An Ebendenselben

[197] Freund, den mit jungem Rebenlaube

Die schönste Mänas einst geschmückt,

Dem noch ein Amor selbst die Traube

In den bekränzten Becher drückt;

Den Lust und Lenz in Haine rief,

Dem überall Dryaden lachten,

Dem sie ein Blumenlager machten

An Quellen, wo er sorglos schlief;

Du willst, entfernt von unsern Chören,

Kein sprödes Mädchen mehr bekehren

Und deine Lieder singen hören?

Getilgt ist jeder Freude Spur;

Die Aue dorrt, es stirbt die Flur,

Wo Bosheit gift'gen Samen streut?

Mit dem Verrathe geht der Neid;

Ihm schweigt der West an stummen Bächen;

Das Blumenbeet zertritt sein Fuß,

Und Saitenklang, und reinen Kuß

Der Freundschaft macht er zum Verbrechen?

Mehr, als die Wüste, schauerlich

Sind dir, o Gleim! die Lustgefilde

Der Jugend? Fern in seine wilde[198]

Verborgne Höhle ruft zu sich

Der finstre Menschenhasser dich? –

O folge nie! denn Tugend wohnt,

Gesehen noch und ungesehen,

In Thälern und auf Alpenhöhen;

Oft hat das frömmste Werk den Mond

Zum Zeugen nur, und Liebe lohnt

Der Treue noch mit Seligkeiten

Aus längst verschwundnen goldnen Zeiten.

Wen lockte sonst der Wiese Grün?

Wem sollten jene Veilchen blühn?

Dem Frevel nur? Ihm tönten wieder

Aus blauer Luft die Lerchenlieder;

Und jenes Nachtigallenchor

Erfüllte des Verbrechers Ohr?

O nein! geflochten von dem Lenze

Sind diese tausendfachen Kränze

Für schwarze Höllenthaten nicht.

Da, wo die Weisheit Rosen flicht,

Will Zephyr gern das Thal erfrischen,

Da bildet, in vertrauten Büschen,

Die stille Grotte sich für sie;

Da lehrt der Vögel Harmonie

Den frommen Dichter, sich erfreuen,

Der Bosheit lachen, und verzeihen.

Hier, o mein Bester! wo, bedeckt[199]

Mit Moos, die Hütte sich versteckt,

Hier tanzet, bey des Landmanns Festen,

Mit Daphnis und mit Galathee

Die Redlichkeit auf jungem Klee;

Und dort, in schimmernden Palästen,

Baut oft die Großmuth ihren Sitz;

Herab vom Throne fährt der Blitz

Auf das empörte Laster nieder,

Und Fürsten rächen ihre Brüder.


O mein Geliebter! unsern Hain

Mag böse Schmähsucht überfallen;

Wenn nur den Göttern wir gefallen,

So laß uns unerschrocken seyn;

Zwey Freunde stehen an Altären,

Wo sie den Eid der Treue schwören,

Dir, Tugend! und, o Weisheit, dir!

Hört uns, ihr späten Enkel ihr!

Entweiht man unsers Grabes Nacht,

Will man zu Thoren uns erniedern,

So müsse giftigem Verdacht

Ein sanfter Menschenfreund erwiedern:

Ihr Lied war Freude, war Natur,

Und Unschuld war ihr Leben nur!

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 1, Zürich 1819, S. 197-200.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon