Lebensbrot

[217] Gib es nicht den Vielen,

Sie verstehen's selten:

Flug zu feinsten Zielen

Lassen sie nicht gelten.


Plump ins Auge springen

Muß, wozu sie drängen,

An den Außendingen

Bleibt ihr Wille hängen.
[217]

Messen alle Gabe

Nach der Gier der Meisten,

Wähnen, alles trabe

Nach gemeinem Leisten.


Mögen's nie erfassen,

Daß die Himmelskronen

Sich erringen lassen

Nur durch Höllenzonen.


Daß ein köstlich Winken,

Süß wie Frauenkosen,

Mild wie Sternenblinken,

Liegt im Absichtslosen.


Daß die tiefen Nornen

Höchstes ihm erlosen,

Dem aus schwarzen Dornen

Blühen weiße Rosen.


Daß zum seligen Grale

Führen mystische Weisen,

Aus der Schmerzensschale

Lebensbrot zu speisen.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 217-218.
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