An Frau Karolina S. in Zürich

[23] 1841


Nur zagend lass' ich meinen Worten

Vor andern Menschen ihren Lauf;

Dir schließen sich die letzten Pforten

Von meinem Herzen klingend auf;

Mir ist, dir dürf' ich alles sagen,

Die tiefste Seele wird mir flott;

Wie ich mag in die Saiten schlagen,

Um deine Lippen blitzt kein Spott.


Die Welt will, daß man sie betrüge

Durch ein erheuchelt fromm Gefühl,

Mit Anstand einen Frieden lüge,

Wenn's in der Brust uns dumpf und schwül;

Du hörest, seltenste der Frauen,

Den kecken Schwärmer ohne Groll,

Du weißt, man muß ihn selber bauen,

Den Himmel, dran man glauben soll. –


Gleichwie am stillen Abend schmettert

Durch heitre Luft Trompetenklang,

Gleichwie's um Rosenbüsche wettert

Ein blühendes Gestad' entlang,

Gleichwie zum Sturme ruft die Glocke,

Indes noch Beter am Altar,

Wie neben eines Kindes Locke

Ein graues, ernstes Greisenhaar, – –


So tönt zu meinem stillen Volke

Mein zürnend, freiheitheischend Lied;

Ich bin die schwere, schwarze Wolke,

Der Gott den Donner nur beschied;[23]

Ich bin kein froher, freud'ger Buhle,

Des Wappen Rose und Pokal,

Ich sitz' als Gast auf Bankos Stuhle

Bei jedem frechen Königsmahl.


O könnt' im finstern Rat der Alten

Mein Lied ein zündend Feuer sein!

Doch ach! die Nüchternen, die Kalten

Verlangen abgelegnen Wein.

Im Zorn oft drückt' ich auf die Flasche

Den Kork – es öffnet sich dein Haus,

Auf deinem Herde schlägt die Asche

Zu neuen kühnen Flammen aus.


Du bist des schwachen Samenkornes

Getreue, stille Pflegerin,

Den ganzen Frühling meines Zornes –

Ich leg' ihn dir als Opfer hin.

Wohl waren manche Perlen fertig,

Doch noch der echten Taucherhand,

Noch deiner lieben Hand gewärtig;

Nimm sie – und wirf sie in den Sand!


Quelle:
Herweghs Werke in drei Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1909], S. 23-24.
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