21.

Frau Mette

[299] Nach dem Dänischen


Herr Peter und Bender saßen beim Wein,

Herr Bender sprach: »Ich wette,

Bezwänge dein Singen die ganze Welt,

Doch nimmer bezwingt es Frau Mette.«


Herr Peter sprach: »Ich wette mein Roß,

Wohl gegen deine Hunde,

Frau Mette sing ich nach meinem Hof,

Noch heut, in der Mitternachtstunde.«


Und als die Mitternachtstunde kam,

Herr Peter hub an zu singen;

Wohl über den Fluß, wohl über den Wald

Die süßen Töne dringen.


Die Tannenbäume horchen so still,

Die Flut hört auf zu rauschen,

Am Himmel zittert der blasse Mond,

Die klugen Sterne lauschen.
[299]

Frau Mette erwacht aus ihrem Schlaf:

»Wer singt vor meiner Kammer?«

Sie achselt ihr Kleid, sie schreitet hinaus; –

Das ward zu großem Jammer.


Wohl durch den Wald, wohl durch den Fluß

Sie schreitet unaufhaltsam;

Herr Peter zog sie nach seinem Hof

Mit seinem Liede gewaltsam.


Und als sie morgens nach Hause kam,

Vor der Türe stand Herr Bender:

»Frau Mette, wo bist du gewesen zur Nacht,

Es triefen deine Gewänder?«


»Ich war heut nacht am Nixenfluß,

Dort hört ich prophezeien,

Es plätscherten und bespritzten mich

Die neckenden Wasserfeien.«


»Am Nixenfluß ist feiner Sand,

Dort bist du nicht gegangen,

Zerrissen und blutig sind deine Füß',

Auch bluten deine Wangen.«


»Ich war heut nacht im Elfenwald,

Zu schauen den Elfenreigen,

Ich hab mir verwundet Fuß und Gesicht,

An Dornen und Tannenzweigen.«


»Die Elfen tanzen im Monat Mai,

Auf weichen Blumenfeldern,

Jetzt aber herrscht der kalte Herbst

Und heult der Wind in den Wäldern.«
[300]

»Bei Peter Nielsen war ich heut nacht,

Er sang, und zaubergewaltsam,

Wohl durch den Wald, wohl durch den Fluß,

Es zog mich unaufhaltsam.


Sein Lied ist stark als wie der Tod,

Es lockt in Nacht und Verderben.

Noch brennt mir im Herzen die tönende Glut;

Ich weiß, jetzt muß ich sterben.« –


Die Kirchentür ist schwarz behängt,

Die Trauerglocken läuten;

Das soll den jämmerlichen Tod

Der armen Frau Mette bedeuten.


Herr Bender steht vor der Leichenbahr',

Und seufzt aus Herzensgrunde:

»Nun hab ich verloren mein schönes Weib

Und meine treuen Hunde.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 299-301.
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