XVI. Gesang.

[655] Ankunft des Telemachos in des Sauhirten Gehege. Während Eumaios der Königin die Botschaft bringt, entdeckt sich Odysseus dem Sohne und verabredet der Freier Ermordung. An der Stadt landen Telemachos' Genossen und drauf seine Nachsteller, die ihn in Ithaka selbst zu ermorden beschließen. Des Sauhirten Rückkehr.


Frühe bereitete schon mit Odysseus der treffliche Sauhirt

In der Hütte das Mahl bei angezündetem Feuer,

Sandte darauf die Hirten mit ihren Schweinen zu Felde.

Und Telemachos kam, ihn umhüpften die wachsamen Hunde

Schmeichelnd und bellten nicht. Der göttergleiche Odysseus

Sah die schmeichelnden Hund' und hörte des Kommenden Fußtritt,

Wandte sich schnell zu Eumaios und sprach die geflügelten Worte:

Sicher, Eumaios, besucht dich einer von deinen Gesellen

Oder auch sonst ein Bekannter; denn ihn umhüpfen die Hunde

Schmeichelnd und bellen nicht; auch hör ich des Kommenden Fußtritt.

Als er noch redete, siehe, da stand an der Schwelle des Hauses

Sein geliebtester Sohn. Voll Schrecken erhub sich der Sauhirt;

Seinen Händen entsank das Geschirr, das er eben gebrauchte,

Funkelnden Wein zu mischen; er eilte dem Fürsten entgegen,

Küßte sein Angesicht und beide glänzenden Augen,

Beide Hände dazu; und Tränen umflossen sein Antlitz.

Wie den geliebten Sohn ein gütiger Vater bewillkommt,

Ihn, der im zehnten Jahr aus fernen Landen zurückkehrt,

Ach, den einzigen, spätgebornen, mit Kummer erzognen:[655]

Also umarmte den schönen Telemachos jetzo der Sauhirt

Und bedeckt' ihn mit Küssen, als wär er vom Tod erstanden.

Und lautweinend begann er und sprach die geflügelten Worte:

Kommst du, Telemachos, kommst du, mein süßes Leben? Ich hoffte

Nimmer dich wiederzusehn, da du nach Pylos geschifft warst!

Komm doch herein, du trautes Kind, daß mein Herz sich erfreue

Deines Anblicks; du! der erst aus der Fremde zurückkommt!

Oft besuchst du ja nicht uns Hirtenleut' auf dem Felde,

Sondern bleibst in der Stadt; denn du findest ein eignes Vergnügen,

Stets den verwüstenden Schwarm der bösen Freier zu sehen!

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Väterchen, dieses geschehe; denn deinethalben nur komm ich,

Um dich wieder mit Augen zu sehn und von dir zu erfahren,

Ob die Mutter daheim noch weile oder der andern

Einen zum Manne gewählt und nun das Lager Odysseus',

Aller Betten beraubt, von Spinneweben entstellt sei.

Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:

Allerdings weilt jene mit treuer, duldender Seele

Noch in deinem Palast, und immer schwinden in Jammer

Ihre Tage dahin und unter Tränen die Nächte!

Also sprach er und nahm ihm die eherne Lanze, da jener

Über die steinerne Schwell in seine Kammer hineintrat.

Vor dem Kommenden wich sein Vater Odysseus vom Sitze;

Aber Telemachos hielt ihn und sprach mit freundlicher Stimme:

Fremder Mann, bleib sitzen; wir finden in unserer Wohnung

Wohl noch anderswo Platz, der Mann hier wird mich schon setzen!

Sprach's; und Odysseus kam und setzte sich. Aber der Sauhirt

Breitete grüne Zweige für jenen und drüber ein Geißfell;

Hierauf setzte sich dann der geliebte Sohn von Odysseus.

Und nun tischte vor ihnen der Sauhirt Schüsseln gebratnen

Fleisches auf, die sie letzt von der Mahlzeit übrig gelassen,

Eilte hinweg und brachte gehäufte Körbe mit Kuchen,

Mischte dann süßen Wein im großen hölzernen Becher;

Hierauf setzt' er sich gegen den göttergleichen Odysseus.

Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.

Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet,

Und Telemachos sprach zu dem edlen Hüter der Schweine:[656]

Vater, woher kam dieser Gast? Wie brachten die Schiffer

Ihn nach Ithaka her? Was rühmen sich jene für Leute?

Denn unmöglich ist er doch hier zu Fuße gekommen!

Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:

Dieses will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzählen.

Aus dem weiten Gefilde von Kreta stammet der Fremdling;

Viele Städte, sagte er, der Sterblichen sei er durchwandert,

Seit ihn der Himmlischen einer, die Welt zu durchflüchten, verurteilt.

Jetzo entrann er vom Schiffe thesprotischer Männer und eilte

Her in mein Hirtengeheg. Ich geb ihn dir in die Hände:

Tue mit ihm, wie du willst; denn deiner Gnade vertraut er.

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Was du mir jetzo gesagt, Eumaios, kümmert mich herzlich!

Denn wie kann ich den Fremdling in meinem Hause bewirten?

Sieh, ich selber bin jung, und Stärke fehlet den Händen,

Abzuwehren den Mann, der ihn zu beleidigen wagte.

Aber der Mutter Herz wankt zwischen beiden Entschlüssen:

Ob sie noch weile bei mir und meine Güter bewahre,

Scheuend das Lager des Ehegemahls und die Stimme des Volkes,

Oder jetzt von den Freiern im Hause den tapfersten Jüngling,

Welcher das meiste geschenkt, zu ihrem Bräutigam wähle.

Aber da dieser Fremdling zu deiner Hütte geflohn ist,

Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden,

Ein zweischneidiges Schwert und tüchtige Sohlen ihm schenken

Und ihn senden, wohin es seinem Herzen gelüstet.

Wenn du willst, so behalt du und pfleg ihn hier in der Hütte.

Ich will Kleider hieher und allerlei Speise zum Essen

Senden, daß er nicht dich und deine Freunde beschwere.

Aber dort gestatt ich ihm nicht in der Freier Gesellschaft

Hinzugehn; sie schalten mit zu unbändiger Frechheit:

Daß sie ihn nicht verhöhnen! Es würde mich äußerst betrüben!

Und ein einzelner Mann kann gegen mehrere wenig,

Sei er auch noch so stark; sie behalten immer den Vorrang!

Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:

Lieber, erlaubst du mir, auch meine Gedanken zu sagen?

Wahrlich mir blutet das Herz vor Mitleid, wenn ich es höre,

Wie unbändig und frech in deinem Hause die Freier[657]

Unfug treiben und dein, solch eines Jünglings! nicht achten.

Sprich: erträgst du das Joch freiwillig oder verabscheun

Dich die Völker des Landes, gewarnt durch göttlichen Ausspruch?

Oder liegt die Schuld an den Brüdern, welchen ein Streiter

Sonst in der Schlacht vertraut, auch wann sie am hitzigsten wütet?

Wollten die Götter, ich wäre so jung mit dieser Gesinnung,

Oder ein Sohn von Odysseus, dem herrlichen, oder er selber ...

Kehrete heim der Verirrte (denn noch ist Hoffnung zur Heimkehr):

Siehe, so sollte mein Feind das Haupt von der Schulter mir abhaun,

Wenn ich nicht zum Verderben der ganzen Räubergesellschaft

Eilt' in den hohen Palast des Laertiaden Odysseus!

Und wenn ich einzelner auch von der Menge würde besieget,

Oh, so wollt ich doch lieber in meinem Hause des Todes

Sterben, als immerfort den Greul der Verwüstungen ansehn:

Wie sie die Fremdlinge dort mißhandeln, die Mägde des Hauses

Zur abscheulichen Lust in den prächtigen Kammern umherziehn,

Allen Wein ausleeren und alle Speise verprassen,

Frech, ohne Maß, ohne Ziel, mit unersättlicher Raubgier!

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Dieses will ich dir, Fremdling, und nach der Wahrheit erzählen.

Weder das ganze Volk verabscheut oder verfolgt mich;

Noch liegt etwa die Schuld an den Brüdern, welchen ein Streiter

Sonst in der Schlacht vertraut, auch wann sie am hitzigsten wütet.

