe,

Und an der Gewohnheit frommen Krippe[385]

Fraßen sie friedlich ihr tägliches Heu!

Die alte Zeit, sie ist vorbei.

Ihr neueren Esel seid Esel geblieben,

Doch ohne Bescheidenheit zu üben.

Ihr wedelt kümmerlich mit dem Schwanz,

Doch drunter lauert die Arroganz.

Ob eurer albernen Miene hält

Für ehrliche Esel euch die Welt;

Ihr seid unehrlich und boshaft dabei,

Trotz eurer demütigen Eselei.

Steckt man euch Pfeffer in den Steiß,

Sogleich erhebt ihr des Eselgeschreis

Entsetzliche Laute! Ihr möchtet zerfleischen

Die ganze Welt, und könnt nur kreischen.

Unsinniger Jähzorn, der alles vergißt!

Ohnmächtige Wut, die lächerlich ist!

Eu'r dummes Gebreie, es offenbart,

Wie viele Tücken jeder Art,

Wie ganz gemeine Schlechtigkeit

Und blöde Niederträchtigkeit

Und Gift und Galle und Arglist sogar

In der Eselshaut verborgen war.«


Hier rülpste der König, doch unterbrach er

Nicht lange die Rede, und weiter sprach er:


»Hochmögende Esel, ihr jungen und alten!

Ihr seht, ich kenne euch! Ungehalten,

Ganz allerhöchst ungehalten bin ich,

Daß ihr so schamlos widersinnig

Verunglimpft habt mein Regiment.

Auf eurem Eselsstandpunkt könnt

Ihr nicht die großen Löwenideen

Von meiner Politik verstehen.

Nehmt euch in acht! In meinem Reiche

Wächst manche Buche und manche Eiche,[386]

Woraus man die schönsten Galgen zimmert,

Auch gute Stöcke. Ich rat euch, bekümmert

Euch nicht ob meinem Schalten und Walten!

Ich rat euch, ganz das Maul zu halten!

Die Räsoneure, die frechen Sünder,

Die laß ich öffentlich stäupen vom Schinder;

Sie sollen im Zuchthaus Wolle kratzen.

Wird einer gar von Aufruhr schwatzen

Und Straßen entpflastern zur Barrikade –

Ich laß ihn henken ohne Gnade.

Das hab ich euch, Esel, einschärfen wollen!

Jetzt könnt ihr euch nach Hause trollen.«


Als diese Rede der König gehalten,

Da jauchzten die Esel, die jungen und alten;

Sie riefen einstimmig: »I-A! I-A!

Es lebe der König! Hurra! Hurra!«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 383-387.
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