[359] Rose sitzt am Nähtisch, eine Arbeit auf dem Schooß, und sieht zum Fenster hinaus. Lieutenant Brünnow steht hinter ihr.
ROSE hinausdeutend.
Dort über die Bastion hinweg nach Süden,
Seht Ihr das helle Feld?
BRÜNNOW.
Es scheint ein See,
Der spiegelglatt in stiller Sonne glänzt.
Doch kann es nur die Ueberschwemmung sein,
Die künstliche, die unsre Mittagsseite
So trefflich schützt.
ROSE.
Von diesem Fenster, deutlich
Wie sonst von keinem Punkt der ganzen Stadt,
Seht Ihr die Wasserwerke ausgebreitet,
Und jener Silberstreifen, der so schimmernd
Hindurch sich windet, ist der Fluß.[359]
BRÜNNOW.
Das Werk
Macht seinem Meister Ehre.
ROSE.
Freilich; doch
Auch Müh' und Schweiß genug hat's ihn gekostet.
Aus eigner Lust und Vollmacht unternahm
Mein Pathe Nettelbeck, es herzustellen.
Da ward der Damm, die Wasser aufzustau'n,
Das weite Netz der Schleusen und Canäle
Von Grund aus neu gebaut, daß nun der Feind
Von dorther wohl die Stadt in Ruhe lässt.
Doch jenseits, gegen Osten, da ist gleich
Das hohe Feld, und hinter dem der Stadtwald.
Seht Ihr den Rauch aufsteigen aus den Wipfeln,
Dort, mehr nach links?
BRÜNNOW.
Richtig. Sie kochen eben
Im Hauptquartier des Feindes.
ROSE.
Manche Nacht,
Wenn Sorg' und Kummer mich nicht schlafen lassen,
Und ich vom Fenster aus die Lagerfeuer
Der fremden Unterdrücker glänzen seh',
Wünsch' ich mir ein Geschütz hier in die Nische,
Das fernhin trüge über Wall und Feld.
Wie gerne hülf' ich meiner Vaterstadt
Mit mehr als frommen Wünschen!
BRÜNNOW.
Jungfer Rose,
Ihr habt ein tapfres Herz. Wem dieses Herz
Und diese kleine Hand hier –
Ihre Hand ergreifend.
ROSE ihm die Hand entziehend, ohne Unfreundlichkeit.
Lieutnant Brünnow,
Denkt, was Ihr mir verspracht. Obwohl mein Vater
Dem Euren freund war und wir selbst Euch schätzen,[360]
Kein Wort, das glaubt mir, wechsl' ich mehr mit Euch,
Wenn Ihr in dieser Zeit an Andres dächtet,
Als an des armen Vaterlandes Noth.
BRÜNNOW.
Verzeiht; es soll nicht mehr geschehn. Doch sagt,
Wie ist's nur möglich? Euer Bruder Heinrich
So ganz unähnlich Euch an Sinn und Art,
Ein pulverscheuer Rechenknecht –
ROSE.
Ihr thut
Ihm großes Unrecht; er hat Herz wie Einer.
Als Knabe schon, wenn mit den Nachbarskindern
Wir auf dem Stadtwall unsre Spiele spielten,
War er der Kühnste stets, der Wildeste.
Und später, fragt nur nach, in Wassersnoth
Und Brandgefahr – wie oft wagt' er sein Leben!
BRÜNNOW.
Und dennoch jetzt, wenn man ihm folgte, gäbe
Die Stadt sich auf, ohn' einen Schuß zu thun.
ROSE.
Ach, leider hat der Glanz des Kaiserreichs
Ihn blind gemacht für seines Volkes Schmach.
Er war ein Jahr auf Reisen, in Geschäften,
Und kam entfremdet aus der Fremde wieder.
Da schien ihm Alles hier so eng und klein;
Sein Mund floß über von der Wunderstadt
Paris und Dem, den sie vergötterte,
Dem corsischen Erobrer. Da vernahm ich
Zuerst ein Wort, deß Sinn mir dunkel blieb:
Weltbürgertum.
BRÜNNOW.
Das Modewort der Zeit!
ROSE.
Wie? fragt' ich, sind wir alle nicht Weltbürger,
Schon weil wir Menschen sind und Kinder Gottes?
Und hätte Gott die Länder und Nationen
Vielfach gemacht an Art und Eigenschaft,[361]
Wenn er nicht wollte, daß ein jedes Volk
In seinen Grenzen wohnte, mit den andern
In nachbarlichem Frieden, doch bereit,
Für seine Ehre mannhaft einzustehn,
Wenn sie der Nachbar schädigt? Dann verfocht er
Das Recht des Stärkern; große Namen nannt' er
Und sprach von Kaiser Karl, deß mächt'ges Scepter
Einst Frankenland und Deutschland überschattet;
Ob es uns schimpflich wäre, solchem Herrn,
Wenn Gott ihn wieder sendete, zu huld'gen?
Und ich, ein ungelehrtes Mädchen, konnt'
Ihm nichts erwiedern; doch im Herzen fühlt' ich
Mich unbekehrt. Ihr habt die Welt gesehn;
Sagt Ihr mir – aber still! Ich hör' ihn kommen.
Ich bitte, reizt ihn nicht. Ich fühl' es wohl:
In Zwiespalt ist sein Kopf mit seinem Herzen,
Und weher noch, als uns, thut er sich selbst.
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