[542] Vorraum zu einem öffentlichen Ballsaal, prunkvoll im Geschmack der 1860er Jahre. Logenartige Räume, aus Säulen und Draperien, links und rechts. In der Mitte Treppe zu einer Estrade, von der man in den eigentlichen Ballsaal hinabsieht, und zu dem man links und rechts von dieser Treppe hinabsteigt.
Arabella und hinter ihr Adelaide, von mehreren Herren begleitet, steigen langsam die Treppe von der Estrade herab.
Waldner und Mandryka stehen unten, seitwärts. Beide im schwarzen Frack, mit umgeschlungener schwarzer Crawatte.
MANDRYKA.
Das ist ein Engel, der vom Himmel niedersteigt!
WALDNER.
Na, endlich! Immer eine halbe Stund' zu spät.
MANDRYKA.
O Waldner, Waldner!
WALDNER.
Wenn du meine Hand so druckst
werd ich drei Tag' lang keine Karten halten können.
Jetzt komm! ich stell dich vor! Was gehst du denn zurück!
Adelaide mit Arabella, unten angelangt, treten etwas nach links. Die begleitenden Herren sind zurückgeblieben.
ADELAIDE leise zu Arabella.
Dort steht er. Habe ich zuviel gesagt?
ARABELLA ohne daß sie hinzusehen scheint.
Mama – das ist jetzt wirklich die Entscheidung!
ADELAIDE.
Du bist sehr blaß! Ist dir nicht wohl, mein Kind?
Willst du dich setzen? willst du fort?
ARABELLA.
Nein, laß Mama.
Nur einen Augenblick laß mich allein.
ADELAIDE geht auf die beiden Herren zu.
WALDNER ihr entgegen.
Was ist denn?[543]
ADELAIDE.
Laß ihr einen Augenblick!
WALDNER.
Zu was denn?
ADELAIDE.
Eine plötzliche Beklommenheit.
Du kennst ihre Natur.
WALDNER.
Jetzt ist nicht Zeit für solche Faxen!
Hier stell' ich Dir Herrn von Mandryka vor.
Adelaide reicht Mandryka die Hand, die er küßt.
ARABELLA zu ihnen gehend.
Mama, da bin ich.
WALDNER.
Meine Tochter Arabella.
Mandryka verneigt sich tief.
Adelaide zieht Waldner bei Seite. Sie verschwinden rechts.
Mandryka sieht Arabella an, ohne ein Wort herauszubringen.
ARABELLA.
Sie sehn nicht aus wie jemand, den das alles da interessiert.
Indem sie sich fächelt.
Was führt Sie dann hierher?
MANDRYKA.
Nach Wien?
ARABELLA.
Hierher auf diesen Ball!
MANDRYKA.
Sie fragen mich, was mich hierherführt, Arabella?
Dominik kommt von rückwärts, will Arabella zum Tanz holen.
ARABELLA zu Dominik.
Später. Jetzt sprech ich hier mit diesem Herrn.
Sie tritt nach links. Dominik ab.
MANDRYKA nach einer kleinen Pause.
So hat Ihr Vater Ihnen nichts gesagt?
ARABELLA setzt sich und winkt ihm mit dem Fächer, sich neben sie zu setzen.
Was hätte er mir sagen sollen?
ELEMER kommt von rückwärts zu Arabella.
Darf ich vielleicht um diesen Walzer bitten?
ARABELLA.
Später. Jetzt bleib ich hier.
ELEMER verneigt sich und geht.[544]
ARABELLA sieht Mandryka an.
Was hätte mir mein Vater sagen sollen?
MANDRYKA.
Sie wissen nichts von mir?
Arabella schüttelt den Kopf.
Ich habe eine Frau gehabt, sehr schön, sehr engelsgut.
Sie ist zwei Jahre nur bei mir geblieben,
dann hat der Herr Gott sie zu sich gerufen schnell.
Zu jung war ich und noch nicht gut genug für einen solchen Engel.
Er senkt den Kopf.
ARABELLA nach einer kleinen Pause, mit ein wenig Schelmerei.
Das ist es, was mein Vater mir erzählen sollte?
MANDRYKA sehr ernst und schwer.
Verzeihen Sie, ich bin ein halber Bauer,
bei mir geht alles langsam, aber stark.
Wie mit plötzlichem Entschluß.
Sie sind schön, Arabella – Ihr schönes Gesicht
auch auf einem Papier verbrennt schon die Seele!
ARABELLA mit einem Stirnrunzeln.
Wie kommt man eigentlich da unten in Slawonien
zu einem Bild von mir?
MANDRYKA sieht sie an.
Wie man zu einem Bild – das ist ja gleich! –
So schön sind Sie – eine Gewalt ist da in Ihren Zügen
sich einzudrücken in die Seele wie in weiches Wachs!
Über den einfachen Menschen, den Felder und Wälder umgeben,
ist eine solche Gewalt sehr groß, und er wird wie ein Träumer,
wie ein Besessener wird er und faßt den Entschluß mit der Seele,
einen ganzen Entschluß und wie er entschlossen ist, so muß er handeln!
Arabella erschrickt vor der dumpfen Heftigkeit, steht auf.
MANDRYKA steht auf.
Gräfin, ich habe vergessen wie anderswo anders die Welt ist.[545]
Hier sind nicht meine Wälder und Felder, Sie müssen verzeihen
meine unschicklichen Reden, wodurch ich Sie hindre am Tanzen.
LAMORAL kommt von rückwärts zu Arabella.
Darf ich jetzt stören und um einen Walzer bitten?
ARABELLA.
Nein. Später, Lamoral, ich möcht mit dem Herrn da noch ein bißl reden,
wenn er – vielleicht – sich wieder niedersetzen wird.
LAMORAL verneigt sich und geht.
ARABELLA setzt sich und winkt Mandryka, sich zu setzen.
Sie wollen mich heiraten, sagt mein Vater
Ja haben Sie denn eine Ahnung wer wir sind?
Wir sind nicht grad sehr viel, nach dem Maß dieser Welt –
wir laufen halt so mit als etwas zweifelhafte Existenzen!
MANDRYKA.
Ihren Stammbaum, Arabella,
den tragen Sie in Ihr Gesicht geschrieben!
und wenn Ihnen genug ist über einen zu gebieten
der selbst wieder gebietet über viele
so kommen Sie mit mir und sei'n die Herrin!
Sie werden Pfauen weiden auf seidenem Boden
und das wird nicht geschehen daß jemand sich dünkt über Ihnen
es sei denn der König und Kaiser und seine Kaiserin! – aber sonst niemand!
ARABELLA vor sich.
Der Richtige, wenns einen gibt für mich,
der wird auf einmal da sein,
und wird mich anschaun und ich ihn
und keine Winkelzüge werden sein und keine Fragen,
nein, alles hell und offen, wie ein lichter Fluß, auf dem die Sonne blitzt!
MANDRYKA.
So fließt der helle stille Donau mir beim Haus vorbei,
und hat mir dich gebracht! du Allerschönste!
Geheimnisvoll.
[546]
Und heute abend noch, vor Schlafenszeit –
wärst du ein Mädchen aus der Dörfer einem meinigen,
du müßtest mir zum Brunnen gehen hinter deines Vaters Haus
und klares Wasser schöpfen einen Becher voll
und mir ihn reichen vor der Schwelle, daß ich dein Verlobter bin vor Gott
und vor den Menschen, meine Allerschönste!
ARABELLA.
So wie Sie sind, so hab ich keinen Menschen je gesehn!
Sie bringen Ihre eigene Lebensluft mit sich
und was nicht Ihnen zugehört, das ist nicht da für Sie.
MANDRYKA.
Darum kann ich erst leben wenn ich etwas Herrliches
erhöhe über mich, und so in dieser Stunde
erhöh ich dich, und wähle dich zu meiner Frau
und wo ich Herr bin, wirst du Herrin sein
und wirst gebieten, wo ich der Gebieter bin!
ARABELLA ganz leise, mit ihm.
Und du wirst mein Gebieter sein und ich dir untertan
dein Haus wird mein Haus sein, in deinem Grab will ich mit dir begraben sein
so gebe ich mich dir auf Zeit und Ewigkeit.
Ihren Ton völlig ändernd, aber ernst.
Jetzt aber fahren Sie nachhaus. Ich bitte Sie darum.
MANDRYKA.
Und Sie?
ARABELLA.
Ich bleibe noch.
Mandryka verneigt sich.
Ich möchte tanzen noch, und Abschied nehmen
von meiner Mädchenzeit, nur eine Stunde lang.
Gewähren Sie mir die?
MANDRYKA.
Wenn Sie hier bleiben,
so ist mein Platz nicht anderswo als hier.
Arabella runzelt die Stirn.
Sie aber brauchen nicht ein einziges Wort an mich zu richten!
Ein Schwarm von Fiakern und Ballgästen, darunter auch die[547] Fiakermilli und einige solche Mädchen, und die drei Grafen, kommt aus dem Tanzsaal herauf auf die Bühne.
ARABELLA sieht Mandryka an.
Darf ich?
MANDRYKA.
Sie dürfen! Ja! Sie dürfen alles was Sie wollen!
Indem er zur Seite tritt und den Herankommenden den Weg freigibt.
Tretet auseinander, gute Menschen,
nach den vier Weltseiten auseinander!
Laßt die junge Magd ein Kleines tanzen
eh vom Väterchen sie noch vermählt wird!
Die Fiakermilli, eine hübsche Person in einem sehr auffallenden Ballkleid, ein großes Bukett in der Hand, tritt aus dem Schwarm heraus auf Arabella zu, die jetzt in der Mitte steht.
DOMINIK neben Milli tretend.
Der Ball begehrt nach seiner Königin!
die Milli ist der Herold der Fiaker
wir haben unsre Huldigung ihr in den Mund gelegt!
DIE FIAKERMILLI indem sie mit einem Knix Arabella das Bukett überreicht, leichtfertig, fast frech.
Die Wiener Herrn verstehen sich
auf die Astronomie:
Die könnten von der Sternwart sein
und wissen gar nicht wie!
Sie finden einen neuen Stern
gar schnell heraus die Wiener Herrn
den machen sie zur Königin
an ihrem Firmament:
Zu der dann schallt es im Verein:
du sollst unsres Festes Königin sein!
DIE GRAFEN UND FIAKER.
Du sollst unsres Festes Königin sein.
Die Fiakermilli geht sogleich aus ihrem Lied in ein freches übermütiges Jodeln über. Der Jodler bildet die Überleitung zu dem nun einsetzenden Walzer.
Arabella, unter den Klängen des Walzers, den Milli mitjodelt, nimmt Blumen aus dem Bukett und verteilt sie unter die Herren[548] und Fiaker. Zuletzt wirft sie das ausgeplünderte Bukett unter sie und nimmt Dominiks Arm, und steigt mit ihm in den Ballsaal hinab, von allen gefolgt.
Mandryka sieht ihnen nach, dann wendet er sich.
Adelaide erscheint in diesem Augenblick von rechts.
Matteo ist zugleich links herausgetreten, Zdenka schüchtern hinter ihm, in Knabenkleidern, aber einer Art von schwarzem Frack, sich hinter einer Säule deckend.
ADELAIDE auf Mandryka zu.
Sie sind allein? Wo ist Arabella?
MANDRYKA.
Wo ihre Pflicht sie ruft als Königin des Balles.
MATTEO in die Luft.
Wie sie mich vergißt – im Rausch ihrer Schönheit!
ADELAIDE.
Ihre Augen leuchten. Wie darf ich das deuten?
ZDENKA hinter Matteo, ängstlich.
Sie denkt an dich, ich weiß es, Matteo!
Ihre Blicke nur nimmt sie in acht.
MANDRYKA auf Adelaide zu.
O Gräfin, Sie selber so jung noch, so reizend –
und Sie ihre Mutter! mit was für Worten
womit denn auf Erden vermöchte ich Ihnen zu danken!
Er küßt ihr mit Innigkeit die Hand.
MATTEO tritt einen Schritt hervor.
Die Blumen für alle! für alle ihr Lächeln!
sie selber für alle! was bleibt für mich?
ADELAIDE zu Mandryka.
O könnten Sie ahnen, was in mir vorgeht!
mein Freund! mein Sohn! mein fahrender Ritter!
Zu viel für mein Herz. Ich muß es teilen!
Zu ihm, zu ihr! Nein, bleiben Sie hier!
ich finde ihn! er muß Sie umarmen!
Sie eilt rechts ab.
ZDENKA innig aber zart, zu Matteo.
Für dich bleibt Alles: sie braucht deine Trauer
tief wie ein Brunnen
ihre ganze Seele hineinzuwerfen –
Seicht sind die andern![549]
MATTEO vor sich.
Eines bleibt: fort nach Galizien,
und sie vergessen – wenn ich noch kann!
Und ist's dazu zu spät – so gibt es noch ein andres Mittel!
Er geht nach vorne, Zdenka bleibt links, aus Furcht, gesehen zu werden.
ZDENKA.
Der Papa! die Mama! daß keiner mich sieht!
Wohin gehst du, Matteo?
Matteo geht in den Hintergrund, starrt düster in den Ballsaal hinab.
Adelaide und Waldner, von rechts, auf Mandryka zu.
Zdenka verschwindet links.
ADELAIDE.
O Theodor! hier ist er, Theodor!
WALDNER jovial.
Wie stehst du vor mir, neveu meines alten Mandryka?
Mir scheint, du verstehst, wie man Frauen gewinnt, so gut wie der Onkel!
Na! Teschek! umarme mich schon!
MANDRYKA.
Glücklich, du Guter steh ich vor euch –
Leichte Umarmung.
glücklich so sehr, daß ich fast muß mich schämen! –
Nicht wie ein Mann steh ich vor euch
gar wie ein Bursch, der auf den Abend wartet –
in unseren Dörfern –
wenn alles dunkel, gelöscht sind die Feuer!
aber er weiß, im Haus ihres Vaters wartet das Mädel,
dann schlüpft sie zum Brunnen und schöpft für ihn
einen Trunk klaren Wassers:
den reicht sie ihm von der finsteren Schwelle.
ADELAIDE.
O welche Zartheit, bezaubernde ländliche Sitte!
Ich fühle die Luft meiner Heimat um mich, und das Schloß meiner Väter,
drunten schlummernd das Dorf
WALDNER mit einer abwehrenden Gebärde sehr eilig.
Ich stehe sofort zur Verfügung!
[550] Leise.
Laß mich! ich bin im Gewinn!
Ab rechts.
Mandryka hebt seine Hand und schnalzt mit den Fingern; sofort sind Welko, Djura und Jankel um
ihn; alle im schwarzen Frack, aber mit Metallknöpfen.
MANDRYKA rechts.
Hierher einen Tisch. Wir werden soupieren.
Sogleich ein Kellner mit einer Karte und Kellnerjungen.
MANDRYKA zu Adelaide.
Welchen Champagner? befehlen Sie selber!
Kellner präsentiert Adelaide die Weinkarte.
ADELAIDE.
Moët-Chandon, halb herb und halb süß – der war es bei meiner Verlobung!
MANDRYKA.
Dreißig Flaschen von diesem!
Er zeigt in die Weinkarte.
Sechs für den Tisch
und die andern herumservieren im Saal –
und noch einmal dreißig!
und noch einmal dreißig!
Welko, du ordnest! Eiskübel in jede Ecke!
bis sie alle im Saal da nimmermehr wissen
ob sie sind Grafen, verhext in Fiakerkutscher,
oder Fiakerkutscher, umgekrempelt in Grafen!
Sie sollen sich freuen, wenn ich mich freue!
Befehlen weiter!
ADELAIDE indessen man ihr Hummern, Fasanen, Eiscremen etc. präsentiert.
Haben wir Blumen?
MANDRYKA schnell.
Aufpassen, du da! Geld gib ihm, Welko!
Nimmst einen Fiaker und noch einen zweiten
aufsperren laßt dir die Gärtnergeschäfte,
aufwecken die hübschen Verkäuferinnen,
ausräumen sollen sie ihre Keller!
Füllst einen Wagen an mit Rosen,
einen mit roten und weißen Camelien.
Walzer soll sie auf Blumen tanzen[551]
Abschied nehmen von Mädchenzeiten!
Später breit ich meine Hände
sie wird nicht mehr Walzer tanzen
aber tanzen auf meinen Händen!
ADELAIDE.
O wie ich den Traum meiner Mädchenzeit wiederfinde!
Großmütig sind Sie, und voller Stärke –
knapp im Befehl, und sicherlich furchtbar im Zürnen –
welch ein Vertrauen flößen Sie ein, o unsagbar!
Schnell Ihren Arm und führen Sie mich auf die Estrade!
Sie nimmt seinen Arm und sie gehen rückwärts die Stufen hinauf.
Von rechts wird ein Tisch hereingeschoben und für ein kaltes Souper prächtig gedeckt. Rechts wird weiter der Tisch gedeckt. Arabella, an Dominiks Arm, kommt von rückwärts aus dem Tanzsaal. Sie wenden sich nach links.
ARABELLA.
Und jetzt sag ich Adieu, mein lieber Dominik.
DOMINIK.
Adieu? Sie fahren schon nachhaus?
ARABELLA ruhig, heiter.
Das war jetzt unser letzter Tanz für alle Zeit.
Kann sein daß wir uns später einmal wiedersehn
dann sind wir halt Bekannte aus der Jugendzeit.
DOMINIK.
Arabella!
Er faßt sie am Arm.
ARABELLA macht sich schnell los.
Nein. Dominik!
Sie sind der erste Mann gewesen, Dominik,
– von Buben red ich nicht – der mir gesagt hat,
daß er mich gern hat, und es hat mich recht gefreut.
Aber die Richtige für Sie die war ich nicht,
und Sie halt nicht der Richtige für mich.
Nicht reden, Dominik. Da kommt auch schon der Elemer. Adieu!
Sie nickt Elemer zu. Dominik entfernt sich langsam.
[552]
ELEMER aus dem Tanzsaal kommend, auf Arabella zu.
So schön wie heut hab ich Sie nie gesehn!
Mit Ihnen ist etwas passiert!
ARABELLA.
Ja, Elemer, mit mir ist was passiert!
Und darum geb ich Ihnen jetzt die Hand
und sag: Adieu, ich danke Ihnen, Elemer –
es waren viele schöne Augenblicke drunter –
ELEMER.
Es waren, Bella, und es werden sein!
ARABELLA.
Nicht halten meine Hand, grad schnell den Druck von meinen Fingern spüren,
und wissen daß wir gute Freunde sind
wenn wir uns auch nicht wiedersehn!
ELEMER zornig.
Sie haben sich verliebt in diesen Fremden,
diesen Wallachen oder was er ist!
ARABELLA.
Verliebt – es ist wohl mehr –
Elemer spottet.
ARABELLA sanft.
Nicht mir verderben diesen letzten Augenblick!
Da kommt auch schon der Lamoral und wartet
auf seinen letzten Tanz!
Lamoral erscheint an der Stiege, aus dem Tanzsaal herauf. Rechts wird mit dem Tischdecken fortgefahren.
ELEMER dicht bei ihr.
Werden Sie meine Frau!
Wer in der Welt ist, der mich hindern darf!
ARABELLA.
Für mich war halt ein andres Glück bestimmt.
Sie läßt ihn stehen und geht auf Lamoral zu.
Elemer links ab.
LAMORAL.
O Arabella, gibts was Schöneres als Sie auf einem Ball!
ARABELLA halb für sich.
Ja, süß ist die Verliebtheit, süß ist dieses Auf und Ab,[553]
aber es gibt was Schöneres tausendmal!
und einmal wirst du's auch verstehn, vielleicht –
LAMORAL.
Nicht reden jetzt von Anderm, das weit weg ist –
ARABELLA ernst.
Für dich ists noch weit weg, da hast du recht.
LAMORAL.
Ich ängstig mich. Sie sind so anders, Arabella!
Es nimmt Sie mir wer weg!
ARABELLA.
Wegnehmen? geh, du Bub!
Aber da hast du deinen ersten und zugleich auch deinen letzten Kuß.
Sie beugt sich zu ihm und küßt ihn schnell und leicht auf die Stirn.
Sie stehen links, einigermaßen gedeckt durch die Draperien.
LAMORAL strahlend.
Von wem hab ich den wunderbaren Kuß?
ARABELLA sogleich ganz gelöst; sie tritt von ihm weg in die Mitte.
Von einem Mädel, das heut glücklich ist,
so glücklich, daß sie ganz allein sein muß,
ganz mit sich selbst allein in ihrem Zimmer,
und lang noch liegen ohne Schlaf vor lauter Glück!
Mit geändertem Ton.
Jetzt tanzen wir noch diesen Walzer aus
dann fahr ich fort von euch – auf Nimmerwiedersehn!
Ab mit ihm in den Tanzsaal.
Matteo kommt von rechts, an den Tischdeckenden
vorbei.
Zdenka, links hervortretend, ängstlich, nicht gesehen zu werden, starrt auf ihn hinüber.
MATTEO vor sich.
Fort mit mir! Fort und ein Ende! Sonst bin ich ein Feigling!
ZDENKA.
O Gott! Seine Miene! wie gräßlich entschlossen!
Sie winkt ihm, er geht zu ihr hinüber.
Mandryka kommt die Stufen von der Estrade herab, geht quer über die Bühne zu dem gedeckten Tisch hinüber, nimmt eine Meldung Welkos entgegen.
ZDENKA angstvoll.
Bist du schon wieder so –? Hats dich schon wieder?[554]
MATTEO.
Rasend verzehrts mich!
ZDENKA.
Sie denkt an dich! nichts andres denkt sie!
Matteo lacht bitter.
ZDENKA man merkt die Lüge.
Sie hat mir einen Brief für dich gegeben!
Hier ist er.
Sie greift in die Brusttasche ihres Fracks.
MATTEO weicht zurück gegen die Mitte.
Ich nehme ihn nicht!
Der bringt das Ende für immer!
Ich fühl es!
Zdenka folgt dem Zurückweichenden, den Brief in der Hand.
Mandryka wird aufmerksam.
Jankel mit Leuten, die eine Last von Blumen tragen, von rechts.
Zdenka ist Matteo bis in die Mitte der Bühne gefolgt.
MATTEO.
Trag ihn zurück! Ich fühl daß es mein Abschied ist!
ZDENKA.
Du mußt ihn nehmen, alles wird anders!
So fühl ihn doch!
MATTEO faßt den Brief.
Ein Schlüssel?
ZDENKA.
Nimm ihn! nimm ihn nur!
MATTEO reißt den Brief auf.
Kein Brief! nur ein Schlüssel?
Was sind das für Späße? Zdenko, ich frage!
ZDENKA blaß, einer Ohnmacht nahe.
Das ist ihr Schlüssel!
MATTEO.
Ihr Schlüssel?
ZDENKA fast tonlos.
Vom Zimmer. Gib acht. Versteck ihn.
MATTEO.
Das ist der Schlüssel –? ich bin nicht bei Sinnen!
Sind wir auf dem Ball? Bist du der Zdenko?
ist sie deine Schwester, die tanzt dort unten?
Das ist der Schlüssel –?[555]
ZDENKA.
Zu ihrem Zimmer.
MATTEO.
Der Schlüssel zu Arabellas Zimmer!
Er hält den Schlüssel vor sich.
MANDRYKA zuckt zusammen.
Ich habe mich verhört!
Jankel will sich ihm nähern.
Mandryka winkt ihm ab, tritt den Beiden näher.
ZDENKA bald rot, bald blaß, die Scham überwindend.
Du sollst nachhaus – sie kommt in einer Viertelstunde.
Der Schlüssel sperrt das Zimmer neben ihrem,
lautlos kommt sie zu dir – Matteo, denn sie will ja alles tun
damit du glücklich wirst noch diese Nacht!
MATTEO.
Schwör mir, daß das wahr ist!
Der Schlüssel zu Arabellas Zimmer!
ZDENKA.
Du hast ihn ja! so wahr er sperrt
so wahr will die, die ihn dir gibt
heut alles tun, damit du glücklich wirst!
Ich muß jetzt fort! mich darf man hier nicht sehn!
Läuft links weg.
MATTEO vor sich.
Geheimnis eines Mädchenherzens, unergründliches!
Schnell ab nach links.
MANDRYKA aus einer Art Starre jäh aufwachend.
Halt! du irgendeiner oder wer Du bist!
Welko! laufen! halten dort den Menschen!
Her mit ihm vor mich! den dort mit dem Schlüssel!
Dominik mit Adelaide ist von links vorne aufgetreten.
WELKO unschlüssig, auf wen sein Herr ihn hetzen wollte.
Welchen, Gospodar? und was für einen?
Diesen?
Zeigt auf Dominik.
Dominik und Adelaide nehmen links auf einem Canapé Platz.
MANDRYKA vor sich.
Und wenn hier viele Arabella heißen –
meine gottverdammten Jägerohren[556]
foppen meinen dummen harten Schädel –
daß ich als ein Narr dasteh vor einem Fremden?
Wird sie denn den Schlüssel schicken von dem Zimmer
während selber sie hier tanzt im Ballsaal?
Er sieht nach der Uhr.
Noch ist nicht einmal vorbei die Stunde
die ich grad ihr freigegeben habe –
also bin ich schon ein Narr und Esel?
Zu Welko.
Alles lassen! Weitermachen dort am Eßtisch!
Er geht hastig auf und ab.
Schön ist die Musik, und nichts von Schlüssel,
Geigen drin, und nicht verdammte Schlüssel
und in paar Minuten wird sie dastehn
da vor mir, und Blumen werd ich hinstreun
daß statt meiner sie den Fuß ihr küssen.
Haj! Wie tanzt sie jetzt und nimmt den Abschied
von der Mädchenzeit in dieser Stunde!
Grimmig hinschauend.
Warum kommen viele und nicht sie darunter?
Warum scheppern gottverdammte Schlüssel da dazwischen!
DIE FIAKERMILLI an Elemers Arm, auf Mandryka zu, andere Paare stellen sich dazu.
Mein Herr, schon wieder muß ich kommen
und bitten: geben Sie dem Ball die Königin zurück!
MANDRYKA im Zorn, vor sich.
Was sagt das Frauenzimmer? Ich soll sie
zurück ihr geben? Ich hab sie nicht eingesperrt.
Ich hab den Schlüssel nicht. Er ist in dem Couvert.
Er packt einen Sessel so daß dessen Lehne kracht.
Welko bietet Champagner an.
MANDRYKA nimmt sich zusammen.
Ich bitte, daß Sie mir die Ehre geben –
Sie alle wie Sie sind, bekannt und unbekannt!
ELEMER.
Doch Gräfin Arabella wollen wir
nicht in dem schönen Augenblick vermissen![557]
MILLI.
Sie werden sicher sie zu finden wissen.
MANDRYKA greift sich an den Hals, lockert die Krawatte.
Zu finden wissen? Schlüssel! Welko! Suchen!
Die gnädige Fräulein suchen in dem Saal!
Hast du gefunden in der großen Wienerstadt
wirst du zu finden wissen in der Tanzhütten dahier!
Welko eilt ab.
MANDRYKA nachrufend, stark.
– und bitten sie hierher wenn sie die Gnade haben will!
Dann zu Milli, die sich von Elemers Arm gelöst hat.
Ein solcher süßer Schnabel muß auch etwas Süßes trinken!
Er serviert ihr ein Glas Champagner.
Milli antwortet jodelnd.
PICCOLO bringt ein Briefchen auf einem Tablett.
Da wäre ein Billet für Euer Gnaden.
MANDRYKA.
Fühl ob ein Schlüssel drin ist?
PICCOLO.
Wie? ein Schlüssel?
MANDRYKA nimmt hastig das Billet, zögert noch, es zu öffnen.
Wer, Herr Gott, hat diesem Gesicht so viel Gewalt gegeben über mich!
daß ich mich fürchte jetzt –
Geht bei Seite, reißt das Couvert auf, liest, wiederholt den Inhalt, grimmig.
Für heute sag ich Ihnen gute Nacht.
Ich fahr nachhaus.
Von morgen an bin ich die Ihrige.
Ein kleines a statt einer Unterschrift!
Nicht einmal ihren Namen! Steht auch nicht dafür,
für einen Gimpel, einen auf den Leim gegangenen!
Mit bitterer Lustigkeit.
Sie muß ja Abschied nehmen von der Mädchenzeit –
dafür braucht sie die ganze Zärtlichkeit:
sie hat jetzt keine Zeit für zärtlichere Unterschrift!
Er zwingt sich zu einer frechen Munterkeit, tritt wieder zu den andern zurück, winkt.
Wegschmeißen jetzt die Blumen! Schampus her![558]
Servieren links und rechts, bis alle liegen unter'm Tisch –
die Grafen und Fiaker und Fiakerbräute alle miteinander!
Heut geht das Ganze, aber schon das Ganze
auf meine Rechnung!
Kellner verteilen sich, servieren allen Champagner.
Soll ich der schönen Milli jetzt vielleicht was singen?
Er zieht sie an sich.
Ich wäre aufgelegt!
Fiaker-Milli antwortet zärtlich, ohne Worte, mit einem Jodler.
MANDRYKA zwischen Selbstverspottung und zornigen Tränen.
Ging durch einen Wald, weiß nicht durch welchen!
Fand ein Mädchen, weiß nicht, wessen Tochter!
Trat ihm auf den Fuß, weiß nicht auf welchen,
fing es an zu schrein, weiß nicht warum doch:
seht den Wicht, wie der sich denkt die Liebe!
Milli wiederholt jodelnd den Refrain, Mandryka zieht sie neben sich auf das Canapee nieder. Adelaide entzieht sich Dominik, steht auf.
MANDRYKA.
Wohl stünds an, ihm Kanne Wein zu geben,
Wein zu geben, Becher nicht zu geben
mag der Wicht aus schwerer Kanne trinken!
Mag sich plagen bis zu klügern Tagen!
Milli jodelt den Refrain.
Wohl stünds an, mich Mädchen ihm zu geben
mich zu geben, doch kein Bett zu geben
Grimmig.
mag der Kerl auf bloßer Erde schlafen
mag sich plagen bis zu klügern Tagen!
Er läßt Milli, steht jäh auf.
Milli wiederholt den Refrain.
MANDRYKA immer böser, vor sich.
Für heut fahrt sie nachhaus zu ihrem Schlüsselherrn –
von morgen an ist sie die meinige!
Milli, gib mir ein Bussl!
Küßt sie.
Wie viel kost't
der Schlüssel für Comtessenzimmer hier in Wien?
ADELAIDE plötzlich vor ihm.
Herr von Mandryka, wo ist meine Tochter?[559]
MANDRYKA stehend, Milli im Arm.
Weiß nicht! sie hat die Gnade nicht gehabt
mir mitzuteilen. Wünschen noch Moët-Chandon?
Hier ist! Servieren der Frau Gräfin Mutter!
ADELAIDE aufgeregt nach rechts eilend.
Wo ist mein Mann? man suche meinen Mann!
Dominik nach rechts, schnell, Waldner zu suchen.
ADELAIDE zurück zu Mandryka.
Lassen Sie sich beschwören! wo ist Arabella?
MANDRYKA frech.
Das frag ich selber die Frau Gräfin Mutter!
Waldner erscheint rechts, mit Dominik, hinter ihm die drei Herren, mit denen er gespielt hat.
ADELAIDE.
O Theodor!
Beschütze deine Frau und deine Tochter!
WALDNER.
Was geht hier vor? Mandryka, wie benimmst du dich?
in Gegenwart von meiner Frau!
MANDRYKA.
Genau wie sichs gehört!
Ich streife ab den dummen Kerl aus der Provinz
und bin, wie unter wienerischen Grafen sich geziemt!
Setz dich zu uns, sind Mädel da, is Schampus da,
Teschek! bedien dich!
WALDNER dicht vor ihm.
Wo ist meine Tochter?
MANDRYKA.
Ich kann dir leider keine Auskunft geben!
Comtessen scheint es, ziehen manchmal sich zurück
in einem animierten Augenblick.
WALDNER zu Adelaide, wütend.
Wo ist das Mädel? wissen will ich wo sie ist!
ADELAIDE.
Zuhaus.
WALDNER.
Du weißt es? was soll das bedeuten?
ADELAIDE.
Ein Einfall! eine plötzliche Melancholie!
eine Caprice! Du kennst ihr Naturell.[560]
WALDNER.
Du schwörst, sie ist zuhause?
ADELAIDE.
Theodor!
Es handelt sich um dein und meine Tochter!
WALDNER.
Sehr gut. Wir fahren auch nachhause. Augenblicklich.
Du klopfst an ihrer Tür und gibst uns Nachricht
ob sie ganz wohl ist: nur damit wir uns beruhigen.
Böse.
Dann spreche ich zwei Worte noch mit dir –
darum wirst du die Güte haben, uns begleiten.
MANDRYKA.
Es wird mir eine ganz besondere Ehre sein.
Verneigt sich und gibt Adelaide den Arm.
WALDNER zu seinen Mitspielern.
Wir spielen augenblicklich weiter im Hotel,
sobald das kleine Mißverständnis da beseitigt ist.
MANDRYKA an der Tür stehen bleibend, zurückrufend.
Die Herrn und Damen sind einstweilen meine Gäste!
FIAKER-MILLI.
Eljen! wir sind Ihre Gäste!
Gäste heben die Champagnergläser.
Mandryka mit Adelaide ist schon ab, Welko und Djura vor ihnen, Waldner mit den Spielern folgt.
Vorhang.
Ausgewählte Ausgaben von
Arabella
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro