2.

[57] Ufnau! Hier modert unser Heiland,

Fürs deutsche Volk ans Kreuz geschlagen;

Ein deutsches Mekka wär' dies Eiland,

Hätt' ihn kein deutsches Weib getragen.


Der Hutten ist's und ihn erkür' ich

Zu meines Herzens erstem Helden;

Mein Weltmeer sei dein See, o Zürich!

Von seinen Mären laßt mich melden.
[57]

Der Hutten ist's, ob den Despoten

Verachtet ihr des Volkes Festen;

Ihr buhlet täglich mit den Toten,

Ach! und vergesset eure Besten.


Ihr weintet jener Hieroglyphe

Im Ozean manch verlorne Träne,

Und ahntet nicht die Wundertiefe

Der reinen deutschen Hippokrene.


Der Hutten ist's, ihr Männer tretet

Heran zum Hügel des Verbannten!

Der Hutten ist's, ihr Männer betet,

Und lernt ihn kennen, den Verkannten.


Die Freiheit schwanket zwischen Klippen

Umher auf steuerlosem Boote,

Schon nahn sich ihr mit ekeln Lippen

Zum Kusse die Ischariote.


Wir brauchen einen großen Schatten,

Des Geist um unsre Waffen schwebe,

Der, wenn im Kampfe wir ermatten,

Uns Blut von seinem Blute gebe.


O glaubet nicht, daß ihr ihn fändet

Auf jenem Fels im fernen Meere;

Hier ist ein Grab, noch ungeschändet

Hier ist der Stein der deutschen Ehre!


Wie zitterte manch stolzer Giebel,

Als donnernd einst in böser Stunde,

Gleich Schwerterklang zu Luthers Bibel,

Das Wort erscholl aus Huttens Munde!


Das Wort, das, als die Welt geknechtet,

Als finstrer Wahn sie unterjochte,

So kühn für alle Welt gerechtet,

So einsam an den Himmel pochte.


Ließ er sich von den Kutten meucheln,

Und hat er darum sterben müssen,

Daß nun die Enkel sonder Heucheln

Den Mantel von Marengo küssen?
[58]

Wie lang mit Lorbeern überschütten

Wollt ihr die korsische Standarte?

Wann hängt einmal in deutschen Hütten

Der Hutten statt des Bonaparte?

Quelle:
Herweghs Werke in drei Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1909], S. 57-59.
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