Der Ex-Nachtwächter

[96] Mißgelaunt, sagt man, verließ er

Stuttgart an dem Neckarstrand,

und zu München an der Isar

Ward er Schauspielintendant.


Das ist eine schöne Gegend

Ebenfalls, es schäumet hier,

Geist- und phantasieerregend,

Holder Bock, das beste Bier.


Doch der arme Intendante,

Heißt es, gehet dort herum

Melancholisch wie ein Dante,

Wie Lord Byron gloomy, stumm.


Ihn ergötzen nicht Komödien,

Nicht das schlechteste Gedicht,

Selbst die traurigsten Tragödien

Liest er – doch er lächelt nicht.


Manche Schöne möcht erheitern

Dieses gramumflorte Herz,

Doch die Liebesblicke scheitern

An dem Panzer, der von Erz


Nannerl mit dem Riegelhäubchen

Girrt ihn an so muntern Sinns –

»Geh ins Kloster, armes Täubchen«,

Spricht er wie ein Dänenprinz.


Seine Freunde sind vergebens

Zu erlust'gen ihn bemüht,

Singen: »Freue dich des Lebens,

Weil dir noch dein Lämpchen glüht!«
[96]

Kann dich nichts zum Frohsinn reizen

Hier in dieser hübschen Stadt,

Die an amüsanten Käuzen

Wahrlich keinen Mangel hat?


Zwar hat sie in jüngsten Tagen

Eingebüßt so manchen Mann,

Manchen trefflichen Choragen,

Den man schwer entbehren kann.


Wär der Maßmann nur geblieben!

Dieser hätte wohl am End'

Jeden Trübsinn dir vertrieben

Durch sein Burzelbaumtalent.


Schelling, der ist unersetzlich!

Ein Verlust vom höchsten Wert!

War als Philosoph ergötzlich

Und als Mime hochgeehrt.


Daß der Gründer der Walhalla

Fortging und zurücke ließ

Seine Manuskripte alle,

Gleichfalls ein Verlust war dies!


Mit Cornelius ging verloren

Auch des Meisters Jüngerschaft;

Hat das Haar sich abgeschoren,

Und im Haar war ihre Kraft.


Denn der kluge Meister legte

Einen Zauber in das Haar,

Drin sich sichtbar oft bewegte

Etwas, das lebendig war.
[97]

Tot ist Görres, die Hyäne.

Ob des heiligen Offiz

Umsturz quoll ihm einst die Träne

Aus des Auges rotem Schlitz.


Dieses Raubtier hat ein Sühnchen

Hinterlassen, doch es ist

Nur ein giftiges Kaninchen,

Welches Nonnenfürzchen frißt.


Apropos! Der erzinfame

Pfaffe Dollingerius –

Das ist ungefähr sein Name –

Lebt er noch am Isarfluß?


Dieser bleibt mir unvergeßlich!

Bei dem reinen Sonnenlicht!

Niemals schaut ich solch ein häßlich

Armesünderangesicht.


Wie es heißt, ist er gekommen

Auf die Welt gar wundersam,

Hat den Afterweg genommen,

Zu der Mutter Schreck und Scham.


Sah ihn am Karfreitag wallen

In dem Zug der Prozession,

Von den dunkeln Männern allen

Wohl die dunkelste Person.


Ja, Monacho Monachorum

Ist in unsrer Zeit der Sitz

Der Virorum obscurorum,

Die verherrlicht Huttens Witz.
[98]

Wie du zuckst beim Namen Hutten!

Ex-Nachtwächter, wache auf!

Hier die Pritsche, dort die Kutten,

Und wie eh'mals schlage drauf!


Geißle ihre Rücken blutig,

Wie einst tat der Ullerich;

Dieser schlug so rittermutig,

Jene heulten fürchterlich.


Der Erasmus mußte lachen

So gewaltig ob dem Spaß,

Daß ihm platzte in dem Rachen

Sein Geschwür und er genas.


Auf der Ebersburg desgleichen

Lachte Sickingen wie toll,

Und in allen deutschen Reichen

Das Gelächter widerscholl.


Alte lachten wie die Jungen –

Eine einz'ge Lache nur

War ganz Wittenberg, sie sungen

»Gaudeamus igitur!«


Freilich, klopft man faule Kutten,

Fängt man Flöh' im Überfluß,

Und es mußte sich der Hutten

Manchmal kratzen vor Verdruß.


Aber »Alea est jacta!«

War des Ritters Schlachtgeschrei,

Und er knickte und er knackte

Pulices und Klerisei.
[99]

Ex-Nachtwächter, Stundenrufer,

Fühlst du nicht dein Herz erglühn?

Rege dich am Isarufer,

Schüttle ab den kranken Spleen.


Deine langen Fortschrittsbeine,

Heb sie auf zu neuem Lauf –

Kutten grobe, Kutten feine,

Sind es Kutten, schlage drauf!


Jener aber seufzt, und seine

Hände ringend er versetzt:

»Meine langen Fortschrittsbeine

Sind europamüde jetzt.


Meine Hühneraugen jücken,

Habe deutsche enge Schuh',

Und wo mich die Schuhe drücken,

Weiß ich wohl – laß mich in Ruh'!«

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 96-100.
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