Zweites Gespräch

[33] PHILOLAUS. Ich komme mit meinem Spinoza; aber beinah ungewisser, als ich vorher war. Daß er kein Atheist sei, erscheint auf allen Blättern; die Idee von Gott ist ihm die erste und letzte, ja die einzige aller Ideen, an die er Welt- und Naturkenntniß, das Bewußtsein sein selbst und aller Dinge um ihn her, seine Ethik und Politik knüpft. Ohne den Begriff Gottes ist seine Seele nichts, vermag nichts, auch nicht sich selbst zu denken; es ist ihm fremd und beinah unbegreiflich, wie Menschen Gott gleichsam nur zu einer Folge andrer Wahrheiten, sogar sinnlicher Bemerkungen haben machen können, da alle Wahrheit wie alles Dasein nur aus einer in sich bestehenden ewigen Wahrheit, aus dem unendlichen, ewigen Dasein Gottes folgt.17 Dieser Begriff ist Spinoza so gegenwärtig, so unmittelbar und innig geworden, daß ich ihn eher für einen Begeisterten fürs Dasein Gottes als für einen Zweifler oder Leugner desselben hielte. In Erkenntniß und[33] Liebe Gottes setzt er alle Vollkommenheiten, Tugend und Glückseligkeit der Menschen; und daß dies keine Maske, sondern des Philosophen Ueberzeugung sei, zeigen seine Briefe, ja, ich möchte sagen, jeder kleinste Theil seines philosophischen Gebäudes, jede Zeile seiner Schriften. Möge er sich in der Idee von Gott geirrt haben; wie aber Leser seiner Werke je sagen konnten, daß er die Idee von Gott verleugnet und den Atheismus demonstrirt habe, ist unbegreiflich.

THEOPHRON. Auch ich traute mir beinah selbst nicht, da ich diesen Autor las und mit dem zusammenhielt, was Andere über ihn sagten. Und doch las ich ihn nicht als ein Neuling der Philosophie oder in einiger Nebenansicht, sondern unbefangen, eher mit Vorurtheil wider als für ihn, nachdem ich außer den alten Weltweisen die Schriften Baumgarten's, Leibniz', Shaftesbury's und Berkeley's nicht nur gelesen, sondern studirt hatte. Lassen Sie uns indeß bei dieser Befremdung nicht stehen bleiben, die sich von selbst aufklären wird, wenn wir sein System durchgehen: was haben Sie für Zweifel dagegen?

PHILOLAUS. Wo soll ich anfangen? wo endigen? Das ganze System ist mir ein Paradoxon. »Es ist nur eine Substanz; diese ist Gott; alle Dinge sind in ihm nur Modificationen.«

THEOPHRON. Am Wort Substanz stoßen Sie Sich nicht; Spinoza nahm's nach seiner reinsten, strengsten, höchsten Bedeutung und mußte es so nehmen, wenn er, seiner gewählten Methode nach, d.i. synthetisch, einen ersten Begriff zum Grunde legen wollte. Was heißt Substanz, als ein Ding, das für sich besteht, also das die Ursache seines Daseins in sich selbst hat? Ich wollte, daß dem Wort diese reine Bedeutung in der Philosophie hätte bleiben können. Im schärfsten Verstande ist kein subsistirendes Ding der Welt eine Substanz, weil Alles von einander und zuletzt Alles von Einem abhängt, das die Selbstständigkeit selbst, d.i. die höchste, einzige Substanz ist. Da aber die menschliche Philosophie immer gern dem Gefühl der Menschen treu bleibt und ihm in einem gewissen Sinn treu bleiben muß, da wir uns aber bei aller unsrer Abhängigkeit doch auch für selbstständig[34] halten, auf gewisse Weise dafür auch halten können, ob wir gleich nur bestehend sind, so –

PHILOLAUS. Ei dann! Nun und nimmer sind wir doch bloße Modificationen?

THEOPHRON. Das Wort ist anstößig und wird nie in der Philosophie Raum gewinnen. Wagte es indeß die Leibnizische Schule, die Materie eine Erscheinung von Substanzen zu nennen, warum sollte dem Spinoza nicht sein Ausdruck erlaubt sein? Werden die sogenannten Substanzen der Welt allesammt von göttlicher Kraft erhalten, ja, bekamen sie, wie jedes hergebrachte System annimmt, nur durch göttliche Kraft ihr Dasein, was sind sie, wenn man will, anders als modificirte Erscheinungen göttlicher Kräfte (phaenomena substantiata), jede nach der Stelle, nach der Zeit, nach den Organen, in und mit welchen sie erscheinen, bestehend und energisch? Spinoza nahm also mit seiner einzigen Substanz eine kurze Formel, die seinem System allerdings viel Zusammenhang giebt, ob sie gleich unserm Ohr fremd klingt. Immer war sie doch besser als jene Gelegenheitsursachen der Cartesianer, nach denen Gott gleichfalls Alles selbst, nur aber gelegentlich wirken sollte.

PHILOLAUS. Allerdings ein weit unbequemerer Ausdruck –

THEOPHRON. Und doch, wie lange hat er gegolten! Selbst die Leibnizische Philosophie hat ihn nur durch eine andere artigere Formel höflich hinweggescheucht.

PHILOLAUS. Sie meinen die prästabilirte Harmonie aller Dinge.

THEOPHRON. Eben sie. In keinem dieser Ausdrücke liegt Ketzerei; nur einer ist unbequemer als der andere, und im Grunde verstehen wir bei allen gleich wenig. Wir wissen nicht, was Substanz, d.i. ein bestehendes Principium der Kraft, sei, oder wie Kraft wirke; viel weniger wissen wir, was die Allkraft sei, oder wie sie Alles hervorgebracht habe, jetzt noch Alles hervorbringe und jedem Dinge seine Weise mittheile. Daß indessen Alles in einem Selbstbestande ruhen, von einem Selbstständigen, sowol seinem Dasein nach als in seiner Verbindung mit andern, mithin im Grunde sowol als in jeder Aeußerung seiner Kräfte abhangen müsse, daran[35] kann kein consequenter Geist zweifeln. – Woran denken Sie, Philolaus?