Denn nur einzeln pflanzte Kronion unser Geschlecht fort:

Von Arkeisios war der einzige Erbe Laertes,

Und von Laertes war's nur Odysseus; aber Odysseus

Zeugte nur mich, den er noch ungenossen daheim ließ!

Diesem erfüllen anitzt unzählige Feinde die Wohnung.

Alle Fürsten, so viel in diesen Inseln gebieten,

Same, Dulichion und der waldbewachsnen Zakynthos,

Und so viele hier in der felsichten Ithaka herrschen,

Alle werben um meine Mutter und zehren das Gut auf.

Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermählung

Nicht ausschlagen und nicht vollziehn. Nun verprassen die Schwelger

All mein Gut und werden in kurzem mich selber zerreißen!

Aber dieses ruhet im Schoße der seligen Götter.

Väterchen, eile du schnell zu der klugen Penelopeia,[658]

Sag ihr, daß ich gesund aus Pylos wieder zurückkam.

Ich will indes hier bleiben, bis du heimkehrest. Doch bring ihr

Ja die Botschaft allein, und keiner der andern Achaier

Höre dich; denn es trachten mir viele das Leben zu rauben!

Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:

Gut, ich verstehe dich schon, das sind auch meine Gedanken.

Aber verkündige mir und sage die lautere Wahrheit:

Soll ich auf diesem Weg auch dem armen Laertes die Botschaft

Bringen, welcher bisher, aus Gram um seinen Odysseus,

Selber das Land bestellte, doch stets mit den Knechten des Hauses

Aß und trank, sooft die Begierde des Herzens ihn antrieb?

Aber seit du von hinnen zur göttlichen Pylos geschifft warst,

Sagt man, hab er nicht mehr gegessen oder getrunken,

Noch auf die Wirtschaft gesehn; in unaufhörlicher Schwermut

Sitzt er und härmt sich ab, daß die Haut an den Knochen verdorret.

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Traurig! Doch müssen wir jetzo in seinem Kummer ihn lassen.

Denn wenn alles sogleich, wie es Sterbliche wünschen, geschähe,

Wahrlich, so wünschten wir vor allem des Vaters Zurückkunft!

Aber kehre zurück, sobald du's verkündet, und schweife

Nicht auf dem Lande herum zu jenem. Doch sage der Mutter,

Daß sie eilend zu ihm die treue Schaffnerin heimlich

Sende; sie kann es ja auch dem alten Greise verkünden.

Also sprach er und trieb ihn. Der Sauhirt langte die Sohlen,

Band sie unter die Füß' und eilete. Aber Athene

Ward des Hirten gewahr, der aus dem Gehege zur Stadt ging,

Und sie nahete sich und schien nun plötzlich ein Mädchen,

Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit,

Stand an der Türe des Hofs und erschien dem edlen Odysseus.

Aber Telemachos sah und merkte nichts von der Göttin;

Denn nicht allen sichtbar erscheinen die seligen Götter:

Nur die Hunde sahn sie und bellten nicht, sondern entflohen

Winselnd und zitternd vor ihr nach der andern Seite des Hofes.

Und sie winkte. Den Wink verstand der edle Odysseus,

Ging aus der Hütte hinaus vor die hohe Mauer des Hofes.

Stellete sich vor die Göttin. Da sagte Pallas Athene:

Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus,[659]

Rede mit deinem Sohn und gib dich ihm zu erkennen,

Daß ihr beide, den Freiern ein blutiges Ende bereitend,

Zu der berühmten Stadt der Ithaker wandelt. Ich selber

Werd euch nicht lange verlassen, mich drängt die Begierde des Kampfes.

Also sprach die Göttin und rührt' ihn mit goldener Rute.

Plötzlich umhüllte der schöngewaschene Mantel und Leibrock

Wieder Odysseus' Brust, und Hoheit schmückt' ihn und Jugend;

Brauner ward des Helden Gestalt und voller die Wangen;

Und sein silberner Bart zerfloß in finstere Locken.

Hierauf eilte die Göttin von dannen. Aber Odysseus

Ging zurück in die Hütte; mit Staunen erblickte der Sohn ihn,

Wandte die Augen hinweg und fürchtete, daß er ein Gott sei.

Und er redet' ihn an und sprach die geflügelten Worte:

Anders erscheinst du mir jetzt, o Fremdling, als vormals, auch hast du

Andere Kleider an; die ganze Gestalt ist verwandelt!

Wahrlich, du bist ein Gott, des weiten Himmels Bewohner!

Sei uns gnädig! Wir wollen auch liebliche Opfer dir bringen

Und Geschenke von köstlichem Gold! Erbarme dich unser!

Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:

Wahrlich, ich bin kein Gott und keinem Unsterblichen ähnlich,

Sondern ich bin dein Vater, um den du so herzlich dich grämest

Und so viele Schmach von trotzigen Männern erduldest.

Also sprach er und küßte den Sohn; und über die Wange

Stürzten die Tränen zur Erde, die lange verhaltenen Tränen.

Aber Telemachos stand noch staunend und konnte nicht glauben,

Daß es sein Vater sei; und nun antwortet' er also:

Nein! Du bist nicht mein Vater Odysseus, sondern ein Dämon

Täuscht mich, daß ich noch mehr mein großes Elend beseufze.

Denn kein sterblicher Mann vermöchte mit seinem Verstande

Solch ein Wunder zu tun, ihm hülfe denn einer der Götter,

Welcher leicht, wie er will, zu Greisen und Jünglingen umschafft!

Siehe, nur eben warst du ein Greis und häßlich bekleidet,

Jetzo den Göttern gleich, die den weiten Himmel bewohnen!

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Deinen geliebten Vater, Telemachos, welcher nun heimkehrt,

Mußt du nicht allzusehr anstaunen oder bewundern.

Wahrlich, in Ithaka kommt hinfort kein andrer Odysseus,[660]

Sondern ich bin der Mann, der nach vielem Jammer und Elend

Endlich im zwanzigsten Jahr in seine Heimat zurückkehrt.

Aber dies ist das Werk der siegenden Göttin Athene,

Welche mich, wie sie will, verwandelt; denn sie vermag es!

Darum erschein ich jetzo zerlumpt wie ein Bettler, und jetzo

Wieder in Jünglingsgestalt, mit schönen Gewanden bekleidet.

Denn leicht können die Götter, des weiten Himmels Bewohner,

Jeden sterblichen Mann erniedrigen oder erhöhen.

Also sprach er und setzte sich hin. Da umarmte der Jüngling

Seinen herrlichen Vater mit Inbrunst, bitterlich weinend.

Und in beiden erhob sich ein süßes Verlangen zu trauern.

Ach! sie weineten laut und klagender noch als Vögel,

Als scharfklauichte Geier und Habichte, welchen der Landmann

Ihre Jungen geraubt, bevor sie flügge geworden:

So zum Erbarmen weinten sie beide Tränen der Wehmut.

Über der Klage wäre die Sonne niedergesunken,

Hätte Telemachos nicht zu seinem Vater geredet:

Und in welcherlei Schiffe, mein Vater, brachten die Schiffer

Dich nach Ithaka her? Was rühmen sich jene für Leute?

Denn unmöglich bist du doch hier zu Fuße gekommen!

Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:

Dieses will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzählen.

Siehe, mich brachte das Schiff der segelberühmten Phaiaken,

Welche jeden geleiten, der kommt und um Hilfe sie anfleht.

Diese brachten im Schlafe mich über die Wogen und setzten

Mich in Ithaka aus und gaben mir teure Geschenke,

Erzes und Goldes die Meng und schöngewebete Kleider.

Dieses liegt, nach dem Willen der Götter, in Höhlen verborgen.

Aber ich kam hieher auf Befehl der hohen Athene,

Daß wir uns über den Tod der Feindlichgesinnten beraten.

Auf denn, verkündige mir die Zahl der trotzigen Freier,

Daß ich wisse, wieviel und was für Leute so trotzen.

Denn ich muß zuvor in meiner unsträflichen Seele

Überlegen, ob wir allein, ohn andere Freunde,

Streiten können, oder ob's nötig sei, Hilfe zu suchen.

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte da gegen:

Vater, ich habe viel von dem großen Ruhme gehöret[661]

Deines Mutes im Kampf und deiner Weisheit im Rate,

Aber du sprachst zu kühn! Ich erstaune! Wie wär es doch möglich,

Daß zween Männer allein so viele Starke bekämpften?

Siehe, der Freier sind nicht zehn nur oder nur zwanzig,

Sondern bei weitem mehr! Berechne du selber die Menge:

Aus Dulichions Fluren sind zweiundfünfzig erlesne

Mutige Jünglinge hier, von sechs Aufwärtern begleitet;

Aus der bergichten Same sind vierundzwanzig in allem;

Aus Zakynthos' Gefilden sind zwanzig achaiische Fürsten;

Und aus Ithaka selbst sind zwölfe der tapfersten Männer.

Diesen großen Haufen begleitet Medon, der Herold,

Und der göttliche Sänger und zween erfahrene Köche.

Wollten wir diesen allen im Hause begegnen, du möchtest

Traurig und schreckenvoll die Strafe der Trotzigen enden.

Überlege vielmehr, ob du noch andere Freunde

Finden kannst, die uns mit freudigem Mute beschützen.

Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:

Nun, ich verkündige dir, merk auf und höre die Worte!

Denke nach: wird uns Athene und Vater Kronion

Gnügen? Oder ist's nötig, noch andere Hilfe zu suchen?

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Wahrlich, mächtige Helfer sind jene, welche du nennest!

Denn sie sitzen hoch in den Wolken und herrschen mit Allmacht

Über die Menschen auf Erden und alle unsterblichen Götter.

Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:

Diese werden gewiß in der schrecklichen Stunde des Kampfes

Uns nicht lange verlassen, wann nun in meinem Palaste

Zwischen den Freiern und uns die Gewalt des Krieges entscheidet.

Aber gehe du jetzo, sobald der Morgen sich rötet,

Heim und bleib in dem Schwarm der übermütigen Freier.

Dorthin folg ich dir bald, geführt von dem Hirten Eumaios

Und wie ein mühebeladner, bejahrter Bettler gestaltet.

Werden mich dann im Hause die Freier beschimpfen, so dulde

Standhaft dein Herz im Busen, wie sehr ich beleidiget werde!

Schleppten sie auch bei den Füßen mich durch den Saal vor die Haustür

Oder würfen nach mir, du mußt geduldig es ansehn!

Freilich kannst du sie wohl mit freundlichen Worten ermahnen,[662]

Ihr ruchloses Verfahren zu mäßigen; aber sie werden

Dich nicht hören, denn schon naht ihnen der Tag des Verderbens!

Noch verkünd ich dir dieses, bewahr es im innersten Herzen:

Wann die Göttin des Rats Athene mir es gebietet,

Siehe, dann werd ich dir mit dem Haupte winken. Sobald du

Dieses siehst, dann nimm aus dem Saale die Waffen des Krieges

Und verwahre sie alle im Winkel des oberen Söllers.

Aber erkundigen sich die Freier, wo sie geblieben,

Dann besänftige sie mit guten Worten: ich trug sie

Aus dem Rauche hinweg; denn sie sehn den alten nicht ähnlich,

Wie sie Odysseus einst, gen Troja schiffend, zurückließ,

Sondern sind ganz entstellt von dem rußichten Dampfe des Feuers.

Und noch ein größeres gab Kronion mir zu bedenken:

Daß ihr nicht etwa im Rausch euch zankt und einander verwundet

Und die Freuden des Mahls und die Liebe zu Penelopeia

Blutig entweiht! Denn selbst das Eisen ziehet den Mann an! –

Aber uns beiden laß zwei Schwerter unten im Saale

Und zween Speere zurück und zween stierlederne Schilde,

Daß wir beim Überfall sie ergreifen. Jene wird sicher

Pallas Athene verblenden und Zeus' allwaltende Vorsicht!

Noch verkünd ich dir dieses, bewahr es im innersten Herzen:

Bist du wirklich mein Sohn und unsers edlen Geblütes,

So erfahre von dir kein Mensch, daß Odysseus daheim sei.

Nicht Laertes einmal darf's wissen oder der Sauhirt,

Keiner auch von dem Gesinde, ja selbst nicht Penelopeia,

Sondern nur ich und du: damit wir der Weiber Gesinnung

Prüfen, auch unsere Knechte zugleich ein wenig erforschen,

Wo man uns beide noch mit treuem Herzen verehret,

Oder wer untreu ward und deine Ehre dir weigert.

Und sein trefflicher Sohn Telemachos sagte dagegen:

Vater, ich hoffe, du sollst mein Herz hinfüro noch näher

Kennenlernen; ich bin nicht unvorsichtig und sorglos!

Aber ich glaube doch nicht, daß diese Prüfung uns beiden

Auch im mindesten nütze. Denn überlege nur selber:

Lange gingst du umher, wenn du die Werke der Männer

Nahe belauschen wolltest; indes verschwelgen die andern

Ruhig in deinem Palast und ohne Scheu dein Vermögen.[663]

Zwar der Weiber Gesinnung zu prüfen, rat ich dir selber:

Wer dich im Hause verachtet und wer unsträflich geblieben.

Aber daß wir die Männer auf allen Höfen erforschen,

Dieses wünscht' ich nicht; verspar es lieber auf künftig,

Wenn du wirklich ein Zeichen vom großen Kronion gesehn hast.

Also besprachen diese sich jetzo untereinander.

Aber Telemachos' Freunde, die ihn von Pylos geleitet,

Steurten nach Ithakas Stadt mit dem schöngezimmerten Schiffe.

Als sie jetzo die Bucht des tiefen Hafens erreichten,

Zogen sie eilend das schwärzliche Schiff ans hohe Gestade;

Ihre Geräte trugen die stolzen Diener von dannen.

Und sie brachten in Klytios' Haus die schönen Geschenke,

Sandten dann einen Herold voran zu des edlen Odysseus'

Hause, um Botschaft zu bringen der klugen Penelopeia,

Daß ihr Sohn auf dem Lande sei und dem Schiffe befohlen,

Nach der Stadt zu fahren, damit vor Kummer des Herzens

Nicht die hohe Fürstin ihr Antlitz mit Tränen benetzte.

Diesem begegnete jetzo der edle Hüter der Schweine;

Beide gingen, der Mutter dieselbige Botschaft zu bringen.

Als sie jetzo ins Haus des göttlichen Königes kamen,

Hub der Herold an vor allen Mägden und sagte:

Fürstin, dein lieber Sohn ist jetzo wiedergekommen!

Aber der Sauhirt trat zu Penelopeia und sagte

Alles, was ihm ihr Sohn befohlen hatte zu sagen.

Und nachdem er der Fürstin Telemachos' Worte verkündigt,

Eilt' er zurück zu den Schweinen, den Hof des Hauses verlassend.

Aber die Freier wurden bestürzt und niedergeschlagen,

Und sie gingen hinaus vor die hohe Mauer des Hofes,

Allda setzten sie sich ratschlagend nieder am Tore.

Und des Polybos' Sohn Eurymachos sprach zur Versammlung:

Lieben, ein großes Werk hat Telemachos kühnlich vollendet,

Diese Reise! Wir dachten, er würde sie nimmer vollenden!

Aber wohlan, man ziehe das beste der schwärzlichen Schiffe

In das Meer und rüst es mit Ruderern, daß sie den andern

Schnell die Botschaft verkünden, um eilig wiederzukehren.

Also sprach er; und siehe, Amphinomos wandte sein Antlitz

Gegen den tiefen Hafen und sahe das Schiff in der Mündung,[664]

Sahe die Segel gesenkt und die Ruder in eilenden Händen;

Und mit herzlicher Lache begann er zu seinen Gesellen:

Keiner ferneren Botschaft bedarf es; sie sind schon zu Hause!

Ihnen verkündete dieses ein Himmlischer, oder sie selber

Sahn das segelnde Schiff und vermochten es nicht zu erreichen!

Sprach's; da erhuben sie sich und gingen zum Ufer des Meeres,

Zogen dann eilend das schwärzliche Schiff ans hohe Gestade;

Ihre Geräte trugen die stolzen Diener zu Hause.

Aber sie selber eilten zum Markt, und keinen der andern

Ließen sie unter sich sitzen, der Jünglinge oder der Greise,

Und Eupeithes' Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:

Wunder! Wie haben die Götter doch den vom Verderben errettet!

Tages stellten wir Späher umher auf die luftigen Höhen,

Immer andre nach andern; und wann die Sonne sich senkte,

Ruhten wir nimmer die Nacht auf dem Lande, sondern im Meere

Kreuzten wir mit dem Schiff und harrten der heiligen Frühe,

Auf Telemachos lauernd, damit wir ihn fingen und heimlich

Töteten. Aber ihn führte der Himmlischen einer zu Hause!

Nun, so wollen wir hier auf den Tod des Telemachos sinnen!

Laßt ihn ja nicht entfliehn! Denn ich fürchte, solange der Jüngling

Lebt, wir werden nimmer zu unserem Zwecke gelangen.

Denn er selber kennt schon alle Künste der Klugheit,

Und die Völker sind uns nicht mehr so gänzlich gewogen.

Aber wohlan, bevor er zur allgemeinen Versammlung

Rufe das Volk der Achaier; denn säumen wird er gewiß nicht,

Sondern im heftigen Zorn aufstehen und allen verkünden,

Wie wir ihn zu ermorden gesucht und wie er entflohn sei.

Diese werden die Tat nicht loben, wann sie ihn hören;

Ja sie könnten uns gar mißhandeln und aus dem Lande

Unserer Väter uns alle zu fremden Völkern verjagen.

Darum laßt uns zuvor ihn töten, fern auf dem Lande

Oder auch auf dem Wege! Die Güter behalten wir selber,

Alles unter uns teilend nach Einigkeit; aber die Häuser

Geben wir seiner Mutter und wen sie zum Bräutigam wählet.

Mißfällt aber mein Rat der Versammlung und wünschet ihr lieber,

Daß Telemachos leb und des Vaters Erbe behalte,

Nun, so laßt uns nicht länger in solcher großen Versammlung[665]

Seine köstlichen Schätze verprassen, sondern es werbe

Jeder außer dem Hause mit Brautgeschenken; sie aber

Wähle den Mann, der am meisten ihr schenkt und dem sie beschert ist.

Also sprach er; und alle verstummten umher und schwiegen.

Endlich erhub sich und sprach Amphinomos vor der Versammlung,

Nisos' rühmlicher Sohn, des aretiadischen Königs,

Der aus des weizenreichen Dulichions grünen Gefilden

War der erste der Freier und dessen Rede der Fürstin

Noch am meisten gefiel; denn edel war seine Gesinnung.

Dieser erhub sich und sprach wohlmeinend zu der Versammlung:

Lieben, ich wünschte nicht, daß wir Telemachos heimlich

Töteten; fürchterlich ist es, ein Königsgeschlecht zu ermorden!

Aber laßt uns zuvor der Götter Willen erforschen.

Wann der ewige Rat des großen Kronion es billigt,

Dann ermord ich ihn selber und rat es jedem der andern:

Aber verbieten es uns die Götter, dann rat ich zu ruhen.

Also sprach er, und allen gefiel Amphinomos' Rede.

Schnell erhuben sie sich und gingen zur Wohnung Odysseus',

Kamen und setzten sich nieder auf schöngebildete Throne.

Aber jetzo beschloß die kluge Penelopeia,

Sich zu zeigen den Freiern voll übermütiger Bosheit;

Denn sie vernahm des Sohnes Gefahr in ihren Gemächern.

Medon, der Herold, entdeckte sie ihr, der die Freier belauschet.

Und sie ging zu dem Saale, von ihren Mägden begleitet.

Als das göttliche Weib die Freier jetzo erreichte,

Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales;

Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes.

Und sie redet' Antinoos an mit scheltenden Worten:

Tückischer, frecher Empörer Antinoos, nennen doch alle

Dich in Ithakas Volke den besten deiner Gespielen

An Verstand und Reden, allein du wärest es nimmer!

Rasender, sprich, was suchst du Telemachos' Tod und Verderben

Und verachtest die Stimme der Leidenden, deren Kronion

Waltet? Es ist ja Sünde, das Unglück andrer zu suchen!

Weißt du nicht mehr, wie einst dein Vater flehend zu uns kam,

Von dem Volke geschreckt? Denn sie waren heftig erbittert,

Weil er die Räuberschiffe der Taphier hatte begleitet[666]

Und die Thesproten beraubt, die Genossen unseres Bundes.

Töten wollten sie ihn und sein Herz dem Busen entreißen

Und ausplündern den reichen Palast voll köstlicher Güter;

Aber Odysseus hielt sie zurück und stillte den Aufruhr.

Und nun entehrst du sein Haus durch Schwelgen, wirbst um die Gattin,

Tötest sein einziges Kind, und meine Seele betrübst du.

Aber ich rate dir jetzt, halt ein und zähme die andern!

Aber Polybos' Sohn Eurymachos sagte dagegen:

O Ikarios' Tochter, du kluge Penelopeia,

Sei getrost und laß dich diese Gedanken nicht kümmern!

Wahrlich, er lebt nicht, der Mann, und wird nicht leben noch aufstehn,

Welcher an deinen Sohn Telemachos Hand anlege;

Nimmer, solang ich leb und mein Auge die Erde noch schauet!

Denn ich sage hier frei und werd es wahrlich erfüllen:

Schnell wird sein schwarzes Blut an meiner Lanze herunter

Triefen! Auch mir hat oft der Städteverwüster Odysseus,

Sitzend auf seinem Schoß, ein Stück gebratenen Fleisches

In die Hände gegeben, und roten Wein mir gereichet.

Drum ist Telemachos mir von allen Menschen der liebste;

Und ich sag es, er soll sich durchaus vor dem Tode nicht fürchten,

Von den Freiern; allein von Gott ist er unvermeidlich.

Also sprach er ihr zu und dacht, ihn selbst zu ermorden.

Jene stieg hinauf in den prächtigen Söller und weinte

Ihren trauten Gemahl Odysseus, bis ihr Athene

Sanft mit süßem Schlummer die Augenlider bedeckte.

Abends kam zu Odysseus und seinem Sohne der Sauhirt.

Diese standen jetzt und bereiteten emsig die Mahlzeit,

Da sie ein jähriges Schwein geopfert. Aber Athene

Hatte zuvor sich genaht dem Laertiaden Odysseus,

Ihn mit der Rute geführt und wieder zum Greise verwandelt

Und mit schmutzigen Lumpen bekleidet, daß ihn der Sauhirt

Nicht erkennte und dann mit überwallendem Herzen

Liefe, die Botschaft zu bringen der keuschen Penelopeia.

Und Telemachos rief dem kommenden Hirten entgegen:

Kommst du, edler Eumaios? Was hört man in Ithaka Neues?

Ob wohl die mutigen Freier vom Hinterhalte zurück sind

Oder ob sie noch immer auf mich Heimkehrenden lauern?[667]

Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:

Hierum hab ich mich nicht bekümmert, die Stadt zu durchwandern

Und die Leute zu fragen; es lag mir näher am Herzen,

Da ich die Botschaft gebracht, aufs eiligste wiederzukehren.

Doch begegnete mir von deinen Gefährten ein Herold,

Der auch deiner Mutter zuerst die Botschaft verkündet.

Noch ein anderes weiß ich, das sah ich selber mit Augen.

Diesseits über der Stadt, dicht an dem hermeiischen Hügel,

War ich bereits gekommen, da sah ich in unserem Hafen

Landen ein hurtiges Schiff, mit vielen Männern gerüstet

Und mit Schilden beschwert und langen doppelten Lanzen.

Und ich meinte, sie waren's; allein ich weiß es nicht sicher.

Also sprach er; da blickte Telemachos' heilige Stärke

Lächelnd den Vater an, doch unbemerkt von Eumaios.

Als sie die Arbeit jetzo vollbracht und die Speise bereitet,

Teilten sie alles gleich und labten ihr Herz an dem Mahle.

Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,

Legten sie sich zur Ruh und genossen die Gabe des Schlafes.

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 655-668.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Odyssee
Universal-Bibliothek Nr. 280: Odyssee
Odyssee
Ilias · Odyssee
Die Odyssee
Odyssee

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon