An ein sterbendes Kind

[7] So wandle denn, von Thränen und von Küssen

Begleitet, deine Bahn!

Ein kleiner Engel wird voran

Dir gehn, und leuchten dir in deinen Finsternissen.

Des Engels Haupt ist sanftes Abendroth;

Aus seinen Händen nimmt der Tod

Den Becher, den er dir zum letzten Schlummer beut;

Und tief im Becher ist des Himmels Süßigkeit.

Schon warten dein mit rosenfarbnen Flügeln,

Auf ewig grünen Hügeln,

Die Kinder-Seelen dort, im bessern Sonnenglanz,

Und zeigen sich einander deinen Kranz.

O wie so brüderlich, mit seligem Vertrauen,

Du neuer Engel! wirst du nun[8]

An ihrer Brust, als ihr Gespiele, ruhn;

Mit ihnen Palmen-Hütten bauen,

Und zwischen Lilien den Gott der Wonne schauen,

Den du, vom Winde leicht gekühlt,

Hienieden schon gefühlt,

Als wir in deinen Schooß die ersten Blumen warfen.

So wandle denn zum Klang der Silberharfen;

Und wenn dein Blick herab von hohen Sternen fällt,

O dann gedenk' an diese Schatten-Welt,

An diesen Erden-Tag,

An diesen Labetrunk, in liebevollen Armen,

Das einzige, was irdisches Erbarmen

Dem Sterbenden zu reichen noch vermag.

Gedenk' an uns, in deinem Siege!

Mir aber segnen oft die kleinen, holden Züge,

In denen uns das Paradies

Ein Bild von seiner Unschuld wies.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 7-9.
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