Die Heimath

[88] Der Sonnen schönste wärmt das Land,

Und heilig ist die Erde,

Wo vormahls unsre Wiege stand

Am väterlichen Herde.


Vor allen Bäumen grünt der Baum,

In dessen kühlen Schatten

Wir unsern süßen Kindertraum

An Frühlingsmorgen hatten.


Vor allen Thälern blüht das Thal,

Vom reinen Bach umschlungen,

An welchem uns zum ersten Mahl

Die Vögel wach gesungen.


Doch wenn ein zweytes Vaterland

Sich unser Herz erfindet,

Wenn Liebe dort mit eigner Hand

Uns an ein Mädchen bindet:
[89]

Auf einmahl sehen wir, geweckt

Aus unsern Kinderträumen,

Den Baum, der Liebchens Hütte deckt,

Vor allen andern Bäumen.


Du kleines, väterliches Land,

Wo mir der Tag geschienen,

Als mich die erste Muse fand

Am Weidenbach, im Grünen!


Du gutes Land, wo Flur und Hain

In sichrer Einfalt blühen,

Wo rings sich um den deutschen Rhein

Die Trauben-Hügel ziehen!


Wie liebt' ich, o, wie liebt' ich dich,

Und weinte dir entgegen!

Wie sehnt' ich, o, wie sehnt' ich mich

Mit lauten Herzens-Schlägen!


Nun aber Lieb' im Busen wallt,

Nun geb' ich deine Freuden

Um einen öden Tannen-Wald,

Auf ungeschmückten Heiden;
[90]

Weil auf der Heide Liebchen wohnt,

Umweht von Tannen-Hainen,

Und freudenvoller Sonn' und Mond

Die Wipfel da bescheinen.


Den Traubenhügel, Flur und Bach

Und Alles will ich missen:

O Liebe! nur ein Hütten-Dach,

Mein Mädchen da zu küssen!

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 88-91.
Lizenz:
Kategorien: