[561] Im Hotel. Offener Raum, zugleich Stiegenhaus. Die Stiege läuft in zwei Wendungen aufwärts. Unten stehen ein paar Tische mit Zeitungen, Schaukelstühle, Fauteuils. Vorne rechts ist die Portiersloge und der Ausgang auf die Gasse. Es ist Nacht; der Raum ist mit Öllampen erleuchtet.
Matteo, in Uniformbluse, wird am Stiegengeländer in der Höhe des ersten Stocks sichtbar. Er späht hinunter.
Es läutet an der Haustür, Matteo verschwindet.
Der Zimmerkellner tritt aus der Portiersloge hervor, sperrt auf.
Arabella tritt ein, in Mantel und Capuchon, vom Ball kommend. Der Zimmerkellner verschwindet wieder. Arabella geht langsam auf die Stiege zu. Ihre Augen sind halb geschlossen, ihr Gesicht hat einen glücklichen Ausdruck. Die Musik des Balles umschwebt sie, durch die Tanzrhythmen schlingt sich der Rhythmus von Mandrykas slawischer Redeweise. Sie lächelt.
ARABELLA wie wach träumend, setzt sich in den vordersten Schaukelstuhl und wiegt sich leise, vor sich laut denkend.
Über seine Felder wird der Wagen fahren
und durch seine hohen stillen Wälder –
ja, zu denen paßt er: hohe stille Wälder.
Und dann werden seine Reiter uns entgegenkommen
»Das ist Eure Herrin«, wird er sagen,
»die ich mir geholt hab«, wird er sagen,
»aus der Kaiserstadt, jetzt aber will sie nimmermehr zurück,
bleiben will sie nur bei mir in meinen Wäldern.«
MATTEO erscheint wieder oben, er beugt sich übers Geländer. Er erblickt die unten Sitzende, kann es kaum glauben, daß es Arabella ist, flüstert vor sich hin.
Arabella! unmöglich! es ist ja nicht denkbar!
Arabella fährt aus ihrer glücklichen Träumerei auf. Sie sieht Matteo nicht; er ist ihr im Rücken. Sie spürt nur, daß sie nicht mehr allein ist. Matteo leise unten angelangt, verneigt sich vor ihr.
[562]
ARABELLA erstaunt aber ohne Erregung; sie steht schnell auf.
Sie hier? So spät?
So wohnen Sie noch immer hier im Haus?
MATTEO mit versteckter Beziehung.
Sie hier? so muß ich fragen, Arabella!
Einen Schritt näher.
Sie gehn so spät noch einmal aus?
ARABELLA.
Ich komme heim vom Ball und gehe auf mein Zimmer.
Gute Nacht.
Sie nickt ihm zu und will an ihm vorbei hinauf gehen.
MATTEO mit unendlicher Ironie.
Sie kommen heim vom Ball! Sie gehen auf Ihr Zimmer!
Halb für sich.
Geheimnis eines Mädchenherzens, unergründliches!
ARABELLA.
Ja. Gute Nacht. Was amüsiert Sie da so sehr?
MATTEO.
Oh, Arabella!
Er lächelt verliebt und vielsagend.
ARABELLA.
Wenn Sie mir noch etwas zu sagen haben,
dann bitte ich, bei Tag! nicht jetzt, nicht hier!
MATTEO.
Noch – etwas? Ich – noch – etwas?
Oh süße Arabella, danken will ich dir
von heute bis ans Ende meines Lebens!
ARABELLA.
Danken – wofür? Das ist doch alles ein für allemal vorbei.
MATTEO mit stärkster Ironie.
Danken? wofür? – die Kunst ist mir zu hoch!
Mir graut vor so viel Virtuosität.
ARABELLA.
Was haben Sie?
MATTEO.
So meisterhaft Komödie spielen, nur um der Komödie willen,
Komödie spielen ohne Publikum!
das ist zu viel! das grenzt an böse Hexenkünste![563]
ARABELLA.
Von allen Ihren Reden da versteh ich nicht ein Wort,
und somit gute Nacht.
Matteo vertritt ihr den Weg.
MATTEO.
Schon gut! Jetzt einen Blick noch, einen einzigen, der mir sagt,
daß du im Innersten die gleiche bist!
ARABELLA.
Die gleiche?
MATTEO glühend.
Wie vor einer Viertelstunde!
ARABELLA ganz arglos.
Vor einer Viertelstunde war ich anderswo!
Mit dem Ausdruck verklärter Erinnerung.
MATTEO.
Vor einer Viertelstunde! ja! da oben!
ARABELLA einen Blick nach oben, ohne Verständnis.
Ich weiß nicht was Sie meinen, und ich möchte hier nicht länger stehn.
MATTEO.
Das ist zu viel! So kalte Herrschaft über jeden Nerv
nach solchen Augenblicken – das erträgt kein Mann!
Ich appelliere an den einen Blutstropfen in dir
der unfähig zu heucheln ist!
Er packt sie am Arm.
ARABELLA.
Sie sind ja nicht bei sich!
Matteo! Geben Sie den Weg mir frei oder ich rufe!
MATTEO.
Du könntest einen Mann zum Wahnsinn bringen,
du, so wie niemand auf der Welt!
Bekräftige mit einem einzigen letzten Blick
was zwischen uns gewesen ist dort oben
und nichts auf dieser Welt verlang ich mehr von dir!
Zimmerkellner kommt leise aus der Portiersloge, geht aufsperren.
ARABELLA.
Hier kommen Menschen, lassen Sie mich los![564]
MATTEO.
Ich habs geschworen, daß du frei sein wirst von mir,
in deine Tränen, in deine flüsternden Küsse hab ichs geschworen –
von morgen ab! Ich halte meinen Schwur!
Im Dunkel waren wir, ich habe deine Augen nicht gesehen:
Gib einen Blick mir jetzt, der alles noch zum letzten Mal besiegelt,
und du bist frei für immer!
Adelaide, hinter ihr Mandryka, der sofort stehen bleibt, dann Waldner, zuletzt die drei Spieler, die im halb dunklen Vestibül stehen bleiben; hinter ihm Welko und Djura.
Matteo tritt ungeschickt und verlegen zur Seite.
ADELAIDE.
Welch ein erregtes tête-à-tête im Stiegenhaus!
Du hast dich also nicht zurückgezogen?
Mein Kind, was soll das heißen?
ARABELLA.
Aber nichts, Mama. Gar nichts.
MANDRYKA sieht starr auf Matteo.
Ja. Es ist der Verfluchte mit dem Schlüssel.
ARABELLA tritt einen Schritt gegen Mandryka, ganz unbefangen.
Sie hab ich heut nicht mehr zu sehn vermutet, Herr von Mandryka!
MANDRYKA finster zu Adelaide.
Sehr wohl. Ich bitte, Gräfin, um Erlaubnis, mich zurückzuziehn!
Zurücktretend.
Welko!
WELKO bei ihm.
Der Gospodar hat ihn erkannt?
MANDRYKA.
Du packst. Wir fahren mit dem ersten Zug nachhaus.
ARABELLA zu Mandryka hintretend.
Hier ist nichts, das Sie anginge, Mandryka.
Ich komm nachhaus, begegne diesem Herrn.
Das ist ein alter Freund von uns. Darüber alles
erzähl ich Ihnen später, wenn Sie wollen.[565]
MANDRYKA.
Ich bitte wirklich sehr, mich zu entschuldigen!
Er macht Miene zu gehen.
Arabella schüttelt erstaunt den Kopf.
ADELAIDE.
Oh Wien! du Stadt der médisance und der Intrige!
Gegen Matteo.
Sie Unglückseliger!
WALDNER Mandryka aufhaltend.
Du bleibst noch einen Augenblick!
Es scheint, daß hier noch Mißverständnisse geblieben sind!
Zu Arabella.
Ich frage dich, mein Kind! Wo kommst du her?
Hat der Herr Leutnant dich vom Ball nachhaus begleitet
mit deiner Zustimmung?
ARABELLA.
Papa, so schau mir ins Gesicht!
Kann ein Verrückter alle närrisch machen auf eins zwei?
WALDNER.
Du hast mir nichts zu sagen?
ARABELLA.
Aber wirklich nichts,
als was du ohnehin schon weißt, Papa,
seit heute abend. Oder weiß du's etwa nicht?
WALDNER.
Da bin ich sehr erleichtert.
Küßt Arabella auf die Stirn.
Zu Mandryka.
Also bitte!
Es ist nichts vorgefallen! aber gar nichts!
Schwamm drüber über alle Aufregung und gute Nacht!
Zu den Spielern.
Ich bitte dort hinein. Wir spielen sofort weiter.
MANDRYKA tritt zu Arabella, spricht nur zu ihr.
Ich werde helfen, soviel Geld und guter Wille helfen kann,
vertuschen diese häßliche Komödie,
da ich die Rolle nicht geeignet bin zu spielen,
die Sie mir haben zugedacht, mein Fräulein.
ARABELLA.
Wie reden Sie zu mir! Wer bin ich denn?[566]
MANDRYKA.
Sie sind halt eben, die Sie sind.
ARABELLA quasi Aufschrei.
So ähnlich einem bösen Traum hab ich noch nie etwas erlebt!
MANDRYKA
wendet sich – vor sich
.
Nein, nein, wie ist das möglich! nein, wie kann das möglich sein!
ADELAIDE.
O dreimal unglückselige Begegnung!
WALDNER.
Jetzt keine Arien, wenn ich bitten darf!
ARABELLA nur zu Mandryka.
Mandryka, hören Sie, so wahr ein Gott im Himmel ist,
so haben Sie mir nichts hier zu verzeihen!
Viel eher muß ich Ihnen, wenn ich kann, verzeihen,
was Sie zu mir geredet haben und in welchem Ton!
MANDRYKA den Blick böse auf Matteo geheftet.
Ich bitte, mir dergleichen Sprüche zu ersparen.
Ich müßte blind sein und hab leider scharfe Augen,
ich müßte taub sein und hab leider gute Ohren,
und müßte schwach im Kopf sein – dann vielleicht,
daß ich das Individuum dort nicht erkennen täte
und nicht verstünde, was hier für ein Spiel gespielt wird bei der Nacht!
MATTEO getroffen von der Insulte, die in Mandrykas Blick und Miene liegt.
Mein Herr, falls Sie hier irgendwelche Rechte
besitzen, wenn auch erst seit kurzer Zeit –
ich stehe zur Verfügung!
ARABELLA zwischen beiden stehend.
Ja, alle Rechte besitzt dieser Herr: denn er ist mein Verlobter!
und Sie besitzen das leiseste nicht, auch nicht einen Schatten von Rechten!
Sagen Sie selber!
MATTEO zögernd, gequält.
Nein. Keines –[567]
ARABELLA zu Mandryka.
Sie hören.
MANDRYKA.
Hätten Sie den Herrn ausreden lassen!
Ein kleines Wort war ihm noch auf der Zunge –
»Nein keines – außer« hat er sagen wollen
und hat es schnell verschluckt!
Ich aber hab es grade noch gesehn auf seinen Lippen.
ARABELLA.
Matteo, nie hab ich für niedrig Sie gekannt!
Was tun Sie jetzt an mir –!
Sie wollen mich aus Trotz vor aller Welt kompromittieren!
ADELAIDE.
Unseliger Intrigant! so will er die Hand meines Kindes erschleichen!
MANDRYKA tut einen Schritt näher zu Matteo.
»Außer–«! Heraus mit der verschwiegenen Wahrheit!
MATTEO fest.
Kein Wort! Kein Wort!
MANDRYKA zu Arabella.
Außer den Rechten, hat er sagen wollen –
die diese Nacht verliehen hat!
Versuchen Sie, vielleicht zu Ihnen ganz allein
wird er ein Wörterl drüber sagen!
ARABELLA zu Matteo.
Haben Sie
vor diesem Herrn mir etwas noch zu sagen?
MATTEO senkt den Kopf.
Nein.
MANDRYKA.
Ich gratuliere Ihnen, Herr Leutnant,
zu Ihrem Glück bei schönen Mädchen und zu Ihrer Diskretion.
Die beiden sind gleich groß.
ARABELLA.
Hast du gehört, Papa!
WALDNER.
Mandryka, dafür wirst du Rechenschaft mir geben!
Komm her zu mir, mein Kind!
ARABELLA bleibt stehen, wo sie ist, mit tief schmerzlichem Ausdruck.[568]
Soll alles gehen wie es will, das Leben ist nichts wert!
Was ist an allem in der Welt, wenn dieser Mann
so schwach ist und die Kraft nicht hat an mich zu glauben –
und mich dahingibt wegen eines Nichts!
DIE GÄSTE oben auf der Treppe murmeln.
Wie? Kennen Sie sich aus? Welcher hat wen erwischt?
Was? Sie hat fort gewollt? Wie mit dem Leutnant?
ADELAIDE mit einer großen Gebärde auf Waldner zu.
Nein, dieser junge Mensch ist es nicht wert
vor dein Pistol zu kommen, Theodor!
das ist die niederträchtige Kabale
des abgewiesenen Freiers, und nichts weiter!
WALDNER.
Von dem da redet niemand. Der Mandryka –
der ist Genugtuung mir schuldig. Auf der Stelle.
Wo sind meine Pistolen? was – verkauft? o Sakrament!
Ich werd mir andre zu verschaffen wissen.
EINER DER SPIELER.
Wir protestieren!
Zuerst kommt die revanche, die Sie uns schulden!
MATTEO.
Ich bin allein der Schuldige. Ich nehme jedes Wort zurück
und jeden Blick! Mißdeutet hat man alles.
Ich habe nichts von dem gemeint, was Sie zu hören glaubten.
Wenn jemand Strafe hier verdient hat, so bin ichs.
WALDNER scharf.
Eintunken und reinwaschen wiederum in einem Atem
das war zu meiner Zeit nicht Brauch bei Offizieren!
MANDRYKA nur zu Arabella.
Der junge Mensch benimmt sich brav wie möglich.
Es wäre an der Zeit, daß Sie auf ihn
ein bißl Rücksicht nehmen täten, schönes Kind.
Gestehn Sie mir die Wahrheit, mir allein!
Es ist Ihr Liebhaber! Ich werde alles tun –
Sie können sich auf mich verlassen, Arabella!
ARABELLA sieht ihn fest an.
Bei meiner Seel' und Seligkeit, Mandryka,
die Wahrheit ist bei mir![569]
MANDRYKA.
Nicht deine Seele so verschwören, Mädel!
Mir tut das Herz zu weh um dich!
Vor sich.
O Gott, was tust du mir für eine Schande an durch dieses Weib!
Nochmals zu Arabella, leise.
Wenn ich den Buben doch gesehen hab,
wie er den Schlüssel ihm hat übergeben
zu Ihrem Zimmer.
ARABELLA.
Was für einen Buben?
MANDRYKA.
Den Buben, Ihren groom, den Sie geschickt!
ARABELLA.
Den Zdenko? Mein Gott! oder wen?
MANDRYKA.
Aha! Ich will, daß Sie gestehen! mir allein!
ARABELLA für sich.
Ist denn die Hölle gegen mich verschworen!
MANDRYKA.
Soll ich den Menschen dort, der mir mein Leben ruiniert hat,
soll ich ihn schonen als Ihren Geliebten? Reden Sie!
ARABELLA.
Die Wahrheit ist bei mir, Mandryka, nur die Wahrheit,
denn alles sonst – das seh ich ja – ist gegen mich.
MANDRYKA.
Zum letzten Mal! Willst du heiraten dort den Menschen
mit dem du hast das süße Stelldichein gehabt
nach unserer Verlobung zehn Minuten!
ARABELLA.
Ich habe nichts zu antworten, Herr von Mandryka,
auf Ihre Fragen.
Sie geht von ihm weg.
O Gott – so ist der Richtige doch nicht der Richtige?
Setzt sich.
O Gott wie du mich demütigst bis ins Mark
was von mir bleibt denn übrig noch nach dieser Stunde?[570]
MANDRYKA grimmig.
Auch gut. Aufsperren laß dir eine Waffenhandlung, Welko,
soll kosten was es will, ich brauche Säbel!
zwei schwere Säbel, scharfgeschliffene!
Sofort hierher! und einen Doktor laß aufwecken,
sonst brauch ich nichts. Dort ist der Wintergarten.
Mit einer halben Wendung zu Matteo.
Wir werden ohne Zeugen alles schon zu Ende bringen.
Er nimmt seine Zigarrentasche heraus, überlegt, bietet Matteo eine an, der ablehnt; zündet sich selber eine an.
Die Herrschaften vielleicht gestatten uns
allein zu bleiben bis dahin.
Er raucht.
Dumpfe Erwartung.
ZDENKAS STIMME von oben.
Papa! Mama!
Alle sehen auf.
ZDENKA in einem Negligé, mit offenem Haar, völlig Mädchen, kommt die Treppe heruntergestürzt, wirft sich vor ihrem Vater auf die Knie.
Papa!
Arabella steht auf.
ADELAIDE bedeckt Zdenka mit ihrer Mantille.
Zdenka! was für ein Aufzug! welche Schande!
ARABELLA.
Was ist geschehen! Zdenkerl! Red. Ich bin bei dir.
ZDENKA.
Nur schnell Adieu sag ich euch allen. Ich muß fort.
Ich muß ja in die Donau noch bevor es Tag wird.
WALDNER.
Was soll das heißen?
DIE SPIELER murmeln.
Wer ist wieder dieses hübsche Mädel?
MANDRYKA für sich.
Ich hab doch das Gesicht schon heute wo gesehn!
ZDENKA.
Verzeihts mir alles nur – und laßts mich fort!
Ich schäm mich so – ich sterb vor Scham – so laßts mich fort!
Vor Sonnenaufgang schon muß ich drin liegen – tief –
nachher dann werden alle mir verzeihn, auch der Papa![571]
ARABELLA umschlingt sie und zieht sie an sich.
Du bleibst bei mir. Und was dir auch geschehen ist,
an dir ist nichts geschehn, daß man dich weniger lieb müßt haben!
ZDENKA auf Matteo deutend.
Er ist unschuldig. Er hat nichts gewußt.
Nur ich allein –
ADELAIDE.
Schweig, unglückseliges Kind!
Schweig bis ans Grab!
WALDNER.
Schweig du sofort, und reden laß das Mädel!
Da habts ihr jetzt den Lohn von euren Maskeraden.
ZDENKA zu Arabella.
Nur dir kann ich es sagen, dir nur, dir allein!
ARABELLA.
Ich bin bei dir, ich laß dich nicht im Stich, ich bin bei dir!
ZDENKA an sie geschmiegt.
Er hat geglaubt, daß du es bist! ich habs getan
aus Angst um ihn, Bella, verstehst du mich!
Er weiß ja jetzt noch nicht, daß ich es war!
Angstvoll.
Matteo!
MATTEO.
Welche süße Stimme ruft mich an?
ZDENKA schamhaft.
Die Stimme der Betrügerin, Matteo!
Dein Freund, dein einziger, dein Zdenko ruft zu dir!
Ich bin ein Mädchen, o mein Gott, ich war ja nie was andres!
MATTEO.
O du mein Freund! Du meine Freundin! Du mein Alles!
ZDENKA.
Dich muß ich um Verzeihung bitten, dich und sie,
euch beide – o mein Gott!
Sie bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.
ARABELLA.
Wenn zu viel Liebe um Verzeihung bitten muß,
so bitte ihn halt um Verzeihung!
Drückt sie an sich und küßt sie.
[572]
MATTEO.
Im Zimmer wars zu finster, deine Stimme hab ich nicht gehört –
und doch ist mir als hätt ich es geahnt
von Anfang an, o süßer kleiner Zdenko!
Zdenka sieht ihn zärtlich an, bleibt aber in Arabellas Armen.
MANDRYKA vor sich.
Das Mädel war der groom! Ich möcht in Boden sinken!
Wie soll sie jemals mir verzeihen können
wo ich mir selber nicht verzeihen kann!
Welko kommt von rechts, zwei Kavalleriesäbel im Arm. Hinter ihm Djura mit zwei Pistolen in einem Kästchen, dahinter ein Arzt.
Mandryka sieht sie, winkt ab. Sie bleiben rechts stehen.
WALDNER hat sie gleichfalls gesehen. Mit der kalten Entschlossenheit des Spielers.
Sehr gut. Jetzt habe ich mein richtiges vis-à-vis.
Die Sache geht allein den Vater an.
DIE DREI SPIELER.
Oho! oho!
MANDRYKA ohne auf Waldner zu achten; nur zu Arabella.
Wie stehe ich vor Ihnen, Arabella!
Ich weiß: nicht einen Blick von Ihnen bin ich wert mein Leben lang!
So wie ein Tölpel, mit den beiden Fäusten da,
hab ich gemeint, man dürfe greifen nach dem allergrößten Glück!
und bin unwert geworden – so im Handumdrehn.
Und jetzt bleibt Reue und Mich-schämen bis an meinen letzten Tag.
ARABELLA.
Zdenkerl, du bist die Bessere von uns zweien,
du hast das liebevollere Herz, und nichts ist da für dich
nichts in der Welt, als was dein Herz dich heißt zu tun.
Ich dank dir schön, du gibst mir eine große Lehre
daß wir nichts wollen dürfen, nichts verlangen,
abwägen nicht und markten nicht und geizen nicht,
nur geben und lieb haben immer fort!
Sie gibt dabei nicht Mandryka den sehnlich erwarteten Blick, der alles ausgleichen würde.
[573]
ZDENKA zugleich mit ihr.
Wie sanft du zu mir sprichst! du bist nicht bös auf mich!
Du bist so unaussprechlich gut, ich kenn dich wie dich keiner kennt,
und immer möcht ich alles dir zu liebe tun –
Allein.
und nur verschwinden hätt ich mögen still
und euch nicht kränken! aber du verstehst mich, du,
und wirst mich nicht verlassen, was auch jetzt noch kommt!
MANDRYKA vor sich, sehr zaghaft.
Was jetzt noch kommt –
ADELAIDE.
O Gott! O Übermaß der Schande!
Oh wäre dieser Abend nie gewesen!
Das hat keine Prophetin uns vorausgesagt!
WALDNER fest.
Was jetzt noch kommt, das ist ganz klar!
Er tut einen entschlossenen Schritt, mit einem Blick auf die Pistolen.
ARABELLA zu Zdenka.
Was immer kommt, ich bin bei dir!
MANDRYKA den Blick auf Arabella, gepreßt.
Was jetzt noch kommt –
ZDENKA angstvoll.
Papa!
MATTEO.
Engel vom Himmel,
da sei Gott vor, daß dich die Welt beschmutzen dürfe!
MANDRYKA noch gepreßter.
Was jetzt noch kommt –
Er wendet sich zum Gehen.
ARABELLA leise, über Zdenkas Schulter hin.
Mandryka!
Sie hält ihre Hand über Zdenka hin in die Luft.
MANDRYKA stürzt sich auf die Hand.
Ich bin nicht wert solche Verzeihung!
ARABELLA.
Still Mandryka!
Wir sprechen jetzt nichts mehr. Wir haben jetzt
vergessen, was uns hier geschehen ist!
Es war nicht unsere Schuld.[574]
Wir wollen allen guten Willen haben,
für das was jetzt noch kommt!
MANDRYKA.
Für das was jetzt noch kommt?
Er greift schnell entschlossen Matteo's Hand und führt diesen auf Waldner zu.
Brautwerbung kommt!
Mit diesem Herrn da trete ich vor Ihnen, hochgeborener Herr,
verneige mich und bitte vor für ihn als meinen Freund,
daß Sie die Hand nicht weigern ihm von diesem jungen Fräulein.
Waldner macht eine abwehrende Gebärde.
MANDRYKA.
Nicht weigern ihm was große Liebe ihm verliehen hat!
ZDENKA schwach.
Matteo! oh, Papa! was ist das alles?
muß ich nicht fort?
ARABELLA.
Du mußt jetzt glücklich sein wie dus verdienst!
WALDNER ist gerührt, küßt sie.
So wein nicht, Kleine. Reichen Sie mir Ihre Hand, mein Herr.
Er reicht Matteo die Hand.
ADELAIDE.
Oh Theodor, welch eine Wendung!
WALDNER.
Kolossal!
ADELAIDE in Tränen.
Oh Theodor!
WALDNER umarmt Adelaide flüchtig, wendet sich dann gleich zu den Spielern.
Ich stehe zur Verfügung, meine Herrn!
Eilig ab in den Wintergarten, die Spieler mit ihm.
DIE GÄSTE murmeln.
Wir gehen schlafen. Jetzt passiert nichts mehr.
Verschwinden.
ARABELLA.
Führ sie hinauf, Mama.
Mandryka tritt einen Schritt auf Arabella zu.
ARABELLA.
Wir sprechen jetzt nichts mehr,[575]
bis wieder heller Tag ist! Meinen Sie nicht auch?
Adelaide und Zdenka steigen die Stiege hinauf in den ersten Stock.
ZDENKA zärtlich.
Matteo!
ARABELLA.
Geh nur, er kommt morgen früh.
Dann hast du ihn für immer.
Matteo verschwindet. Mandryka steht ängstlich gespannt da.
ARABELLA zu Mandryka hin, sehr leicht.
Kann Ihr Diener
im Hof zum Brunnen gehn und mir ein Glas
recht frisches Wasser bringen dort hinauf?
Welko eilt ab.
ARABELLA.
Ich glaub' es täte mir ganz gut!
Sie geht die Stiege hinauf.
MANDRYKA sieht ihr nach, bis sie oben ist. Jemand muß noch eine Lampe ausgedreht haben, es ist jetzt merklich finsterer.
Sie gibt mir keinen Blick, sie sagt nicht Gute Nacht,
sie läßt mich stehn und geht. Hab ich was anderes verdient?
Was ist verdient auf dieser Welt? Verdient ist nichts,
Stockprügel sind verdient für einen Kerl wie mich –
aber geschenkt hätt ich gern einen Blick genommen –
so einen halben Blick!
Welko erscheint, mit einem Glas Wasser auf einem Tablett, sieht Mandryka fragend an.
MANDRYKA.
Geh nur hinauf!
Welko geht hinauf.
MANDRYKA traurig vor sich.
Sie hat gar nichts gemeint, als ein Glas Wasser haben
und Ruh vor meinem Anblick. Oder spotten hat sie wollen,
vielleicht –? Wenn sie nur spottet wenigstens,
ists doch schon eine Gnade, eine unverdiente, das weiß Gott!
Er wendet sich zum Gehen, zögert, wendet sich wieder, schwer, zum Gehen.
Arabella erscheint oben, sieht hinunter, ob er da ist, ihr Gesicht[576] leuchtet auf. Sie nimmt das Glas, und steigt mit dem Glas langsam hinunter. Welko hinter ihr.
Mandryka schon fast nicht mehr da, wendet sich, sieht Arabella mit dem Glas, das sie mit beiden Händen auf dem Tablett trägt, langsam und feierlich herunterkommen. Vor freudigem Schrecken tritt er hinter sich.
ARABELLA von der letzten Stufe.
Das war sehr gut, Mandryka, daß Sie noch nicht fortgegangen sind –
Mandryka Schritt für Schritt näher.
Das Glas da habe ich austrinken wollen ganz allein
auf das Vergessen von dem Bösen, was gewesen ist
und still zu Bett gehn, und nicht denken mehr an Sie und mich,
und an das Ganze was da zwischen uns gewesen ist
bis wieder heller Tag gekommen wäre über uns,
vielleicht – vielleicht auch nicht. Das war in Gottes Hand.
Dann aber, wie ich Sie gespürt hab hier im Finstern stehn
hat eine große Macht mich angerührt von oben bis ans Herz
daß ich mich nicht erfrischen muß an einem Trunk:
nein, mich erfrischt schon das Gefühl von meinem Glück,
daß ich gefunden hab den, der mich angebunden hat an sein Geschick
mich angebunden daß ich mich nicht mehr losmachen kann –
und diesen unberührten Trank kredenz ich meinem Freund,
den Abend, wo die freie Mädchenzeit zu Ende ist für mich.
Sie steigt von der Stufe und reicht ihm das Glas hin.
Welko nimmt ihr geschickt das leere Tablett aus der Hand und verschwindet.
MANDRYKA indem er schnell in einem Zug austrinkt und das Glas hoch in seiner Rechten hält.
So wahr aus diesem Glas da keiner trinken wird nach mir,
so bist du mein und ich bin dein für ewige Zeit!
Er schmettert das Glas auf die Steinstufen.
[577]
ARABELLA steht wieder auf der Stufe und legt ihm die Hand auf die Schulter.
Und so sind wir Verlobte und Verbundene
auf Freud und Leid, und Wehtun und Verzeihn!
MANDRYKA.
Auf immer, du mein Engel, und auf alles was da kommen wird!
ARABELLA.
Und du wirst glauben –?
MANDRYKA.
Du wirst bleiben wie du bist?
ARABELLA.
Ich kann nicht anders werden, nimm mich wie ich bin!
Sie sinkt ihm in die Arme, er küßt sie, sie macht sich schnell los und läuft die Stiege hinauf. Er sieht ihr nach.
Vorhang.
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Arabella
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
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