PHILOLAUS. Ich sehe so manche pathetische Declamation gegen Spinoza auf einmal in ihr Nichts zurückgehn, die mit nichts als dem Namen seiner »einzigen Substanz und seiner Modificationen« kämpfte; sie fochten alle blos mit einem Nebel unbequemer Worte. Ihnen ist bekannt, Theophron, welch ein Heer lächerlicher Widersprüche und Gotteslästerungen man ihm andichtete, z.B. daß, seinem System zufolge, Gott bei allem Guten alles Böse in der Welt thue, daß sonach Gott es sei, der alle Thorheiten verübe, alle Irrthümer denke, gegen sich selbst streite, sich in Spinoza selbst lästere und leugne u.s.w. Was von Spinoza's Modificationen gilt, gilt es von Descartes' gelegentlichen Ursachen, von Leibnizens prästabilirter Harmonie, ja selbst vom physischen Einfluß minder? Geschehen diese Dinge in Gottes Welt, so geschehen sie durch den Gebrauch und Mißbrauch seiner Kräfte, d.i. der Kräfte, die er abhängigen Wesen anschuf und in ihnen erhält; man möge sich seine Vorhersehung oder Mitwirkung auf solche oder eine andre Weise denken. Ueberhaupt habe ich's gefunden, daß, wenn man die Meinung eines vernünftigen Menschen gar zu unvernünftig und ungereimt vorstellt, man selbst entweder eine Ungerechtigkeit begehe oder eine Ungereimtheit sage. Man macht sich mit solchen Formeln den Sieg zwar leicht, es ist aber auch nur das Blendwerk eines Sieges.

THEOPHRON. Also werden Sie jetzt auch darin keine Gotteslästerung finden, wenn Spinoza das selbstständige Wesen eine nicht-vorübergehende, sondern die bleibende immanente Ursache aller Dinge nennt?18

PHILOLAUS. Wie könnte ich sie finden, da sich gegentheils, auch nach den angenommenen Formeln, bei Gott als einer vorübergehenden Ursache der Dinge nichts denken läßt? Wie und wann und wem geht er vorüber? Ein Geschöpf ohne des Schaffenden Beistand ist nichts; und wie kann Der vorübergehen, der keinen abgeschlossenen Ort hat, keinen Ort räumt, in dem keine Abwechselung und Veränderung sein kann?

THEOPHRON. Aber wie? wenn Gott »außer der Welt« wohnte?[36]

PHILOLAUS. Was ist ein Ort außer der Welt? Sie selbst und Raum und Zeit in ihr, durch welche wir die Dinge messen und zählen, sind ja allein durch ihn, den Unendlichen, denkbar, der mit den Dingen selbst ihr Wo und Wann, d.i. das Maß und den Zusammenhang ihrer Kräfte setzt, begrenzt, ordnet.

THEOPHRON. Sie gerathen also auch nicht in das Labyrinth von Fragen:


»Wie Gott die Ewigkeit erst einsam durchgedacht?

Warum einst, und nicht eh er eine Welt gemacht?«


Oder:


– »Wie sich die weiten Kreise

Der anfangslosen Dau'r gehemmt in ihrer Reise?

Und ewig ward zur Zeit, und wie ihr seichter Fluß

Ins Meer der Ewigkeit sich einst verlieren muß?« u.s.w.


PHILOLAUS. Ich setze nicht hinzu:


»Das soll ich nicht verstehn und kein Geschöpfe fragen;

Es möge sich mein Feind mit solchem Vorwitz plagen.«


Denn auch meinem Feinde wünschte ich dergleichen Phantome der Einbildungskraft als einen unergründlichen Gegenstand des Wissens nicht. Gott durchdachte keine Ewigkeit einsam: es war kein Jetzt und kein Ehe, eh eine Welt war; eine anfangslose Dauer ist keine Ewigkeit Gottes, und in dieser giebt's keine Reise. Das Ewig kann so wenig zur Zeit als die Zeit zur Ewigkeit oder das Endliche zum Unendlichen werden.

THEOPHRON. Das haben Sie doch nicht erst aus Spinoza gelernt?

PHILOLAUS. Vielmehr freute es mich, daß er die gewöhnlichen, ganz unphilosophischen Verwirrungen hierüber strenge vorübergegangen war und Zeit und Ewigkeit, d.i. das Endlos-Unbestimmte und das durch sich unendliche Höchstbestimmte genau unterschied.19 Ewigkeit im reinen Sinne des Wortes kann durch[37] keine Zeitdauer erklärt werden, gesetzt, daß man diese auch endlos (indefinite) annähme. Dauer ist eine unbestimmte Fortsetzung des Daseins, die schon in jedem Moment ein Maß der Vergänglichkeit, des Zukünftigen wie der Vergangenen, mit sich führt. Dem Unvergänglichen, durch sich Unveränderlichen kann sie so wenig zugeschrieben werden, daß vielmehr sein reiner Begriff mit dieser zugemischten Phantasie verschwindet.

THEOPHRON. Die Welt ist also auch mit Gott nicht gleich ewig?

PHILOLAUS. Wie kann sie dies sein, da sie Welt, d.i. ein System der Dauer zu- und nach einander geordneter Dinge ist, deren keinem das absolute Da sein oder die unwandelbare Ewigkeit ohne Maß und Zeitendauer zukommt?

THEOPHRON. Also macht's Ihnen auch keine Verwirrung der Begriffe, daß die ewige Macht Gottes (in unsrer gewohnten Sprache zu reden) schafft, schuf und schaffen werde, und doch keinem der Geschöpfe, auch in ihrem ganzen System nicht, seine Ewigkeit zukommt?

PHILOLAUS. Die ewige Macht Gottes schafft, schuf und wird schaffen, weil sie, die ewig wirkende Macht, nie müssig ist und nie müssig sein konnte; des Geschaffenen Dasein beruht nur, wie sein Name selbst sagt, auf einer Folge und hat mit allen seinesgleichen das Zeitenmaß der Veränderung in sich. Also auch eine immerhin fortgesetzte Weltschöpfung wird durch diese Fortsetzung nie ewig. Ihr Maß ist endlos; aber nur in Gedanken des Messenden ist und wird dieses Endlosen Maß. Dies Alles begreife ich leicht; ich habe aber einen andern Zweifel, den ich gelöst wünschte. Er betrifft die Eigenschaften dieses unendlichen, ewigen Gottes bei Spinoza. Wie konnte er, der Zeit und Ewigkeit so richtig unterscheidet, auf der andern Seite so unzusammenhangend sein, daß er »die Ausdehnung zur Eigenschaft Gottes macht«? Verhält sich der Raum nicht wie die Zeit? Ist nun jene mit dem Begriff des Ewigen ganz unvergleichbar, so ist auch Ausdehnung[38] (Extension) mit dem Begriff einer untheilbaren Substanz, die Spinoza mit felsenfester Stärke annimmt,20 gleichfalls unvereinbar.

THEOPHRON. Ihre Bemerkung ist wahr; sehen Sie aber auch, wo Spinoza diesen Ausdruck wählt. Bedient er sich seiner in seiner reinen Theorie von Gott?

PHILOLAUS. Sonderbar! Er braucht ihn nur, wenn er die Seele von der Materie, d.i. das Denkende vom Ausgedehnten unterscheidet.21

THEOPHRON. Ist nun Ausdehnung und Materie Einerlei? Sehen Sie da den Cartesischen Fehlausdruck, den unser Autor in der Sprache seiner Zeit nicht wohl umgehen konnte, und der für Viele die Hälfte seines Systems verdunkelt. Descartes hatte die Materie durch Ausdehnung erklärt, und man könnte sie ebensowol durch Zeit erklären; denn jene wie diese sind Maße ihres Daseins mit andern und nach einander. Nun mögen beide Maße unumgänglich nothwendig für jeden denkenden Geist sein, der selbst durch Ort und Zeit beschränkt ist; das Wesen der Materie aber werden sie durch diese unsre Denkart nie. Spinoza sahe das Unhinreichende dieser Cartesischen Erklärung so gut als wir; lesen Sie seine Briefe.22 Wenn er also in seiner Ethik die Materie, d.i. Körper mit Ausdehnung, d.i. mit Raum gleichgeltend annahm und sie einem ganz ungleichartigen Dinge, dem Gedanken, gegenüberstellte, so wußte er selbst, daß zu Erklärung des Wesens der Körper dies kein ausdrückender Begriff sei. Ebenso wußte er und wiederholt's, daß Gedanke und Ausdehnung nichts mit einander zu schaffen haben; er tadelt Descartes, daß er von der Zirbeldrüse hinaus den Körper bewegen, die Affecten bändigen wolle u.s.w. Ihm war Ausdehnung ein reiner Verstandesbegriff, untheilbar[39] in sich, nur durch Hilfsmittel der Imagination theilbar. Den Punkt also, warum gerade nur diese beiden Begriffe, Ausdehnung und Gedanke, die zwei Eigenschaften seien, dadurch sich unter unendlichen andern Eigenschaften, die allesammt eine höchste Realität ausdrücken, der Unendliche uns offenbart habe, ließ Spinoza unerörtert, so oft er deshalb befragt wurde. Was ist in der Ausdehnung für Realität, wenn wir solche auch endlos, d.i. so unbestimmt fortgesetzt wie eine immerhin fortwährende Dauer annehmen? Ohne Wesen, ohne wirkende Kräfte ist nichts in ihr; nur für sinnliche Geschöpfe ist sie das Maß einer Welt, eines Nebeneinanderseins mehrerer Geschöpfe. Zum Absolut-Unendlichen gehört sie nicht, so wie sie auch keine innere wesentliche Vollkommenheit seines Daseins ausdrückt, das keinen, also auch nicht einen endlosen Raum erfüllt, das keine, also auch nicht eine endlose Zeit ausmißt.

PHILOLAUS. Da, lieber Theophron, verjagen Sie mir einen widrigen Nebel; denn dieser unendlich- ausgedehnte Gott, wie man den Gott des Spinoza zu nennen pflegte, war mir ganz undenkbar.

THEOPHRON. Dem hellen Weltweisen Spinoza war er es ebenso sehr. Nicht Gott nennt er ein Extensum (dessen Untheilbarkeit er vielmehr strenge behauptet), sondern die Körperwelt (res extensas) nannte er »ein Attribut, das ein Unendliches seines Selbstbestehenden, wie die Gedankenwelt von ihm ein andres Unendliches ausdrückt«. Gröbere Formeln, phantastische Bilder vernichten seinen Begriff ganz.[40]

PHILOLAUS. Mich wundert, daß ich dies unbemerkt ließ, da so klare Stellen seiner Briefe darauf weisen. Das sahe ich wohl, daß Spinoza der Theilung eines unendlich-ausgedehnten und doch einfachen Wesens durch die Vorstellung des mathematischen Raums entweichen wollte, in welchem aus mathematischen Linien und Flächen keine physischen Körper werden. Da nun der mathematische Raum auch nur ein Abstractum der Einbildungskraft, eine Bedingung der Wahrheiten ist, die nicht anders als im Raum gedacht werden können, so kann er auch, wenn Spinoza ihn der Materie gleich zu achten scheint und ihn ein Attribut Gottes nennt, nur eine Auskunft sein, durch welche physische, d.i. wirkliche Körper in ihrer Varietät erklärt werden sollen; und da ist er, nach Spinoza selbst, keine Auskunft. Ich wollte, der Weltweise hätten einen Ausdruck vermieden, der von den Meisten grob gemißbraucht worden ist, Andern aber, wie Sie mit Recht sagen, die Hälfte seines so durchdachten Systems verdunkelt.

THEOPHRON. Wörter mein Freund, gelten wie Münzen. Spinoza's oder vielmehr Descartes' Zeit war die Zeit der Meßkunst, aber die Kindheit der Naturkunde, ohne welche die Metaphysik Luftschlösser baut. Descartes selbst baute dergleichen, denen Spinoza, wie mehrere Stellen zeigen, genau ihren Werth zu geben wußte. Je mehr man seitdem die Materie der Körper physisch untersucht hat, desto mehr entdeckte man in ihr wirkende, einander gegenwirkende Kräfte und verließ die leere Definition der Ausdehnung. Schon Leibniz, in dessen Geist sich aus allen Naturreichen und Wissenschaften fruchtbare Begriffe gesellten, drang darauf, daß man auch im Begriff der Körper nothwendig zuletzt auf einfache Substanzen kommen müsse, von denen er unter dem Namen wesentlicher Einheiten, d.i. der Monaden, Manches erzählte. Leider aber, da der lebhafte Verstand dieses Mannes Alles so gern als Dichtung vortrug, wurden diese seine Monaden, deren Sinn Wolff selbst nur theilweise aufnahm, bald nur als ein witziges Märchen betrachtet. Der Mathematiker [41] Boskowich ist, obwohl von einer ganz andern Seite, auf eben dergleichen untheilbare wirkende Elemente gekommen, ohne welche sich, wie er glaubte, die Natur der Körper nicht erklären lasse;23 die Chemiker wählen wiederum eine andre Sprache. Fällt Ihnen ein Ausdruck bei, der dem schroffen Unterschiede zwischen Geist und Materie, dem Cartesischen Dualismus entweicht und prägnanter als das leere Wort Ausdehnung oder als das grobe Wort Materie die Natur der Körper bezeichnet?

PHILOLAUS. Ich wüßte keins als organische Kräfte. Dadurch, dünkt mich, bekäme Spinoza's System selbst eine schönere Einheit. Wenn seine Gottheit unendliche Eigenschaften in sich faßt, deren jede ein ewiges und unendliches Wesen auf unendlich verschiedene Weise ausdrückt, so haben wir nicht mehr zwei Eigenschaften des Denkens und der Ausdehnung zu setzen, die nichts mit einander gemein hätten; wir lassen das unpassende Wort Eigenschaft (Attribut) weg und setzen dafür, daß sich die Gottheit in unendlichen Kräften auf unendliche Weisen, d.i. organisch offenbare. Sofort bleibt uns auch nicht mehr der hinderliche Riegel vorgeschoben: »in welchen Eigenschaften außer dem Gedanken und der Ausdehnung sich die Gottheit andern Weltsystemen offenbare,« da sie doch, unserm Weltweisen zufolge, unendliche dergleichen ihr Wesen ausdrückende Eigenschaften besitzen soll, von welchen er uns keine als diese zwei zu nennen wußte. In allen Welten offenbart sich die Gottheit organisch, d.i. durchwirkende Kräfte. Diese Wesen ausdrückende Unendlichkeit der Kräfte Gottes hat durchaus keine Grenzen, obwohl sie allenthalben denselben Gott offenbart. Kein Weltsystem darf das andre neidend befragen: »wie sich denn in ihm die Gottheit dargestellt habe«. Ueberall ist's wie hier; überall können nur organische Kräfte wirken, und jede derselben macht uns Eigenschaften einer unendlichen Macht kenntlich.

THEOPHRON. Wohl, Philolaus. Dies trifft in den Mittelpunkt des Spinozischen Lehrgebäudes. Macht ist ihm Wesenheit;[42] alle Attribute und Modificationen derselben sind ihm ausgedrückt dargestellte, wirkliche und wirksame Thätigkeiten. In der Geisterwelt ist's der Gedanke, in der Körperwelt die Bewegung; ich wüßte nicht, unter welches Hauptwort beide sich so ungezwungen fassen ließen als unter den Begriff Kraft, Macht, Organ, von denen jede Thätigkeit in der Körper- und Geisterwelt ausgeht. Mit dem Wort organische Kräfte bezeichnet man das Innen und Außen, das Geistige und Körperhafte zugleich; denn wie keine Kraft ohne Organ ist, so ist und wirkt kein Geist ohne Körper. Es ist indessen auch nur Ausdruck; denn wir verstehen nicht, was Kraft ist, wollen auch das Wort Körper damit nicht erklärt haben.

PHILOLAUS. In Ansehung des innern Zusammenhanges der Welt giebt uns, dünkt mich, der Ausdruck schöne Folgen. Nicht durch Raum und Zeit allein, als durch blos äußere Maße der Dinge, ist sie verbunden; sie ist's durch ihr eigentliches Wesen, durch das Principium ihrer Existenz selbst, da allenthalben in ihr, und zwar im innigsten Zusammenhange, nur organische Kräfte wirken. In der Welt, die wir kennen, steht die Denkkraft obenan; ihr folgen Millionen andre Empfindungs- und Wirkungskräfte, und er, der Selbstständige, er ist im höchsten, einzigen Verstande des Worts Kraft, d.i. die Urkraft aller Kräfte, Organ aller Organe. Ohn' ihn ist keines derselben denkbar, ohn' ihn wirkt keine der Kräfte, und alle im innigsten Zusammenhange drücken in jeder Beschränkung, Form und Erscheinung ihn aus, den Selbstständigen, die Ur– und Allkraft, durch welche auch sie bestehen und wirken.

THEOPHRON. Mich freut's, Philolaus, daß Sie diese Idee so rein aufnehmen und so reich anwenden. Auch dem Ausdruck nach tritt das System unsers Philosophen beinahe schon damit in das Licht einer tadellosen Einheit, die ihm das anstößige Wort Ausdehnung raubte; bemerken Sie aus dem von Ihnen gegebnen Gesichtspunkt nicht noch andre Aussichten?[43]

PHILOLAUS. Eine Reihe andrer. Alle anstößigen Ausdrücke z.B. fallen weg, wie Gott nach diesem oder nach einem andern System auf und durch die todte Materie wirke. Sie ist nicht todt, sondern sie lebt; denn in ihr wirken ihren innern und äußern Organen gemäß lebendige mannichfaltige Kräfte. Je mehr wir die Materie kennen lernen, desto mehrere derselben entdecken wir in ihr, so daß der leere Begriff einer todten Ausdehnung bei ihr völlig verschwindet. In unsern Zeiten, wie zahlreiche, verschiedene Kräfte hat man in der Luft entdeckt! was hat die neue Chemie in den Körpern für mancherlei Energien der Anziehung, Bindung, Auflösung, Zurückstoßung gefunden! Ehe die magnetische, ehe die elektrische Kraft entdeckt war, wer hätte sie in den Körpern vermuthet? wie zahllose andre mögen in ihnen noch unentdeckt schlafen! Es ist Schade, daß ein denkender Geist, wie Spinoza war, so frühe von unserm Schauplatz hinweg mußte.

THEOPHRON. Auch wir müssen hinweg, mein Freund, und erleben nicht, was der forschenden Nachwelt aufbehalten bleibt; gnug, wenn wir, so lange wir da sind, die Gegenwart und Wirkung der Gottheit erkennen, wo und wie sich uns dieselbe offenbart. Spinoza sagt, daß jede Eigenschaft, oder wie wir's nannten, jede in der Schöpfung offenbarte Kraft Gottes ein Unendliches ausdrückt; wie verstehen Sie das, da jeder Theil der Welt seine Schranken hat, nicht blos nach Ort und Zeit, sondern auch selbst zufolge der ihm einwohnenden Energien?

PHILOLAUS. Sind nicht Raum und Zeit, diese großen Gedankenbilder, endlos? welche unzählbare Menge göttlicher Kräfte und Formen kann sich in ihnen offenbaren! Und da nach Ort und Zeit, geschweige den wirkenden Kräften selbst nach keine zwei Erscheinungen dieselben sein können: welche Unendlichkeit entspringt aus diesem immer neu sich verjüngenden Quell göttlicher Schönheit! Sehen Sie hinaus gen Himmel, nach jenen Milchstraßen von Sonnen und Welten! Mit seinem Spiegelglase entdeckt der Columbus unsrer Nation vielleicht eben jetzt neue Heere derselben in einem kleinen, unsern Augen unsichtbaren Nebelwölkchen. In wie merkwürdigen Zeiten leben wir, da unerhörte, kaum geahnte Offenbarungen Gottes vom Himmel niedersteigen, jede derselben aufs Neue ausdrückend die Herrlichkeit des Wesens, das alle diese Welten schuf und schafft und hält und trägt!
[44]

»Im Unendlichen ist der Unendliche: Einer und ewig,

Im Darstellen, im Sein, im Erhalten und Schaffen nur Einer,

Immer sich gleich und unendlich. Wie ewige Säulen, so stehen

Fest die Gesetze, die er sich dachte; so wie er sie dachte,

Fließt aus ihnen Verändrung und bleibt in ihnen die Allmacht«.24


THEOPHRON. Vortrefflich, mein werther Philolaus! Mit dem letzten Zuge haben Sie zugleich das Unendliche angedeutet, das in jeder Naturkraft selbst, auch ohne Rücksicht ihrer Verbindung in einem endlosen Raum, in einer endlosen Zeit bleibend wohnt. Erwägen Sie die innere Fülle der Kraft, die in jedem lebendigen Wesen wirkt, wie es durch eine ihm eingepflanzte stille Energie entstehen und sich nicht anders als durch solche erhalten und fortpflanzen konnte! Betrachten Sie die Kräfte, die im Bau eines Thiers so verschwiegen wirken! Mit welcher Macht hangen seine Theile zusammen! welch ein Räder- und Triebwerk gehört dazu, daß es sich bewege, sich seinen Lebenssaft bereite, alle die Handlungen ausübe, dazu es bestimmt ist, endlich, daß es aus seiner Natur gleichartige Wesen, Bilder seiner selbst, lebend und wirkend, mit gleicher Kraft begabt, nach gleicher Anlage gebildet, hervorbringe, erzeuge! In der Generation allein liegt ein Wunder der Schöpfung, d.i. einer eingepflanzten, einwohnenden Macht der Gottheit, die sich, wenn ich so kühn reden darf, in das Wesen jeder Organisation gleichsam selbst beschränkt hat und in diesem Wesen nach ewigen Gesetzen, unverrückt und unwandelbar, wie allenthalben die Gottheit allein wirken kann, wirkt. In der Materie, die wir todt nennen, streben auf jedem Punkt nicht minder und nicht kleinere göttliche Kräfte: wir sind mit Allmacht umgeben, wir schwimmen in einem Ocean der Macht, so daß jenes alte Gleichniß immer und überall wahr bleibt: »die Gottheit sei ein Kreis, dessen Mittelpunkt allenthalben, dessen Umkreis nirgend ist«, weil weder im Raum noch in der Zeit, als in bloßen Bildern unserer Einbildungskraft, die Einbildungskraft irgend ein Ende findet. Mich dünkt, der Ausdruck des Spinoza sei glücklich, daß die Zeit nur ein symbolisches Bild der Ewigkeit sei; ich wollte mit Ihnen, daß er den Raum auch als ein solches, als das symbolische Bild der absoluten Unendlichkeit des Untheilbaren dargestellt hätte, wie er sich ihn dachte. Nicht etwa nur für uns ist das Wesen des Ewigen unausmeßbar; es ist an sich keines Maßes fähig; in jedem Punkt seiner Wirkung, der nur für uns ein Punkt ist, trägt es seine Unendlichkeit in sich.[45]

PHILOLAUS. Ich befürchte, mein Freund, daß Wenige diesen Unterschied des durch sich selbst Unendlichen und des durch Raum und Zeit in der Einbildungskraft gedachten Endlosen fassen werden, auf welchem doch Spinoza's ganzes System ruht.25 Als eingeschränkte Wesen schwimmen wir im Raum und in der Zeit; wir zählen und messen Alles mit ihrem Maß und steigen mit Mühe von Bildern der Einbildungskraft zu dem Begriff, der alles Raum- und Zeitenmaß ausschließt. Hätte man diesen Unterschied gefaßt, gewiß, man hätte nicht so viel von dem weltlichen und außerweltlichen Gott geredet, noch weniger würde man den Spinoza je beschuldigt haben, daß er seinen Gott in die Welt einschließe und mit derselben identificire. Sein unendliches, höchst-wirkliches Wesen ist so wenig die Welt selbst, als das Absolute der Vernunft und das Endlose der Einbildungskraft eins sind; kein Theil der Welt kann also auch ein Theil Gottes sein; denn das höchste Wesen ist seinem ersten Begriff nach untheilbar. Deutlich sehe ich jetzt, daß man unserm Philosophen den Pantheismus ebenso unrecht Schuld gegeben habe als den Atheismus. »Alle Dinge«, sagt er, »sind Modificationen« oder, wie er es sonst unanstößiger nennt, »thätige Ausdrücke der göttlichen Kraft, Darstellungen einer der Welt einwohnenden ewigen Wirkung Gottes«; nicht aber sind sie zertrennliche Theile eines völlig untheilbaren einzigen Daseins.

THEOPHRON. Leugnen wollen wir's indessen nicht, Philolaus, daß manche Ausdrücke Spinoza's seinen Gegnern, die nur bei Ausdrücken stehen bleiben und solche durch andre seiner deutlichsten Grundsätze zu erklären nicht Lust hatten, zu Mißverständnissen Anlaß geben konnten. Auf eine ihm eigenthümliche Bedeutung des Worts Substanz hatte er sein System angelegt, und da er dieser ebenso ungewöhnliche Bedeutungen der Worte Attribut, Modification u.s.w. beifügte, auch die Cartesische Erklärung der Materie als Ausdehnung beibehielt, so mußte er dem größten Theil seines Systems nach harte Ausdrücke wählen. Den Irrthum aber, daß er das Wesen Gottes und der Welt verwirrt habe, hätte man ihm am Wenigsten aufbürden sollen; viele seiner Theoreme werden eben deswegen unbequem, weil er das Wesen Gottes und der Welt ja immer unterscheiden will und nicht gnug wiederholen[46] kann: »Gott unter solcher Modification, unter solchem Attribut betrachtet«. Wer ist, der den Begriff der naturirenden und naturirten Natur mehr als er unterscheidet? Den leichteren Zusammenhang philosophischer Wahrheiten fördern glückliche Wortcombinationen, und Leibniz, dieser Proteus der Wissenschaft, ein vor Millionen andern leichtverbindender Kopf, er behält das Verdienst, eben nach so manchen unbequemen Darstellungsarten der Scholastiker, des Descartes, Spinoza, Hobbes u. A., viel zu diesem leichtern Zusammenhange beigetragen zu haben. Eine glückliche Leichtigkeit mannichfaltiger Verbindungen war, wie mich dünkt, Leibnizens glänzendstes Talent; in seinen unbedeutendsten Aufsätzen hat er oft Samenkörner hingeworfen, die lange noch nicht alle aufgenommen, geschweige denn zur Ernte gediehen sind. Ihm selbst fehlte die Zeit, seinen Reichthum ganz zu nutzen, weil er mit zu Vielem zerstreut war und ihn zuletzt der Tod übereilte.

PHILOLAUS. Sie schrieben unserm deutschen Philosophen unter andern das Verdienst zu, daß er es zuerst gewesen, der beim Begriff von der Materie den Grund ihrer Erscheinung, immaterielle Substanzen, in die Metaphysik eingeführt habe; sollte nach Einführung derselben seine zwar sinnreiche, aber, wie mich dünkt, zu weit getriebene Hypothese der prästabilirten Harmonie zwischen Seelen und Körpern, als ob beide wie zwei Uhren zwar übereinstimmend, aber völlig unabhängig von einander spielen, nöthig gewesen sein? Ward seine Materie von immateriellen Kräften dargestellt, in welche jede höhere Art immaterieller Kräfte wirken mag und kann, so bestätigte sich ja hiemit der sogenannte physische Einfluß (den uns allenthalben die Natur zeigt, und gegen welchen keine willkürliche Hypothese etwas vermag) eben aus seinem System in einer standhaften Vorstellungsweise. Die ganze Welt Gottes wird ein Reich immaterieller Kräfte, deren keine ohne Verbindung mit andern ist, weil eben nur aus dieser Verbindung und gegenseitigen Wirkung ihrer aller alle Erscheinungen[47] und Veränderungen der Welt werden. Und mit wie weniger Aufopferung hätte Leipniz diesen Schritt thun mögen, da seine prästabilirte Harmonie eigentlich doch schon im Cartesianismus lag, der jene Abschichtung der Geister und Körper, von der wir bei Spinoza sprachen, auf sie gründet.

THEOPHRON. Und wie, wenn eben diese Nähe des Cartesianismus unsern Leibniz wie den Spinoza am vollen Gebrauch seiner bessern Erklärung gehindert hätte? denn das ist das Schicksal auch des furchtbarsten menschlichen Geistes, daß er, mit Ort und Zeit umfangen, in gewissen Ideen gleichsam aufwächst und sich nachher nicht ohne Mühe von ihnen zu trennen vermag. Leibniz lebte die blühendste Zeit seines philosophischen Lebens den Gedanken nach mehr in Frankreich als in Deutschland. Dort stand er in so vielen Verbindungen; von dort aus glänzte sein scharfsinniger Verstand zuerst über Europa auf. Da nun in Frankreich Descartes und Malebranche, sie mochten angenommen oder bestritten werden, im meisten Ruf standen: wie anders, als daß seine Bemühung vorzüglich auf dieses Feld der Ehre gezogen werden mußte? Er bildete also seine Hypothese der prästabilirten Harmonie mit einer Geschicklichkeit aus, daß sie die Gelegenheitsursachen des Cartesius sowie den unmittelbaren göttlichen Einfluß des Malebranche allerdings entbehrlich machen konnte, ob sie gleich auf die mangelhaften Grundsätze des ersten Philosophen selbst gebaut war. Leibniz sprach so gern nach der Fassungskraft Andrer; für sie erfand er seine sinnreichen Hypothesen.26 Als er späterhin durch die Lehre der Monadologie der Metaphysik über Körper einen andern Weg anwies, ließ er jene Hypothese, die einmal in Ruf gekommen war und zum Ruhm seines Namens viel beigetragen hatte, an ihrem Ort stehen, oder vielmehr er bog sie dieser neuen Hypothese sehr geschickt an, indem er jede Seele mit einem organischen Körper vereinigte. Blieb es gleich keine prästabilirte Harmonie mehr zwischen Geist und Materie, sondern eine Harmonie zwischen höheren und[48] niederen Kräften: Harmonie blieb es doch immer; denn wer konnte, wer kann es erklären, wie Kraft auf Kraft wirkt?

PHILOLAUS. Sie retten Ihren Verehrten fein; erlauben Sie mir aber zu sagen, daß ich im ganzen Spinoza, in dessen Ausdrücken doch Hartes gnug ist, nichts so Gezwungenes gefunden habe als eben diese prästabilirte Harmonie, die auch er zum Grunde legt.

THEOPHRON. Er? Wo?

PHILOLAUS. Mich dünkt, allenthalben. »Seine zwei Attribute Denken und Ausdehnung oder Bewegung stehen neben einander; jedes muß für sich gedacht, keins kann aus dem andern erklärt werden; jedes durch sich aber drückt die Realität des Ewigen aus«: ist dies nicht Harmonie? Harmonie zweier einander unmittheilbarer Ausdrücke der höchsten Realität? Da sie in dieser ihren ewigen Grund haben, warum sollte man sie nicht Harmonie nennen dürfen?

THEOPHRON. Prästabilirte Harmonie gewiß nicht, am Wenigsten in Leibniz' Sinne; von ihr weiß Spinoza's System nicht. Es kennt keine endlose Zahl einzelner Substanzen, deren Harmonie prästabilirt wäre; nur eine Selbstständigkeit kennt es, die sich auf unendliche Weise für uns in zwei großen Attributen ausdrückt. Nach Spinoza drücken beide eine Wesenheit aus, aber, wie er meint, ist eine aus der andern nicht erklärlich. Jene Regel: »Wenn Zwei in einem Dritten eins sind, sind sie unter einander selbst eins«, soll hier also nicht stattfinden; oder beide Attribute fielen in einander und würden, da sie ein Wesen auf verschiedne Art ausdrücken, eins. Die Materie würde Geist, der Geist Materie, nur in unsrer Vorstellungsart unterschieden; ein Einerlei, dem Spinoza stark entgegenredet. Sie sehen, hier will sein System nicht erklären; es setzt voraus und nimmt an, was wir eben erklärt wissen wollten, »wie nämlich die ewige Monas sich in Attributen als eine Dyas, als eine innere Denk- und äußere Bewegkraft offenbare«. Die Harmonie zwischen diesem Aeußern und Innern entwickelt Spinoza nicht, da er sie als dasselbe, als Eins in einem verschiednen Zwei, voraussetzt und auch im Menschen bei der Verbindung zwischen Seele und Körper unerklärt annimmt. Man könnte sie nicht anders als eine symbolische Harmonie nennen, wenn man ihr den Namen Harmonie geben wollte. Das Expansum mit allen in ihm wirkenden Kräften, der Bewegung u.s.w. wäre eine äußere Darstellung der innern ewigen Denkkraft, wie unser Körper der Ausdruck oder, wie er's nennt, das Object der Seele[49] ist; sind wir mit dieser mystischen Harmonie weiter, als wir waren?27

PHILOLAUS. Ich hoffe nicht, daß wir je weiter gelangen werden, ja, ich sehe nicht, warum wir weiter gelangen müßten. Metaphysik heißt Nachphysik; nie sollte jene die Physik verlassen, sie aber immer begleiten. Allenthalben sodann bemerkt sie, wie Kraft ohne Organ nicht wirken oder von uns wenigstens nicht wahrgenommen werden könne, wie allenthalben sich also das Aeußere zum Innern fügen, jenes in diesem erscheinen, dies das Innere ausdrücken müsse, mit einem Wort, wie allenthalben sich die Natur organisire. Dies ist Philosophie, die mit Weglassung mystischer Wortformen ihren Weg rüstig fortgehen und jene Speculation ergänzen darf, die seit Descartes, zum Theil im Gewande der Mathematik selbst, der wahren Philosophie, d.i. der Kenntniß der Natur, voreilte.

THEOPHRON. Uebereilen auch Sie Sich nicht! Dies Gewand, mein Freund, war ihr nützlich, es bereitete die Sprache der Philosophie zu einem Calcül der Beobachtungen und Gedanken. Denn forderte es nicht Bestimmtheit in den Begriffen, Genauigkeit in[50] den Beweisen und Ordnung? Freilich konnte das Kleid nicht die Sache selbst ändern oder vertreten. Sind die Begriffe einmal willkürlich erfaßt oder unvollständig abstrahirt, so hilft alle mathematisch reine Darstellung derselben in der besten methodischen Ordnung nicht. Hat man angenommen, was man nicht annehmen sollte, so werden die Beweise Scheinbeweise und die strenge Form selbst ein Hinderniß der Wahrheit. Wir sahen dies an Spinoza. Mit einem willkürlich angenommenen Begriff, z.B. Substanz, Attribut, Modification, war eine Menge andrer willkürlichen Erklärungen eines Einen, das sich in zwei Attributen darstellt, u.s.w. veranlaßt, welche seine vortreffliche synthetische Methode nicht gut machen, wohl aber täuschend verbergen konnte. In der Kritik macht man die Probe, Verse in Prose aufzulösen, und nimmt den Grundsatz an, daß, was in Prose Unsinn ist, es auch in Versen sein müsse; mit dem mathematischen Vortrage metaphysischer Sätze sollte man es ebenso machen. Voraussetzungen, behauptend harte Ausdrücke, die in ungebundner Rede den Verstand beleidigen, können durch die geometrische Form so wenig gut gemacht werden, daß man sich eher aufgebracht fühlt, wenn man Sätze der Art dem Scheine nach demonstrirt sieht und sich zuletzt orientiren muß, wie man mit der gefunden Vernunft daran sei.

PHILOLAUS. Sonderbare Philosophie, die sich zuletzt orientirt, da eben sie dem Inhalt wie der Methode nach vom Anfange bis zum Ende uns orientiren sollte. Gnug indessen, daß Spinoza weder ein Atheist noch Pantheist ist; ein dritter harter Knoten in ihm bleibt mir noch übrig.

THEOPHRON. Ich merke leicht, wer er sei; und wie, wenn wir eben in dem harten Knoten ein Goldstück fänden?

PHILOLAUS. Es soll mich freuen, und jede Mühe der Auflösung des Knotens wird mir willkommen sein; aber wer, mein Freund, ist der Verfasser der scholastischen Ode, die Sie mir neulich mittheilten?

THEOPHRON. Ein Atheist, der verbrannt wurde, Vanini. Noch auf dem Richtplatz hob er einen Strohhalm auf und sagte: »daß, wenn er so unglücklich wäre, keine andern Beweise vom Dasein Gottes zu haben als diesen Strohhalm, so würde dieser ihm gnug sein«.[51]

PHILOLAUS. Und ward verbrannt? Vielleicht sonst als Ketzer?

THEOPHRON. Ein eitler junger Mann war er, von vielen Fähigkeiten und vieler Ruhmsucht; er wollte ein Julius Cäsar in der Philosophie sein und ward ihr trauriges Opfer. Wie gefällt Ihnen seine Ode?

PHILOLAUS. Für die Zeiten Vanini's gefällt sie mir sehr wohl. Der Ausdruck ist im Latein der damaligen Zeit und die Theorie über das höchste Wesen scholastisch; der zweite Theil des Gedichts aber ist innig und herzlich. Der Dichter, durchdrungen von seinem Gegenstande, bietet allen Reichthum seiner Sprache auf, um uns den Einzigen darzustellen, ohne den wir nichts, durch den wir Alles sind, was wir sind, was wir können und wirken.

THEOPHRON. So wird Ihnen vielleicht auch dies Blatt morgenländischer Sentenzen über das höchste Wesen nicht mißfallen. Sie sind im Geist der Sprachen des Orients gedacht und können nichts anders als in solchen gelesen werden. Zu Spinoza passen sie wohl; morgen sprechen wir über ihn weiter.


Gott
Einige Aussprüche der Morgenländer

In ihm leben, weben und sind wir. Wir sind seines Geschlechts.

Paulus.

*


Von ihm, in ihm und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit.

Paulus.

*


Wenn wir gleich viel sagen, so werden wir's doch nicht erschöpfen; der Inbegriff aller Gedanken, das All ist er.

Sirach.

*


Ihm allein kommt es zu, zu sagen: Ich! Er, dessen Reich ewig und dessen Wesen sich selbst gnug ist. Wer außer ihm sagt: Ich! ist ein Teufel.

*


Der Geschöpfe Eigenschaften sind alle zwiefach; denn wie sie auf der einen Seite Macht haben, so haben sie auf der andern Schwachheit. Wenn sich in einer Sache Ueberfluß befindet, so findet sich auch Mangel bei ihr. Kenntniß und Unwissenheit sind mit einander vereinigt, Kraft und Schwachheit, Leben und Tod. Nur des Schöpfers Macht ist ohne Grenzen, sein Reichthum ohne Mangel,[52] seine Wissenschaft ohne Dunkelheit, sein Leben ohne Tod. Alle Dinge sind zwiefach geschaffen, Gott allein ist einzig und ewig.

*


Die Menschen, o Gott, messen Dich nicht mit dem Maß, mit welchem Du gemessen werden mußt; nur von Deinem Wesen allein kann Dein Wesen begriffen werden. Denn was für ein Verhältniß kann sein zwischen Dem, der ewig ist, und zwischen Dem, der in der Zeit geschaffen worden? zwischen ein Wenig Wasser und Erde und zwischen dem Herrn aller Dinge?

*


Die droben im Tempel seiner Herrlichkeit anbeten, gestehen es und sagen: »Wir verehren Dich nicht, o Gott, mit würdiger Verehrung.« Wenn sie den Glanz seiner Schönheit preisen, stehn sie erstaunt und klagen: »Wir erkennen Dich nicht, o Gott, mit wahrer Erkenntniß.«

Und wenn nun Jemand mich um sein Lob fragte, was sollte der Sinnlose vom Bildlosen sagen? Der Liebende wird ein Opfer des Geliebten, und das Opfer verstummt.

Saadi.

*


Ein Betrachter Gottes, ein redlicher Mann, senkte das Haupt zum Busen und schien wie untergegangen im Meer der Beschauung. Als er emporkam, redete ihn einer seiner Vertrauten an und sprach: »Was hast du uns Schönes mitgebracht aus dem Garten, in dem Du warest?«

»Ich wollte Rosen brechen,« antwortete er; »mein Kleid, meinen Busen wollte ich anfüllen mit ihnen, ein Geschenk für meine Freunde; schon nahte ich mich dem Busch voll schöner erquickender Rosen; allein der starke Duft derselben berauschte, überwältigte mich; meiner Hand entsank das Kleid und alle gesammelte Rosen.«

Lautsingende Nachtigall, von der Mücke lerne, was Liebe sei! sie fliegt hinein in die geliebte Flamme, ihr Flügel versengt; todt und stumm sinkt sie danieder.

Jene Prahler, jene Schwätzer von Gott wissen nichts von ihm; wer ihn kennt, schweigt.

O Du, höher als alle Gedanken, als alles Urtheil, als jede Meinung, als jede Einbildung! Alles, was die Väter sagten, las und hörte ich; Gespräch und Leben ist zu Ende, und ich bin eben am Anfange Deiner Beschreibung.

Saadi.[53]

17

V. Ethic., p. 49. Schol. et epist., 21, 39, 40, 49, etc. »Jedermann muß ja einräumen, daß nichts ohne Gott weder sein noch gedacht werden könne; denn Alle gestehen, daß Gott aller Dinge, sowol ihrem Wesen als ihrem Dasein nach, einzige Ursache sei. Inzwischen sagen doch auch die Meisten, zum Wesen eines Dinges gehöre das, ohne welches das Ding weder sein noch gedacht werden kann. Sie müssen also glauben, entweder daß die Natur Gottes zum Wesen der erschaffenen Dinge gehöre, oder daß die erschaffenen Dinge ohne Gott sein und gedacht werden können, oder – welches wol das Gewisseste ist – sie wissen nicht, was sie meinen. Die Ursache hievon, halte ich, lag in der fehlerhaften Ordnung ihres Philosophirens. Die göttliche Natur, die sie vor allem Andern betrachten sollten, weil sie sowol ihrer Natur als unsrer Erkenntniß nach das Erste ist, setzten sie zuletzt; die Objecte der Sinne (wie sie es nennen) stellten sie Allem voran. Wenn sie diese betrachteten, dachten sie an nichts weniger als die Gottheit; wenn sie nachher zu dieser übergingen, konnten sie an nichts weniger als an ihre vorigen Figmente denken, denen sie die Kenntniß natürlicher Dinge übergebaut hatten, und die ihnen zum Verstande der göttlichen Natur nichts helfen konnten« u.s.w.

18

Prop. 18 verglichen mit Ep. 21. »In Gott, sage ich mit Paulus, vielleicht auch mit allen alten Philosophen (obgleich auf andere Weise), und ich möchte sagen, auch mit allen alten Ebräern (so viel sich aus einigen, obwol sehr verstümmelten Traditionen muthmaßen läßt), in Gott webt und ist Alles. Glauben aber Einige, dies gehe darauf hinaus, daß Gott und die Natur (unter der sie sich eine gewisse Masse oder körperliche Materie denken) Eins und Dasselbe sei, so verfehlen sie ganz des Weges.« Opp. posth., p. 449.

19

V. Epist. 29: »Maß, Zahl und Zeit sind nichts als Denk- oder vielmehr Imaginationsweisen. Daher alle, die durch ähnliche, überdem übelverstandene Notionen den Fortschritt der Natur haben verstehen wollen, sich so wunderbar verwirrt haben. Denn da es viele Begriffe giebt, die wir nicht durch Imagination, sondern durch den Verstand allein erreichen, z.B. Substanz, Ewigkeit u.s.w., so thäte Der, der diese Begriffe durch jene Hilfsmittel der Imagination erklären wollte, nichts weiter, als daß er sich Mühe gäbe, mit seiner Imagination zu rasen.« Opp. posth., p. 468.

20

»Kein Attribut der Substanz kann wahrhaft gedacht werden, aus welchem folge: die Substanz sei theilbar.« Ethic. Prop. XII. »Die absolut-unendliche Substanz ist untheilbar.« Prop. XIII.

21

Im zweiten Theil der Ethik de mente.

22

Ep. 69, 70, 71,72. Ausdrücklich sagt er in diesen Briefen, »daß von Descartes die Materie durch Ausdehnung übel definirt worden, daß aus der Ausdehnung die Varietät der Körper nicht zu erklären sei«, und geht so weit, daß er die Cartesischen Naturprincipien nicht nur unnütz, sondern ungereimt nennt. Opp. posth., p. 596. seq.

23

Boscowich, Philosophiae naturalis theoria redacta ad unicam legem virium in natura existentium. Viennae 1760.

24

Aus August Henning's Philosophischen Versuchen, Kopenhagen 1780.

25

S. seinen merkwürdigen 29. Brief, Opp. posth., p. 465.

26

In schedis gallicis de systemate harmoniae praestabilitae agentibus snimam tantum, ut substantiam, non ut simul corporis Entelechiam consideravi, quia hoc ad rem, quam tunc agebam, ad explicandum nimirum conaensum inter corpus et mentem non pertinetbat; neque aliud a Cartesianis desiderabatur. Opp. Leibnit., T. II. P. I. p. 269.

27

»Nach Spinoza«, sagt Lessing, »ist die Seele nichts als der sich denkende Körper, der Körper nichts als die sich ausdehnende Seele«. S. Lessing's Leben und Nachlaß, Th. 2. S. 170. Genau und wahr. »Durch Spinoza ist Leibniz nur auf die Spur der vorherbestimmten Harmonie gekommen.« S. 167. Aber durch welchen andern Cartesianer oder ältern Philosophen konnte er nicht darauf gekommen sein? Und warum durch einen ältern Philosophen? Drückt seine Hypothese, von Willkürlichkeiten gesondert, etwas Anders aus als ein Gesetz der Erfahrung?

Quelle:
Herders Werke. Berlin [o.J.], S. 33-54.
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